Müllhauptstadt Kiel

Kieler MVA: Rat beschließt dritten Kessel

Kurz nach Redaktionsschluß der letzten „LinX“ brodelte es im Kieler Koalitionskessel gewaltig. Die SPD-Ratsfraktion hatte sich in einem Grundsatzbeschluß für die Modernisierung und den Weiterbetrieb der „3. Verbrennungslinie“ der Kieler Müllverbrennungsanlage (MVA) entschieden und den „Umwelt“dezernenten Erich Schirmer auf Müllakquise durchs Land geschickt. Der Weiterbetrieb des 3. Kessels nämlich steigert die Kapazität der MVA auf 190.000 t pro Jahr, mehr als das Doppelte an Müll, der in Kiel anfällt (ca. 87.000 t), so daß Müll aus dem Umland und eventuell aus dem Kreis Schleswig-Flensburg in Kiel mitverbrannt werden soll.

Die Bündnisgrünen, mit Recht entschiedene Gegner der Müllverbrennung schlechthin, sahen durch diesen Beschluß das „rot-grüne Bündnis in einer ernsthaften Krise“, so der grüne Ratsherr Lutz Oschmann. Die SPD habe „die gemeinsame Basis der Kooperation verlassen“. Sperrfeuer erhielt die Kieler SPD auch aus dem Landtag. Die Grünen Adelheid Winking-Nikolay und Karl-Martin Hentschel warfen der Kieler SPD vor, sie „konterkariere die Umweltpolitik des Landes“. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Raupach versuchte zwar, die Koalition zu kitten, man nehme seitens der SPD die Bedenken der Grünen sehr ernst. In der Sachfrage wich er jedoch nicht zurück und erhielt unterdessen ein Gesprächsangebot der CDU-Fraktion. Die versuchte, im gleichen Abwasch auch gleich noch die geplante Biokompostanlage in Wellsee zu kippen. Die Anlage sei „viel zu teuer und überdimensioniert“. Im Hintergrund dieser Forderung dürfte aber auch stehen, daß die stadtweite Einführung einer „braunen Tonne“ für kompostierbare Abfälle, die Müllmenge für die „thermische Verwertung“ in der MVA weiter reduzieren würde, also soll auch der Biomüll „ökologisch verbrannt“ werden.

Auch der Kirchenkreis Kiel meldete starke Bedenken gegen den 3. Kessel an. 1991 hatte die Kirche das Grundstück, auf dem die MVA-Erweiterung errichtet wurde, der Stadt verkauft, unter strengen Auflagen, was die zu verbrennende Müllmenge betrifft, nämlich maximal 130.000 t pro Jahr. Die Kirche droht nun mit rechtlichen Schritten, falls diese vertragliche Absprache durch Weiterbetrieb des 3. Kessels nicht eingehalten wird. Das kann für die MVA-Betreiber, bzw. in Folge den Kieler Gebührenzahler, teuer kommen, wie der Vorsitzende des Umweltbeirats der MVA und Umweltbeauftragter der Kirche, Horst Lenné, mutmaßte.

Vom drohenden Bruch der Koalition und den zahlreichen Widersprüchen unbeeindruckt und mit den Stimmen der CDU für den 3. Kessel im Rücken gingen die SPD-Pyromanen auf Müllakquise. Objekt der Begierde ist der Abfall aus dem Kreis Schleswig-Flensburg. Gegen solche Konkurrenz aus der Landeshauptstadt wehrte sich indes der Geschäftsführer der Flensburger Stadtwerke. Er drohte eine 30 Mio. DM schwere Schadensersatzklage an, falls der Kreistag eine Zusammenarbeit mit den Kieler Verbrennern beschließe. Da mußte die Kieler SPD also noch etwas locken. So werden die Schleswig-Flensburger, sollte der Müllhandel zustandekommen, weit weniger pro verbrannter Tonne bezahlen müssen als die Kieler BürgerInnen.

