US-Strategie in Asien: Eine indische Analyse

Säule der US-Hegemonie

Was die einen sich heraus nehmen, können die anderen schon lange: Ende März nahm auch Indien für sich das Recht heraus, „vorbeugende“ Kriege zu führen. Die NATO-Staaten und zuletzt die USA und Großbritannien hatten in Jugoslawien und Irak entsprechende Präzedenzfälle geschaffen.Aktuell im Visier der Regierung in Neu Delhi ist Pakistan, beide Staaten sind Atommächte und streiten sich seit ihrer Trennung und Unabhängigkeit um die Kontrolle über die Provinz Kashmir im Nordwesten Indiens bzw. im Nordosten Pakistans.

Wir geben im Folgenden das Vorwort der Dezemberausgabe von Aspects wieder, eines unabhängigen linken Wirtschaftsmagazins, das in Mumbai (Bombay), Indien, von der Forschungsgruppe Politische Ökonomie herausgegeben wird. Der Text beschäftigt sich mit der Rolle Indiens in der Asien-Strategie Washingtons.
Indien wird aus einer von der hindunationalistischen BJP angeführten Koalition regiert. Die BJP selbst gehört zu einem Netzwerk teils militant, teils gemäßigt auftretender hindunationalistischer bis -faschistischer Organisationen, die in den zurückliegenden 15 Jahren das Klima zwischen den verschiedenen Religionen durch Morde und Massaker zunehmend vergiftet haben. Vorläufiger Höhepunkt war bisher ein Pogrom gegen die muslemische Bevölkerung im westindischen Bundesstaat Gujarat im Frühjahr 2002 (Siehe LinX 04/03), dem über 1000 Menschen zum Opfer fielen. Die Regierung in Neu Delhi hat seit dem 11. September 2001 die internationale Lage ausgenutzt, um weiter gegen Pakistan und die muslemische Minderheit im eigenen Land Stimmung zu machen. Seit dem kam es wiederholt zu Grenzgefechten an der pakistanischen und indischen Truppen.

(wop)

(...) Die USA haben erklärt, Indien sie ihr wichtigster Partner in Asien (bis auf Westasien), und das obwohl sie zur Zeit drei Militärstützpunkte in Pakistan besitzen. Die Bedeutung beschränkt sich nicht auf den Wunsch, indische Häfen und Flughäfen für die Versorgung US-amerikanischer Schiffe und Flugzeuge nutzen zu wollen. Indien ist zu einem wichtigen Teil in der strategischen Planung der USA geworden, einer Planung, die sich im Augenblick auf die Eroberung des Iraks und einiger anderer westasiatischer Staaten konzentriert, die aber schon morgen ihre volle Aufmerksamkeit nach Asien verlagern wird, das sie als eine Region mit wachsender strategischer Bedeutung ansieht.

Nur die Naivsten können glauben, dass der Grund für das neue Interesse der USA in Indien dessen wachsende Bedeutung als Weltmacht ist, wie es indische und US-amerikanische Politiker behaupten. Indiens Wirtschaft macht nicht einmal ein Zwanzigstel jener der USA aus, das indische Bruttoinlandprodukt hat gerade die Größe des US-amerikanischen Handelsdefizits und der offizielle Militäretat umfasst 13 Milliarden US-Dollar, verglichen mit den 379 Milliarden Dollar der USA. Washington geht es bei seinen jüngsten Bemühungen nicht um indisch-US-amerikanische „Partnerschaft“, sondern um die Förderung eigener Interessen, wobei Indien als strategisches Pfand dienen soll. In den Worten des US-Botschafters Robert Blackwill „treibt Präsident Bush den Ausbau strategische Beziehungen zu Indien mit aller Kraft voran, weil ein starkes Indien im vor uns liegenden Jahrzehnt amerikanische demokratische Werte und vitale nationale Interessen der USA befördern wird.“

Diese Bemerkung machte Blackwill am 27. November während einer bemerkenswerten Rede in Kalkutta. In dieser Beschrieb er nicht nur das Ausmaß der gegenwärtigen militärischen und strategischen Kooperation zwischen den USA und Indien, sondern vermied jede Erwähnung der folgenden bekannten Themen: Pakistan, Kaschmir und, wohl am bedeutsamsten, Indiens Atomprogramm. Statt dessen erklärte er Indien zum Partner der USA „bei der Eindämmung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in Asien“. Unerwähnt blieben in der Rede hingegen die indischen Atomtests im Mai 1998, womit es seinerzeit offen erklärte, Massenvernichtungswaffen herstellen zu wollen.

