Von Giften und Grenzwerten

Die Kieler Müllverbrennungsanlage (MVA) ist mal wieder ins Gerede gekommen, diesmal nicht wegen des Drecks, den sie in die Luft bläst, sondern wegen der Ausbaupläne von SPD, CDU und SUK. Dennoch lohnt es sich, einmal daran zu erinnern, welcher Gift-Cocktail bei der Verbrennung entsteht, entsprechend der bunten Mischung des Restmülls. Neben den Schwermetallen ist vor allem das Ultragift Dioxin zu nennen, das 1976 durch einen Unfall im italienischen Seveso traurige Berühmtheit erlangte. Dioxin war auch ein Bestandteil des berüchtigten Entlaubungsmittel „Agent Orange“, das US-Truppen in Vietnam eingesetzt haben. (Ein Teil stammte aus deutscher Produktion.) Dioxin ist chlorhaltig (also in den meisten Fällen ein „Geschenk“ der Chemieindustrie) und entsteht u.a. bei zu niedrigen Verbrennungstemperaturen. Jährlich werden in der BRD in den bestehenden 47 MVAs 7,5-8,0 Mio. t Hausmüll verbrannt, wobei 250.000 bis 300.000 t Filterstäube und fast 2 Mio. t Schlacken anfallen. Neueste Untersuchungen bestätigen, daß mindestens 50%, wahrscheinlich sogar 90% der PCDD/PCDF (polychlorierte Dibenzodioxine und -furane) weder von Filtern zurückgehalten, noch meßtechnisch überhaupt erfaßt werden.

Die Giftigkeit des Dioxins läßt sich damit veranschaulichen, daß bereits ein Millionstel Gramm ausreicht, ein Meerschweinchen zu töten. Dioxin ist schwer abbaubar und sehr gut fettlöslich und reichert sich daher in der Nahrungskette an, d.h. Tiere nehmen es mit pflanzlicher Nahrung auf und speichern es in ihren Fettreserven. Wer wie der Mensch am Ende der Kette steht, sammelt am meisten. Da das Gift außer in MVAs auch bei zahlreichen Prozessen der Chlor-Chemie entsteht, gibt es heute in der Bundesrepublik keinen Boden mehr, der nicht mit Dioxin belastet wäre. Der durchschnittliche Bundesbürger nimmt pro Tag im Schnitt zwei Pikogramm (= Billionstel Gramm) pro Kilogramm Körpergewicht auf. Dieser Wert liegt über dem, was Bundesgesundheitsamt und Umweltbundesamt langfristig für vertretbar halten.

In Kiel rühmt man sich, daß die neue Anlage eine der modernsten sei und die gesetzlichen Grenzwerte deutlich unterschreite. Der Kieler Toxikologe Otmar Wassermann weißt hingegen darauf hin, daß die Grenzwerte in relativen Konzentrationen angegeben werden. Entscheidend seien aber nicht die Giftanteile in den Abgasen sondern die Gesamtmenge, die an die Umwelt abgegeben wird. Und die sei natürlich, so der Wissenschaftler, der auch im Umweltbeirat der MVA sitzt, nicht zuletzt davon abhängig, wieviel Müll verbrannt wird. Außerdem weißt Wassermann darauf hin, daß in Kiel die Dioxin-Konzentration nicht kontinuierlich gemessen wird, sondern nur ein bis zweimal im Jahr nach Vorankündigung. Da läßt sich natürlich manches drehen, z.B. über die Verdünnung der Abluft. Ein realistisches Bild des Giftausstoßes, das auf Messungen basiert, hat also in Wirklichkeit niemand. Aber vielleicht will es die „Pyromanen-Clique“ auch gar nicht so genau wissen. (wop)