„Keine Koalition um jeden Preis“

Stürzt die Beendigung des A 20-Verfahrens die rosa-grüne Koalition in erneute Krise?

Das schleswig-holsteinische Verkehrsministerium hat am 19.11. die Erörterung der Einwendungen zum Bau des ersten Streckenabschnitts der A 20 zwischen der A 1 und der L 92 in Lübeck (Kronsforder Landstraße) beendet. „300 Stunden Erörterung, weit über 400 Seiten Protokoll und 165.000 Mark externer Kosten belegen das aufwendigste Anhörungsverfahren, das es bisher zu einem Verkehrsprojekt in Schleswig-Holstein gegeben hat“, sagte Verkehrsminister Peer Steinbrück. „Das Verfahren ist mit höchster Transparenz und Bürgerfreundlichkeit durchgeführt worden. Der Kritik der Fundamentalopposition gegen die A 20 kann man in keinem Fall entgehen - egal was man tut oder unterläßt, auch nicht mit einem einjährigen Anhörungsverfahren. Dagegen halte ich an der Position fest, daß die A 20 ohne Versäumnis notwendiger Prüfungen, aber auch ohne Verzögerung für das Land betrieben werden muß. Alle Erörterungsgegenstände sind ausreichend behandelt worden. Der Zeitpunkt für eine Beendigung der Erörterung ist gekommen“, so der Minister.

Über den 6,3 Kilometer langen Streckenabschnitt sei seit Anfang Mai an 33 Tagen verhandelt worden. In rund 300 Stunden seien die Stellungnahmen von 28 Behörden, rund 800 Einzelschreiben und die von rund 2.700 listenmäßig erhobenen Einwendungen erörtert worden. Die Erörterung mit den Behörden habe allein fünf Tage gedauert, die mit den betroffenen 24 Grundeigentümern sechs Tage. An 22 Erörterungstagen hätten in wechselnder Zusammensetzung insgesamt ca. 200 der 3.500 übrigen Einwender teilgenommen. Die höchste Teilnehmerzahl an einem einzelnen Verhandlungstag habe bei 80 Einwendern gelegen. Während der letzten zwei Verhandlungstage im November hätten jeweils unter 25 Einwender die Erörterungstermine wahrgenommen.

Mit der Beendigung der Anhörung und Abwägung der Anhörungsergebnisse sei nun die Voraussetzung für den Planfeststellungsbeschluß geschaffen. Mit dem Beschluß für das Baurecht könne im Frühjahr ’97 gerechnet werden.

Heftig kritisierte der Landesnaturschutzverband (LNV) die Beendigung des Verfahrens. Der Minister habe den mehr als 3.000 EinwenderInnen verweigert, ihre Argumente gegen die A 20-Planungen vollständig darlegen zu können. Die vielen noch offenen Anfragen an die fehlerhafte Planung blieben unbeantwortet, so der LNV in einer Pressemitteilung. Das Verkehrsministerium sei parteiisch und verstoße gegen wesentliche Prinzipien der Erörterung, u.a. gegen das Recht der Betroffenen auf Anhörung, die Klärung offener Fragen aller Beteiligten und gegen die Erledigung der vorgebrachten Einwendungen. Das willkürlich und gegen den ausführlich mit Sachargumenten begründeten Willen der Betroffenen verfügte Ende der Erörterungen stelle den Gipfel dieses „Verfahrens“ dar, das durch das Verkehrsministerium durchweg unfair geführt worden sei.

Auch die Bündnisgrünen im Landtag zeigten sich unzufrieden mit dem Ausgang des Verfahrens, das zwar umfangreich durchgeführt worden sei. Aber „trotzdem“, so der interne Koalitionsausschuß der Grünen, „betrachten wir die Behandlung bestimmter Punkte für überhaupt nicht ausreichend. Insbesondere der abrupte Abbruch der letzten Anhörung ... ist für uns unakzeptabel und zeigt nicht die Bürgerfreundlichkeit und Transparenz, auf die wir uns im Koalitionsvertrag verständigt haben.“ Der Ausschuß begrüßte zwar das vom Verkehrsminister in Auftrag gegebene Gutachten zu den EU-rechtlichen Fragen des Autobahnbaus, jedoch sei er der Auffassung, „daß es nicht zu Baumaßnahmen kommen kann, solange diese rechtlichen Fragen nicht geklärt sind. Wir fordern deshalb das Ministerium ... auf, keinen Planfeststellungsbeschluß zu fassen, bevor die Ergebnisse des EU-rechtlichen Gutachtens vorliegen.“

Während Minister Steinbrück noch sinngemäß meinte, die Grünen Koalitionäre hätten eigentlich begriffen, daß der Bau der A 20 nicht zu stoppen sei, sie wüßten nur nicht, wie wie sie es der Basis klarmachen sollten, erwog zumindest die Abgeordnete Dr. Adelheid Winking-Nikolay u.U. rechtliche Schritte zur Klärung des Verfahrensabbruchs.

Damit dürfte neben dem Streit um die Stillegung des AKW Krümmel für weiteren Zündstoff in der Koalition und bei den Grünen selbst gesorgt sein. Dies hat auch der grüne Landesvorstand in einem Antrag zu den Grundlagen für seine weitere Arbeit, der zur Landeshauptausschußsitzung am vergangenen Sonntag vorlag, unmißverständlich deutlich gemacht: „Die Suche nach einem produktiven Zusammenspiel von Partei, Fraktion und MinisterInnen ist empfindlich gestört worden. Der reale Einfluß der Partei und insbesondere des Landesvorstandes in diesem Dreiklang tendiert inzwischen gegen Null. Damit droht eine Entwicklung, daß nur noch die Fraktion und die MinisterInnen die Arbeit der Koalition gestalten und bestimmen. Die Instrumente, um der Partei ein stärkeres Gewicht zu verleihen (gemeinsames Vetorecht der SprecherInnen im internen Koalitionsausschuß, Teilnahrne an Fraktionssitzungen, etc.), haben ihr Ziel bisher nicht erreicht.“ Und, so der Landesvorstandsantrag weiter, „der Beschluß, den rot-grünen Koalitionsvertrag zu schließen, ist auf der Kieler LDK mit großer Mehrheit gefaßt worden. Damit wurde kein Ticket für vier Jahre ausgestellt. Es gibt keine Koalition um jeden Preis.“ (bam)