Kommentar

Armutszeugnis

Über das große Drama, was sich derzeit am Euphrat und Tigris abspielt, gerät fast die kleine Tragikkomödie in Vergessenheit, die in Kiel auf dem Spielplan steht. Nicht dass es besonders tragisch wäre, dass die Stadt an der Förde demnächst eine CDU-Oberbürgermeisterin bekommt. Selbstherrlicher, das heißt demokratiefeindlicher, als Gansel wird sie kaum sein, genauso wenig, wie sie den faktenresistenten neoliberalen Dogmatismus Fenskes übertrumpfen wird können.
Und irgendwie ist der SPD und ihrem Kandidaten das Ergebnis wirklich aus vollem Herzen zu gönnen, nach dem sie in den letzten Jahren nahezu das gesammte Familiensilber verscherbelt haben. (Wozu die Partei der Wahlsiegerin natürlich ebenfalls jeweils brav das Händchen gehoben hat.) In keinem einzigen Stadtteil hat Fenske es auf 50 Prozent gebracht. Ob jene Riege Kieler Gewerkschaftsfunktionäre, die meinten, sich unbedingt für den begeisterten Privatisierer und Marktfetischisten ins Zeug legen zu müssen, daraus vielleicht doch noch Schlussfolgerungen zieht?

Wenn also dem Verlierer keine Träne nachzuweinen ist und auch beim Anblick der Siegerin nicht die Zähne aufeinander schlagen müssen, so ist immerhin die Stimmung besorgniserregend, die sich in der Stadt ausbreitet. Als Linker ist man es ja gewohnt, dass  nur zwischen Pest und Cholera zu wählen ist,doch so für jedermann offensichtlich ist es selten gewesen. Entsprechend lag die Wahlbeteiligung nur noch bei 38, 5 Prozent. Ein Armutszeugnis ohne Gleichen für jene, die im Rathaus und Ratsversammlung rummurcksen.

Aber in gewisser Weise auch für die Gewerkschaften und die spärliche Linke der Stadt. Denn die amerikanisch anmutenden Wahlbeteiligung ist offensichtlich Ausdruck tiefer Resignation angesichts fehlender politischer Alternativen. Solche sind nämlich nicht einmal mit der Lupe auszumachen. Die Gewerkschaften beschränken sich seit langem auf bestenfalls halbherzige Abwehr“kämpfe“, die meist mehr aus Mauscheleien hinter verschlossenen Türen bestehen, stets bereit, sich auf Deals einzulassen, die den Stammbelegschaften ein paar Brotkrümel gewähren, und die Interessen jüngerer Kollegen oder von Leiharbeitern dafür opfern. Und die politische Linke? Die hat seit Jahren schon wichtigeres zu tun, als sich um dies sozialen Kämpfe der Stadt zu kümmern.

(wop)