Mehr Biss!
Den Osten des Westens nennen einige inzwischen Kiel. Nicht zu Unrecht. Seit letzten Jahre hat die Deindustrialisierung, der Abbau und Einschrumpfen der letzten Industriebetriebe, einen erheblichen Sprung nach vorne gemacht. HDW, Caterpillar und vor allem Heidelberger, wo seit März gegen die Verlagerung gestreikt wird, heißen die Stichworte. Aber auch Einzelhandelsbetriebe haben im letzten Jahr im größeren Umfang entlassen und an den Unikliniken dürfte mit der geplanten Fusion mit Lübeck auch einiges auf uns zu kommen. Und wer das Glück hat, seinen Job zu behalten, wird sich auf noch mehr Hetze und Druck einstellen müssen.
Gleichzeitig kündigt die Schröder-Fischer-Regierung mit der „Agenda 2010“ ein neuen Generalangriff auf die sozialen Sicherungssysteme an: Nicht Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise werden bekämpft, sondern, die Arbeitslosen und die Lohnabhängigen. Ganz unverblümt nutzt die Regierung die internationale Krise und den Krieg gegen den Irak für die Rechtfertigung ihrer sozialen Grausamkeiten. Die „Modernisierung“, Privatisierung der Krankenversicherungen, Abbau des Kündigungsschutzes, Ausdehnung des Arbeitszwangs und ähnliches, diene dazu, so Schröder in seiner Regierungserklärung zum Irak-Krieg, Deutschlands Stellung gegenüber den USA auszubauen.
Ein Grund mehr, gegen Krieg und Militarsierung der Außenpolitik zu mobilisieren,und ein Grund mehr, am 1. Mai auf die Straße zu gehen, um die Opposition gegen diese Politik sichtbar zu machen. Unter der dem Motto „Menschlich modernisieren – gerecht gestalten“ ruft der DGB der KERN-Region (Kiel, Eckernförde, Rendsburg, Neumünster) zu den diesjährigen Maidemonstrationen auf. Der Aufruf hat folgenden Wortlaut:
„Im Mittelpunkt unseres gewerkschaftlichen Handelns steht der Kampf
gegen die Massenarbeitslosigkeit. Dieses ist auch angesichts von über
33.000 arbeitslos gemeldeten Frauen und Männern in der KERN-Region
im letzten Jahr dringend notwendig. Deshalb sind jetzt Maßnahmen
erforderlich, die unser Land und damit auch die KERN-Region auf einen höheren
Wachstumspfad bringen: Die öffentlichen Investitionen müssen
gestärkt werden, das gilt besonders für die kommunale Infrastruktur,
wie z.B. bei den Schulen, im Verkehrsbereich oder im Umweltschutz. Durch
staatliche Anreize sollten zusätzliche Investitionen sowohl im privaten
Bereich als auch bei gewerblichen Investitionen geschaffen werden. Zur
Finanzierung dieser Maßnahmen müsste sich der Staat zunächst
zusätzlich verschulden. Durch einen Abbau der Arbeitslosigkeit und
damit verbundenen Steuermehreinnahmen erhält der Staat einen großen
Teil der Neuverschuldung relativ schnell zurück.
Die Arbeitgeber reduzieren die Auseinandersetzung über die Instrumente
zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auf die Forderung nach einer radikalen
Flexibilisierung der Arbeitsmärkte: Kürzungen sozialer Leistungen,
Demontage des Tarifsystems, Abbau von Kündigungsschutz und Mitbestimmung
– mit einem Wort: Die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft soll das Kommando
über die Arbeitsmärkte übernehmen.
Die Unternehmer unterliegen in diesem Punkt einem Irrtum. Denn die Erwerbslosigkeit auf dauerhaft hohem Niveau ist nicht Folge eines Fehlverhaltens der Betroffenen oder der tariflichen Regulierungen. Vielmehr versagt die Konkurrenzwirtschaft. Diese Strategie macht die Opfer der Krise zu Tätern. Sie schafft keine neuen Arbeitsplätze, sondern verschlechtert lediglich die Bedingungen für diejenigen, die von Erwerbsarbeit abhängig sind. In Deutschland fehlt es schlicht an zukunftssicheren Arbeitsplätzen und es fehlt an der notwendigen Binnennachfrage.
Menschlich modernisieren – gerecht gestalten bedeutet aber auch:
Die Unternehmer müssen mehr Ausbildungsplätze für unsere
Jugend bereitstellen. Wer heute nicht ausreichend ausbildet, hat kein Recht,
sich über einen Facharbeitermangel zu beklagen. (Lücke im Text
auf der homepage) Unsere Gesellschaft muss sozial gerecht gestaltet werden.”
Auch der zentrale Aufruf des DGB ist ähnlich zahnlos. In Kiel
war nach der massiven Wahlwerbung aus wesentlichen Teilen des Gewerkschaftsapparates
für den neoliberalen SPD-OB-Kandidaten Fenske kaum etwas anderes
zu erwarten. Bleibt zu hoffen, dass angesichts der katastrophalen Wahlbeteiligung
dem anderen Kieler Gewerkschaftsfunktionär doch noch ein Licht aufgeht.
Aber für mehr Biss auf der Demo werden ja vielleicht auch die streikenden
Heidelberger sorgen.
(wop)