„Die Zahl der Nationen in Europa ist unendlich“

In Flensburg an der dänischen Grenze wurde letzte Woche ein sogenanntes Europäisches Zentrum für Minderheitenangelegenheiten (EZM) in Anwesenheit von Vertretern der drei beteiligten Regierungen und des dänischen Königshauses eröffnet. Neben der Bundes- und Kieler Landesregierung beteiligt sich auch Kopenhagen mit immerhin 50% der Kosten. Ministerpräsidentin Heide Simonis sprach vor zahlreichen Vertretern der deutschen und dänischen Minderheiten von beiderseits der Grenze von einem „glücklichen Tag für die europäischen Minderheiten“. Das Zentrum solle „für das Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheiten nützliche Hilfe leisten.“ Gemeint sind allerdings nicht alle Minderheiten, denn, so Simonis, irgendwo müsse man ja anfangen. Um „WanderarbeitnehmerInnen“, so EZM-Vorstandsmitglied Marianne Tidick gegenüber der Presse, werde sich das Zentrum nicht kümmern.

Während sich Simonis nicht klar zu dem eigenartigen Minderheitenbegriff der neuen Einrichtung äußern mochte, hatte Staatssekretär Kurt Schelter vom Bundesinnenministerium damit kein Problem. Er fand es einfach sinnvoll, die Arbeit auf „Mehrheiten und nationale Minderheiten sowie andere traditionelle - autochthone - Volksgruppen zu beschränken, weil es sich bei beiden Gruppen um Bürger eines Staates handelt, die auf heimischen Boden zusammenleben.“ Das Flensburger Zentrum werde „mutig und entschlossen“ zur  „Ent- schärfung und Bewältigung von Volksgruppenkonflikten“ beitragen. Diese Begriffsbildung ist kein abstruser Ausrutscher, sondern liegt ganz auf der Linie der Bundesregierung, die keine Probleme damit hat, Einwanderer zu diskriminieren und gleichzeitig von anderen Staaten „Minderheitenschutz“ zu verlangen. Mit Bedacht: „Flensburg ist“, so teilte die Simonis vor der Presse mit, „Zentrum für einen erweiterten östlichen, deutschen Raum, das Mare Balticum.“ Auf Nachfrage wies sie allerdings weit von sich, dies expansionistisch gemeint zu haben.

EZM-Direktor Stefan Troebst nutzte die Eröffnung, die Aufgaben des neuen Instituts zu skizzieren: Ein spezieller Schwerpunkt werde auf Osteuropa liegen, konkrete Kontakte gebe es schon in den Kossovo und nach Mazedonien. Aber auch Nordirland, das Baskenland, Korsika und Zypern sollen nicht vergessen werden. „Wenn es um Minderheitenrechte geht, haben auch einige westliche Länder einiges nachzuholen.“ Und: „Die moderne Geschichte Europas lehrt uns, daß der Prozeß der Nationenbildung noch nicht abgeschlossen ist.“ Ob z.B. die Pomaken in Griechenland und Bulgarien oder die Okzitanier in Frankreich eine nationale Bewegung organisieren und einen eigenen Nationalstaat verlangen, sei eine schwierige aber in manchen Fällen drängende Frage. Die Zahl der Nationen in Europa sei  un- endlich. So wie das Recht auf Ehescheidung heute allgemein anerkannt werde, müsse auch das Recht auf Sezession akzeptiert werden. Er hoffe aber, daß das Prinzip, Grenzen nicht gewaltsam zu ändern, beibehalten werde. Aber: „Auch souveräne Regierungen haben Interventionen der internationalen Gemeinschaft zu akzeptieren.“

Was das im einzelnen heißen könnte, hatte Troebst unlängst in einem Artikel in der FAZ durchblicken lassen: Im Gegensatz zu den  süd- slawischen Nationalismen „ist der albanische Nationalismus bis heute nicht über den Stand von 1913, das heißt über die Existenz eines einzigen albanischen Nationalstaates in der Westhälfte des Siedlungsgebietes der Albaner, hinausgekommen. Ob hier herkömmliche Mittel wie Kultur-, Personal- oder Territorialautonomie noch Abhilfe schaffen können, ist zumindest, was das Hauptproblem Kossovo betrifft, fraglich.“

Einer der Paten des EZM hielt sich auf der Gründungsfeier dezent im Hintergrund und wurde von Troebst nur am Rande als Partner künftiger Zusammenarbeit benannt: die Förderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV). Dieser 1949 gegründete Verband sieht sich selbst in der Tradition der zwischen den beiden Weltkriegen tagenden Nationalitätenkongresse, aus denen sich 1927 Sorben, Polen und Dänen wegen der deutschen Dominanz zurückzogen. Bis zum Sommer wurde die FUEV von Karl Mittendorfer aus Bozen geleitet, der auch im Verwaltungsrat des „Vereins für das Deutschtum im Ausland“ sitzt, einer Organisation, die seit Kaiserzeiten als subversive Nebenstelle der deutschen Außenpolitik bekannt ist.

(wop)