Die Absegnung des 3. Kessels in der Ratsversammlung vom 21.11. war dann nur noch Formsache. Die CDU hatte einen Antrag gestellt, der Magistrat möge die Abfallwirtschaft der Landeshauptstadt prüfen. Sinngemäß lief das darauf hinaus festzustellen, ob der 3. Kessel nicht doch das geeignete Mittel wäre, die Müllgebührenerhöhung, die 1997 ansteht, durch bessere Auslastung der MVA erträglich zu halten. Überdies schoß die SUK in einem Antrag erneut gegen die Biokompostanlage. Die Behandlung der Anträge war aber nur nochmalige Gelegenheit zum Austausch der Argumente, denn daß die SPD im nicht-öffentlichen Teil der Sitzung zusammen mit der CDU für den 3. Kessel stimmen würde, war klar. Seltsam war das Verhalten der SUK in der Debatte. Zwar stehe die SUK „zur thermischen Verwertung“, so Ratsherr Kottek, aber werde trotzdem gegen den 3. Kessel stimmen. Eine schlüssige Begründung für dieses Abstimmungsverhalten blieb er schuldig. Dennoch ist die Zielrichtung der Populisten im Rat deutlich. Müll verbrennen: O.K., aber bitte woanders, nicht inmitten unserer schönen Stadt.

Die Grünen versuchten noch ein letztes Mal, ihre Position deutlich zu machen. Am Rande der Ratsversammlung streuten sie die Zahlen der zu erwartenden Gebührenerhöhung: Ohne 3. Kessel 37%, mit „Linie 3“ auch nicht viel weniger, nämlich 32%. Diese „Ersparnis“ schien der CDU zu reichen. Die Gebührenerhöhung komme, so Fraktionsvorsitzender Wulff, sie dürfe nur nicht „exorbitant hoch“ sein. Eine kleine Indiskretion des SPD-Fraktionsvorsitzenden Raupach jedoch könnte den Grünen noch eine Handhabe gegen die „Pyromanen“ geben. Raupach ließ in seiner Rede durchblicken, daß die Umrüstung des 3. Kessels gar nicht so teuer werde, weil man beim Neubau der Verbrennungslinien 1 und 2 bereits vorgebaut habe. Das beauftragte Ingenieurbüro habe da „ein sehr günstiges Angebot gemacht“. Sollte es der Fall sein, daß beim Umbau der MVA der 3. Kessel bereits mit ins Auge gefaßt worden ist, so hätte es dafür keinerlei Beschlußgrundlage aus dem Rat gegeben. Dies könnte der SPD zum Verhängnis werden. Die Grünen fragten somit sofort bei „Umwelt“dezernenten Schirmer nach, ob es „infrastrukturelle Vorleistungen“ für den 3. Kessel gegeben habe. Schirmer verneinte, räumte aber ein, im neuen Maschinenhaus sei bereits eine Dachöffnung „für einen eventuellen dritten Schornstein“ vorgesehen worden. Überdies war Schirmer wieder einmal nicht an Dummheit zu überbieten, was die Rechtfertigung der MVA als „ökologischste Form der Müllverwertung“ betrifft. Er behauptete allen Ernstes, die MVA sei „eine Schadstoffsenke“. Es komme „weniger Dioxin raus, als reingekommen“ sei. Völliger Humbug, denn das Dioxin entsteht erst bei der Verbrennung bei zu niedrigen Temperaturen (siehe nebenstehender Kasten).

Letztlich mußten sich die Grünen geschlagen geben, denn der Beschluß, den Weiterbetrieb von Kessel 3 nach Modernisierung beim Land zu beantragen, ging mit den Stimmen der neuen SPD-CDU-Koalition glatt durch den Rat. Ob der grüne Umweltminister Steenblock die Sache noch stoppen kann? Die Rats-Grünen antworteten am Rande der Sitzung auf diese Frage skeptisch. Wahrscheinlich werde der MVA-Betreiber den 3. Kessel auf der Grundlage der 17. BImSch (Bundes-Immissionsschutz-Verordnung) beantragen. Sollte der 3. Kessel die entsprechenden (viel zu hohen - siehe Kasten) Grenzwerte einhalten, sei Steenblock wahrscheinlich gar nicht mehr zuständig, denn dann könnte das Gewerbeaufsichtsamt die Genehmigung auch als untergeordnete Behörde erteilen. (jm)