Kommentar

Gegenmacht aufbauen

Am 1. Juni nach Berlin um beim Sonderparteitag der SPD zu demonstrieren! Gründe gibt es wahrlich genug. Diese Regierung hat nicht nur bereits zweieinhalb Kriege geführt, die deutsche Außenpolitik endgültig militarisiert und betreibt hartnäckig den Aufstieg Kerneuropas zum Konkurrenten der USA (inklusive Aufrüstung mit Ausblick auf künftige militärische Auseinandersetzungen), sie erweist sich auch als Totengräber des Sozialstaates.

Nach dem Scheitern des Keynsianismus in den 60er bzw. frühen 70er Jahren und dem Wegfall der – scheinbaren – Systemalternative ist er für die Vorstände der Deutschen Bank, DaimlerChryslers oder Siemens längst überflüssig, wenn nicht gar lästig geworden. Dumm ist nur, dass es da noch ein paar Sozialdemokraten und Gewerkschafter an der Basis gibt, die nicht mitbekommen haben, dass Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft Auslaufmodelle sind. Doch um die halbwegs ruhig zu stellen lässt man die Drecksarbeit, die sich die Kohl-Regierung nicht zugetraut hatte, den Mann von der Leine machen. Der hält die Gewerkschaften schon bei der Stange.

Oder auch nicht. Während zwar die gelbe IGBCE brav zu Schröder hält, windet und dreht sich mancher Gewerkschaftsvorstand, hin und her gerissen zwischen alten sozialdemokratischen Loyalitäten und apparatimmanenter Dickfälligkeit einerseits und dem Druck eines Teils der Basis andererseits. Eben diese, linke Gewerkschafter aus Berlin und anderswo, ruft nun auf, vor dem Sonderparteitag der SPD zu demonstrieren. Eine prima Gelegenheit, die Widersprüche innerhalb der Sozialdemokratie zuzuspitzen und vielleicht den Kahlschlagplänen doch noch den einen oder anderen Stein in den Weg zu legen.

Denn immerhin geht es mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und dem Abschied von der paritätisch finanzierten Krankenversicherung um einen qualitativen Sprung auf dem Weg zur Verelendung für zumindest das untere Drittel der Gesellschaft. Vieles wird davon abhängen, ob es in den nächsten Monaten gelingt, eine wirksame außerparlamentarische Gegenmacht zu formieren, die den notwendigen langen Atem hat. Nicht nur unsere künftige Gesundheitsversorgung und Arbeitslosenversicherung, sondern auch die politische Zukunft. Denn eines kann man aus der Geschichte gelernt haben: Diese Art von Verelendung in Verbindung mit politischer Desillusionierung führt nicht automatisch zur Rebellion, sondern bereitet den Boden für rechten Populismus, Rassismus und Schlimmerem.

(wop)