Am 4. Mai, dem 58. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des “Arbeitserziehungslagers Nordmark” durch britische Armee-Einheiten, führte der Kieler Arbeitskreis Asche-Prozeß und der Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein e.V. (Akens) auf dem ehemaligen Lagergelände am Russee eine Veranstaltung durch. Der Akens ist ein eingetragener Verein mit 180 Mitgliedern aus Schleswig-Holstein und Hamburg, HistorikerInnen und zeitgeschichtlich interessierten Personen. Der Akens-Vorsitzende Eckhard Colmorgen, hielt am 4. Mai eine Ansprache, die wir im folgenden dokumentieren.
Zur Geschichte des “Arbeitserziehungslagers Nordmark” brauche ich Ihnen, den Anwesenden, wohl nicht viel erzählen. Wahrscheinlich ist Ihnen manches bekannt. Außerdem können Sie nun manche Informationen auf den neuen Schildern nachlesen.
Deshalb möchte ich nur einige Eckdaten ins Gedächtnis rufen:
Dieses neue Denkmal und die drei Informationstafeln befinden sich auf dem
Gelände des ehemaligen “Arbeitserziehungslagers Nordmark”. Die hier
sichtbaren Mauerreste sind die Grundmauern des ehemaligen Gästehauses
der SS.
Das Lager bestand vom Sommer 1944 bis zum Kriegsende Anfang Mai 1945.
Die Kieler Geheime Staatspolizei schuf sich hier am Russee im Sommer 1944
ein Konzentrationslager.
Mindestens 3.771 Menschen, vielleicht aber auch über 5.000 Menschen
wurden hier inhaftiert. Nachweislich 578 von ihnen wurden ermordet – starben
wegen mangelnder medizinischer Versorgung, verhungerten, wurden totgeschlagen
oder erschossen. 90 % der Häftlinge waren ausländische Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter, die zur bedingungslosen Arbeit in den schleswig-holsteinischen
Rüstungsfirmen und in landwirtschaftlichen Betrieben gezwungen werden
sollten.
Meine Damen und Herren, an die Ereignisse des 4. Mai des Jahres 1945
erinnerte sich Catherine Wagner noch Jahre später recht genau. Die
Luxemburgerin, die in dem Lager am Russee inhaftiert war, schrieb 1985
an den Historiker Detlef Korte:
“Vor unserer Befreiung sperrte man uns in einen engen Raum. ... Bei
Tagesanbruch wurde die Tür aufgeschlagen und herein kamen englische
Soldaten, die uns aus dieser mißlichen Lage befreiten. Viele von
uns waren krank, alle jedoch abgemagert, verdreckt, in Lumpen gehüllt
und von Ungeziefer befallen.”
Über die Häftlinge und Opfer des Lagers, aus welchen Ländern
sie als Zwangsarbeiter verschleppt worden waren, warum sie von der Gestapo
in dieses Lager eingesperrt wurden, was sie zu essen bekamen und bei welchen
Firmen sie arbeiten mussten, dass ist in Kürze auf den drei Tafeln
nachzulesen.
Zu finden sind auch Informationen zur Geschichte des Konzentrationslagers
am Russee. Warum die Geheime Staatspolizei ein “Arbeitserziehungslager”
einrichtete, als längst absehbar war, dass der Krieg für Nazi-Deutschland
verloren war. Warum sich die Geheime Staatspolizei ein Terrorinstrument
gegen Zwangsarbeiter schuf.
Und selbstverständlich werden auch die Täter und Verantwortlichen
des AEL Nordmark benannt. Beispielsweise der Kieler Gestapo-Chef, Regierungsrat
und SS-Sturmbannführer Fritz Schmidt und der Lagerkommandant, Kriminalkommissar
und SS-Sturmbannführer Johannes Post.
Die Erinnerungen von Zeitzeugen, zumeist Aussagen vor dem britischen Militärgericht 1947/48, dann später bei der ermittelnden Kieler Polizei und der Kieler Staatsanwaltschaft waren nicht nur für die Verfolgungsbehörden in den Nachkriegsprozessen wichtig, sondern sind auch für die historische Forschung unersetzlich. Deshalb haben wir wichtige Zeitzeugenaussagen auf den Informationstafeln wiedergegeben.
Nachzulesen ist auch über das Verschweigen der Existenz des Lagers in den Nachkriegsjahrzehnten. Nur zögerlich hat sich die Stadt Kiel, seine Einwohner und Politiker, der historischen Verantwortung für die Verbrechen in diesem Lager gestellt.
Der erste Gedenkstein wurde 1971 aufgestellt, 26 Jahre nach Kriegsende, und wurde bald wieder vergessen. 14 Jahre später – 1985 – stellte die Stadt Kiel einen zweiten Gedenkstein an der Rendsburger Landstraße auf. Nun im Jahre 2003 – nochmals 18 Jahre später, und am 58. Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des Lagers – ist es uns gelungen, einen weiteren Gedenkstein und Informationstafeln über die Geschichte des “Arbeitserziehungslager Nordmark” der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Der einstimmige Beschluss der Kieler Ratsversammlung aus dem Jahre 1983, ist damit aber immer noch nicht umgesetzt worden. Der Magistrat wurde mit der Erarbeitung einer Konzeption für die Errichtung einer lokalhistorischen Dokumentations- und Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen KZ am Russee beauftragt.
Immer noch fehlt für Kiel ein umfassendes Konzept zum Umgang mit
der nationalsozialistischen Geschichte. Eine Gesamtkonzeption einer Erinnerungskultur
zur NS-Geschichte wird mit dem Gedenkort “Arbeitserziehungslager Nordmark”
nicht erreicht, aber wir kommen dem ein Schritt näher.
Am 27. Januar 2003, dem bundesweiten Gedenktag zur Befreiung des KZ
Auschwitz, konnten wir diesen Gedenkstein der Öffentlichkeit präsentieren.
Heute, am 4. Mai 2003, dem Jahrestag der Befreiung der Häftlinge des
“Arbeitserziehungslagers Nordmark” durch britische Armee-Einheiten, kommen
drei Informationstafeln dazu. Diese Stele und die Tafeln gehören zum
Gedenkort “Arbeitserziehungslager Nordmark”.
Die finanziellen Mittel für das vom Akens durchgeführte Projekt Gedenkort “Arbeitserziehungslager Nordmark” wurden hauptsächlich von der Europäischen Union aufgebracht. Die Kommission der Europäischen Union stellt Europa weit Finanzmittel zur Verfügung zum “Schutz der nationalsozialistischen Konzentrationslager als historische Gedenkstätten”. Auch die Landeshauptstadt Kiel hat sich mit einem namhaften Betrag beteiligt. Der Akens zahlt nur einen symbolischen Betrag, steuert aber Know-how und viel Zeit in die Organisierung des Gedenkortes bei.
Danken möchte ich dem Oberbürgermeister der Stadt Kiel, Norbert Gansel, der am 27. Januar eine Ansprache hielt, und dem hier anwesenden stellvertretenden Stadtpräsidenten, Herrn Heinemann, für ihre Teilnahme an den Veranstaltungen des Akens.
Meine Damen und Herren, vielen Dank für ihr Erscheinen und für
ihre Teilnahme an der jetzt folgenden Verlesung der Namen der Opfer des
AEL sowie an dem Rundgang um das ehemalige Lagergelände.”