Kommentar

Militär-Verfassung

Nun ist sie unterschrieben. Symbolträchtig versammelten sich die EU-Staats- und Regierungschefs Ende Oktober im Rom, um ihre Unterschrift unter die Verfassung der Union zu setzen. Obwohl „Verfassung“ eigentlich nur ein Euphemismus ist. Das viel-hundertseitige Werk hat nämlich wenig mit jenen Grundgesetzen gemein, die die Bürger im 18. und 19. Jahrhundert auf den Barrikaden erkämpft hatten, um sie bald darauf in ihren Kolonialreichen wieder zu vergessen. Anders als in richtigen Verfassungen spielen die Menschen- und Bürgerrechte in dem in Rom so feierlich unterzeichneten Dokument nur eine Statistenrolle. Eher schon geht es um eine Metavertrag, ein Remix der seit den 1950ern angesammelter EU-Verträge, garniert mit einigen wesentlichen Zuspitzungen:

Marktwirtschaft und Wettbewerb werden in Verfassungsrang erhoben. Alles andere – oder fast alles – wird ihnen untergeordnet. Auch so elementare Dinge wie Bildung und Gesundheit. Diese Entwicklung zeichnet sich zwar auch ohne Verfassung schon seit Jahren ab, aber nun soll sie in Beton gegossen werden.
Ausnahmen vom Prinzip des Vorrangs von Markt und Wettbewerb gibt es nur dort, wo mächtige Interessen berührt werden. Zum Beispiel wenn es um französische, deutsche oder demnächst deutsch-französische Industriepolitik geht. Deshalb soll mit  Günther Verheugen ein Vertrauter Schröders den Posten des entsprechenden EU-Kommisars übernehmen, damit es aus Brüssel keine lästigen Querschüsse gibt.

Insbesondere bleiben Wettbewerb und Marktwirtschaft natürlich außen vor, wenn es um Rüstungs- und Militärpolitik geht. Während in Berlin und Paris eifrig an gemeinsamen Rüstungskonzernen gefeilt wird, enthält die Verfassung einen wohl weltweit einmaligen Passus, der die Länder zur permanenten Aufrüstung verpflichtet. Darüber hinaus sind diverse militärische EU-Strukturen vorgesehen.

Vieles davon, wie die Europäische Rüstungsagentur ist längst im Aufbau, aber die Verfassung ist eine gute Gelegenheit, auf diese Entwicklung hinzuweisen, und zu versuchen, sie aufzuhalten. Denn noch fehlen die 25 Ratifizierungsurkunden. In vielen Ländern stehen Referenden aus, und die europäische Friedensbewegung wäre gut beraten, wenn sie mit einer einheitlichen – und damit um so lauteren – Stimme Nein zu diesem Dokument der Militarisierung sagen würde.

     (wop)