Mehr Realismus?
Angesichts der kurzen Vorbereitungszeit kein schlechtes Ergebnis: 60
bis 70.000 demonstrierten am 2. Oktober in Berlin gegen „Hartz IV“ und
die große Koalition der Sozialräuber, und die Medien hatten
alle Mühe, den Erfolg der Mobilisierung klein zu rechnen. Natürlich
hätten es noch mehr sein können, wenn die Vorbereitungen besser
gelaufen wären, wenn es nicht die Spalterei der MLPD gegeben hätte,
und wenn mehr Menschen in die Organisation einbezogen worden wären.
Insbesondere in Berlin selbst ist das Bündnis der Montagsdemonstration
nur sehr mäßig, wenn überhaupt, in den sozialen Bewegungen
verankert.
Doch zum Glück ist die Hauptstadt nicht der Nabel der Welt, nicht
einmal der Deutschlands, und die Arbeit lokaler Bündnisse in vielen
großen und kleinen Orten hat die bundesweite Demo zum Erfolg werden
lassen. Die vielen Gruppen und Aktiven haben Grund, stolz zu sein: Zum
zweiten Mal nach dem 1. November 2003 haben sie gezeigt, dass wir auch
ohne den DGB und die Gewerkschaftsvorstände können. Die Basis
der Einzelgewerkschaften, die Vertrauensleute in den Betrieben, die Arbeitsloseninitiativen
und Sozialforen müssen nicht auf Sommer, Bsirske oder Peters warten.
Sie schaffen es auch ohne den Apparat, der Regierung auf die Füße
zu treten und eine kämpferische bundesweite Großaktion auf die
Beine zu stellen.
Aber natürlich wird die wegen einer Demonstration allein nicht
einlenken. Auch die Montagsdemonstrationen können sie auf Dauer nicht
beeindrucken. Andere Protestformen müssen her. Dezentrale Aktionstage
im November, eine weitere Großdemonstration, diesmal in Nürnberg,
vor der Bundesagentur für Arbeit, und schließlich die Aktion
„Agenturschluss“ in den Arbeitsagenturen am 3. Januar. Ein wichtiger Aspekt
der Aktionen wird sicherlich ihre Vielfalt und -zahl sein.
Mindestens ebenso wichtig wird es sein, den Protest in die Betriebe
zu tragen und mit den dortigen Auseinandersetzungen zu verbinden, was sich
zum Beispiel aktuell bei HDW anbieten würde. Wieso wird dort eigentlich
nicht die Arbeitszeitverkürzung auf die Tagesordnung gesetzt? Sie
wäre die passende Antwort auf Entlassungsdrohungen und die ideale
Klammer zu den Kämpfen gegen „Hartz IV“. Unrealistisch? Ist denn das
gemeinsame Demonstrieren für Arbeitsplätze mit Simonis und Volquartz
realistischer?
(wop)