Kommentar

Ersatzschreckgespenst

Was macht man, wenn man in großer Koalition ein Programm beschlossen hat, dass demnächst ein paar Millionen Menschen in die Armut stürzen wird, und noch viel mehr damit bedroht? Was macht man wenn die Langzeitarbeitslosigkeit sich in immer neue Höhen schraubt und Millionen Menschen dämmert, dass etwas völlig falsch läuft? Was macht man, wenn im östlichen Teil des Landes 15 Jahre angestaute Wut über Kolonisierung und Deindustrialisierung hinzu kommt, und sich eine Bewegung herausbildet, die dem Ganzen einen politischen Ausdruck verleihen könnte? Man lenkt ab, redet klein, verleumdet, lässt die Polizei Nazis in die Demos hineinprügeln (so geschehen vor allem in Sachsen und Thüringen) und man offeriert dem verunsicherten Wahlvolk ein paar wohlfeile Feindbilder.

Der böse Iwan heißt jetzt Wladimir, ist ein guter Gecshäftsfreund und fällt daher aus. Sein Regime ist zwar deutlich barbarischer als das seiner unmittelbaren Vorgänger, aber das hat uns ja schon seinerzeit bei Botha (Südafrika) oder Pinochet (Chile) nicht gestört. Außerdem haben wir ja als Ersatzschreckgespenst den Islam. Der ist nicht nur als solches historisch so gut eingeführt, dass auch mancher Ex-Linker gerne mitmacht. Er ist auch – dank jahrzehntelanger westlicher Unterstützung für islamistische Fanatiker aller Coleur – recht unansehnlich, zumindest aus der Ferne durch die Brille der eurozentristischen (Un)Bildung betrachtet.
Also veranstalten CDU und CSU ein großes Tamtam, weil die Türkei in die EU will, und bemühen sich, die wachsenden Zukunftsängste, auf „den Islam“ zu projezieren. Vielleicht, so das Kalkül, vergessen die Wähler ja, dass man den Hartz-IV-Gesetzen zugestimmt hat. Wen schert es, wenn mit solchen Kampagnen das

Klima zwischen den hier lebenden Menschen weiter vergiftet wird? Merkel und Stoiber jedenfalls nicht. Komisch wird es, wenn die einstige FDJ-Sekretärin „christlich-abendländische“ Werte beschwört, die mit einem Türkei-Beitritt in Gefahr gerieten. Was das wohl sein sollen... Vielleicht Inquisition, Scheiterhaufen, Daumenschrauben und Juden-Pogrome? Oder vielleicht Kreuzritter, die in Palästina ganze Städte niedermetzelten? Oder denkt sie eher an die bewehrte Zusammenarbeit mit türkischen Foltergenerälen, die sie gerne fortführen würde, was aber im EU-Rahmen nicht sehr schicklich ist?

(wop)