Europäisches Sozialforum in London:

Kritik an Traditionalisten

In London ging 17. Oktober das dritte Europäische Sozialform zu Ende. Über 20.000 Teilnehmer aus mehr als 60 Ländern waren gekommen, um an den über 500 Podiumsdiskussionen und Seminaren sowie unzähligen Workshops teilzunehmen. Themen waren der Abbau sozialer und politischer Rechte, Privatisierung öffentlicher Dienste, der Kampf gegen Rassismus sowie gegen Krieg und Besatzung des Iraks, die Globalisierung in ihren verschiedensten Aspekten, die Kritik an der EU-Verfassung und vieles mehr.

Die Idee der Sozialforen ist im Jahre 2000 entstanden. Im Januar 2001 wurde im brasilianischen Porto Alegre das erste Weltsozialforum abgehalten. Seitdem hat sich die neue Organisationsform wie ein Lauffeuer über alle Kontinente verbreitet. In tausenden von Städten haben sich lokale Sozialforen gebildet. Daneben gibt es regionale, nationale und kontinentale Foren, die in vielen Fällen zu einem wichtigen Katalysator einer neuen Zusammenarbeit zwischen den sozialen Bewegungen unterschiedlichster Art, einschließlich der Gewerkschaften, geworden sind. Mitmachen kann jeder, der sich auf die Charta des Wesltsozialforums stellt. In ihr werden alle "Gruppen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, die sich dem Neoliberalismus, der Weltherrschaft des Kapitals und jeder Form des Imperialismus widersetzen, und die sich für den Aufbau einer planetaren Gesellschaft engagieren", zur Teilnahme eingeladen.

Im Vorfeld des diesjährigen ESF gab es allerdings viel Kritik an der Vorbereitung, die stark von einigen Gewerkschaften und der rechts-trotzkistischen Sozialistischen Arbeiterpartei (SWP, Mutterpartei der deutschen Organisation Linksruck) dominiert war. Viele Basisgruppen waren gegen London als Austragungsort gewesen, weil es zu den teuersten Metropolen des Kontinents gehört. Entsprechend happig waren die Teilnahmegebühren (30 Euro ermäßigt). Nicht nur linke Gruppen, sondern auch renomierte NGOs warfen dem Vorbereitungskomitee mangelnde Transparenz vor. Ähnliche Vorwürfe kamen auch vom lokalen Londoner Sozialforum. Autonome und andere radikalere Kräfte organisierten unter dem Motto "Jenseits des ESF" eigene Treffen.

Kritik gab es während des Forums auch von Babels, dem Netzwerk der freiwilligen Dolmetscher, das bei den Megatreffen mit enormen Einsatz für kostengünstige Simultanübersetzungen sorgt. Mehr als 7000 Menschen beteiligen sich an dem Netzwerk, über 500 von ihnen waren nach London gekommen. Die Organisation des Forums habe viele Formen der Selbstorganisation vernachlässigt und damit Menschen und Gruppen ausgegrenzt. Vieles sei in neoliberaler Manier organisiert und Dienstleistungen eingekauft worden statt Freiwillige zu mobilisieren. Als ein Ergebnis gebe es einen eklatanten Mangel an Unterstützern und auch die Zahl der Delegierten sei nur halb so groß, wie im Vorjahr gewesen. Babels berichtet außerdem, dass einigen seiner Mitglieder aus Osteuropa und Nordafrika die Einreise nach Großbritannien verweigert worden sei. Auch in dieser Hinsicht sie die Art, wie das ESF durchgeführt wurde, nicht besonders hilfreich gewesen.
Am Sonntag fand wie üblich eine Demonstration zum Abschluss des Forums statt. Die Polizei sprach von 15.000 bis 20.000 Teilnehmern. Selbst wenn es doppelt so viele gewesen sein sollten, wäre das gemessen an den Mobilisierungen der britischen Friedensbewegung, die in London stark vertreten war, und auch an den ESF-Demonstrationen der Vorjahre eher wenig gewesen.

Wie immer fand am Rande des Sozialforums auch eine so genannte Versammlung der sozialen Bewegungen statt. Die spitzfindig erscheinende Unterteilung wird gemacht, da im Namen des Forums keine Beschlüsse gefasst werden sollen, um es möglichst offen zu halten. Deshalb trafen sich alle, die an konkreten Aktionen und Kampagnen interessiert waren, am Sonntag in der genannten Versammlung und beschlossen eine Erklärung, in der die neue EU-Verfassung abgelehnt wird, weil sie "den Neoliberalsimus zum verbindlichen Dogma der EU" erklärt. Bei Redaktionsschluss lag nur der Entwurf einer Erklärung vor, aber bereits im Vorfeld zeichnete sich in den internationalen Diskussionen ab, dass es Mitte März EU-weite Aktionen geben soll, wenn der Frühjahrsgipfel der EU tagt. Im Mittelpunkt der Proteste werden die in allen Ländern laufenden Einschnitte im Sozialen stehen, zumal auf dem Gipfel über die sogenannte Lissabon-Agenda diskutiert werden soll. Mit der hat sich die Union vorgenommen, bis 2010 im internationalen Wettbewerb die Nase ganz vorne haben zu wollen, was nicht nur durch verstärkte Unterstützung industrienaher Forschung und Entwicklung geschehen soll, sondern auch mit verstärktem Druck auf Löhne, Rente und Krankenversicherung. In der Diskussion war unter anderem eine zentrale Demonstration am Sitz der EU in Brüssel.

(wop)