Tatsächlich ist diese Position schon älter. Ein Artikel der New York Times aus dem September 2001 über eine andere Rede Blackwills stellte fest, dass „der Tenor und die Substanz der Bemerkungen des Botschafters signalisierten eine stillschweigende Akzeptanz des atomaren Status Indiens“. („US-Botschafter lobt Indien in höchsten Tönen und akzeptiert seinen atomaren Status“, 7. September 2001). Jim Hogland schrieb in der Washington Post: „Im Weißen Haus gibt es ein Umdenken im Bezug auf die atomare Doktrin und Indien. Bush beabsichtigt, heißt es aus seinem Umkreis, innerhalb weniger Monate die Sanktionen gegen Indien aufzuheben, und möchte eine neue strategische Beziehung zu Indien.“ („Asien zu Indiens Vorteil neudenken“, 1. Juli 2001)
In anderen Worten: Indiens Atomprogramm ist zum Bestandteil der strategischen Planung der USA für die Region geworden.
In seiner Kalkutta-Rede hat Blackwill nicht einziges Mal China erwähnt, aber das Ziel der indisch-US-amerikanischen Allianz ist unschwer auszumachen. „Vajpajees atomare Strategie konzentriert sich ganz auf China“, schreibt Hoagland und tatsächlich hatte Vajpajee unmittelbar nach den 98er Tests einen Brief an den damaligen US-Präsidenten Clinton geschrieben, in dem er genau das erklärt hatte.

Die Integration Indiens in die gegen China gerichtete Planung der USA erhöht das Kriegsrisiko für das indische Volk, denn China wird sicherlich seinerseits seine militärische Planung auf Indien ausrichten, wenn es zum Brückenkopf der USA in der Region wird. Amgesichts einer derartigen chinesischen Antwort würden Indiens Herrschende – trotz allem Geredes darüber, eine „wichtige Macht“ zu sein, - schlicht Schutz bei den USA suchen. Vajpajee hat nicht nur das von vielen Staaten verurteilte Raketenabwehrprogramm der USA unterstützt, ganz offensichtlich hofft er auch von ihm zu profitieren. Hogland schrieb im Juli 2001:
„China ist im April die ungewöhnlich herzliche Begrüßung des indischen Außenministers Jaswant Singh nicht entgangen, der im Oval Office mit dem Präsidenten Small Talk über das Raketenabwehrprogramm hielt. Seit dem hat Bush von keinem andere Land außer vielleicht ein oder zwei seiner europäischen Verbündeten soviel Unterstützung für seine (Raketenabwehr-) Pläne bekommen. (...) Aus der Sicht Chinas zielen die Pläne darauf, sein kleines aber wachsendes atomares Arsenal zu neutralisieren. Eine deutliche Verbesserung der indisch-US-amerikanischen Beziehungen, gestützt auf eine gemeinsame Position in der Frage der Raketenabwehr, könnte China veranlassen die Modernisierung seines atomaren Arsenals auszudehnen und zu beschleunigen, Indien durch Hilfe für Pakistan zu schwächen und unkalkulierte Risiken einzugehen.“

Angesichts der US-Offensive, der Achse Delhi-Washington und eines Raketenabwehrschildes könnte China den Kurs einschlagen, den die UdSSR in den 80ern verfolgte – nämlich eine weit größere Zahl von Atomraketen zu bauen, um die Abwehr an verschiedenen Punkten gleichzeitig durchbrechen zu können, z. B. auch über Indien. Die Amerikaner sind sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass ein solches Programm enorm teuer wäre und Chinas wirtschaftliche Stärke gefährden würde. Tatsächlich ist das eines ihrer Ziele. Die indische Öffentlichkeit ist hingegen vollkommen ahnungslos, dass die Herrschenden sie gerade in diesem gefährlichen strategischen Schachspiel einsetzt.

Indiens Herrschende haben bereits einige Vergünstigung aufgrund ihrer Söldnerdienste für die globale amerikanische Vorherrschaft erhalten. Das wurde nach dem schrecklichen Massaker der regierenden Partei an den Moslems in Gujarat deutlich, das ab März 2002 sehr systematisch und mit aktiver Unterstützung des Staatsapparates durchgeführt wurde. Die Operation war in vielerlei Hinsicht einmalig im Nach-1947-Indien. Die BJP hat danach ihre Absicht erklärt, das „Gujarat-Experiment“ in anderen Bundesstaaten zu wiederholen. Im April 2002 musste sich die indische Regierung deswegen unbequeme Fragen von der Europäischen Union anhören. Die indische Regierung gab eine schrille Antwort. Vajpajee erklärte, „man predigt Indien über Säkularismus (...) Wir haben es nicht nötig, von anderen über Säkularismus und Pluralismus zu lernen.“ Möglich wurde ihm eine derartige Antwort wegen des Schweigens der USA, die sich bis heute weigert auch nur einen einzigen offiziellen Kommentar zu den Gujarat-Massakern abzugeben. Statt dessen hat sich gerade in dieser Zeit die militärische und außenpolitische Kooperation zwischen den USA und Indien rasch entwickelt. Offensichtlich loben die USA Indiens „demokratische Werte“ und kümmern sich nicht um die tatsächlich angewandten Herrschaftsmethoden, solange nur die parlamentarische Hülle erhalten bleibt.

In gleicher Weise hat die Einmischung der USA in den Kaschmir-Konflikt der Regierung in Delhi geholfen. Der US-Botschafter hat das Kaschmirtal wiederholt besucht. Hurriyat-Führer haben im September indirekt zugegeben, dass sie von den USA unter Druck gesetzt wurden, die Wahlen nicht zu boykottieren. Tatsächlich gaben sie Pläne auf, parallel zu den Wahlen ein Referendum über die Selbstbestimmung Kaschmirs abzuhalten und fuhren ihre Kritik an den offiziellen Wahlen fast vollständig zurück.