Musterknabe macht mit:

Tribunal gegen Irak-Krieg

Ein Hearing in der Fachhochschule Köln beschäftigte sich am 6. und 7. November mit den im Irak begannenen Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und den Verstößen gegen das Völkerrecht. Initiiert vom Kölner Friedensforum, unterstützt vom AstA der FH, der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, dem Aachener Friedenspreis und anderen nordrhein-westfälischen Friedensgruppen, war das Hearing Teil der Vorbereitung eines internationalen Tribunals zum Irak-Krieg, das im Sommer 2005 stattfinden wird.

Der Hamburger Völkerrechtler Norman Paech beschäftigte sich, ausgehend vom Gewaltverbot der UNO-Charta, mit den - auch juristischen - Rechtfertigungen für die Kriege der letzten Jahre („humanitäre Intervention“, „präventive Verteidigung“) und wies deren Illegalität nach.

Der Friedensforscher Tobias Pflüger, Mitglied des EU-Parlaments (parteilos auf der Liste der PDS), untersuchte den Beitrag der Bundesregierung zum Krieg gegen den Irak. Mit Hilfe einer Doppelstrategie sei die Regierung Schröder einerseits der breiten Antikriegsstimmung im Land entgegengekommen, habe aber gleichzeitig alles dafür getan, daß der Krieg reibungslos verlief. 80 Prozent aller Militärtransporte der USA seien von deutschen Flughäfen und Stützpunkten aus geflogen worden, und nach dem Krieg gingen die Transporte für die Besatzung im Irak unter Nutzung der Infrastruktur in der Bundesrepublik weiter. Die NATO unterstützte die Besatzung durch Ausbildung irakischer Polizisten und Militärs; in diese Programme sei die Bundeswehr als „Musterknabe der NATO“ als erste eingestiegen. Angesichts dessen, was sich im fortdauernden Krieg im Irak abspielte, müsse man das Verhalten der Bundesregierung als „Beihilfe zum Massenmord“ qualifizieren, so Pflüger.

Das Auditorium wirkte bei dieser Anhörung intensiv mit. Nachgefragt wurde u.a., wie sich das Tribunal zu den „offiziellen“ Rechtsinstitutionen in Beziehung setzt. Hier ergab sich eine spannende Diskussion über die Wechselwirkungen zwischen Recht und Politik. Aus der realistischen Erkenntnis, dass heute kein „offizielles“ Gericht die in den Anhörungen nachgewiesenen Verbrechen verhandeln wird, muss die internationale Friedensbewegung den Fall selbst in die Hand nehmen.
Der Frankfurter Poltikwissenschaftler Sabah Alnasseri sieht den Krieg gegen sein Geburtsland als “gewaltsame Öffnung des Irak für eine neoliberale Verwertungsstrategie”. Im Irak habe eine zentralisierte Staatsökonomie existiert, in der ein Teil des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten der breiten Bevölkerung investiert wurde: in Bildung, Gesundheit, Renten … Jetzt stehe erklärtermaßen die Privatisierung aller Bereiche auf der Tagesordnung. Politisch werde eine Strategie der Kantonisierung und Fraktionierung verfolgt: die Provisorische Regierung sei nach ethnischem und religiösem Schlüssel zusammengesetzt worden, dieses „neofeudale“ Prinzip solle künftig erhalten bleiben. Das widerspreche der politischen Tradition des Landes, wo sich nach der Unabhängigkeit ein nationalstaatliches, weltliches Bewußtsein entwickeln konnte.

Zum Beweis der im Irak begangenen Kriegsverbrechen wurden verschiedene Medien herangezogen: ein Video über die Plünderung der irakischen Kunstschätze, die Bilder der Folterungen in Abu Ghraib, der Film von Prof. Siegwart-Horst Günther, der die Wirkungen von Uranmunition dokumentiert. Er zeigt entsetzliche Bilder von krebskranken und missgebildeten Kindern, Interviews mit Armeeangehörigen, die mit Uranmunition in Kontakt waren. Günther und der Regisseur des Films, Frieder Wagner, gaben weitere Auskunft. Dazu gehört: Die Entwicklung dieser Uranmunition ist deutsche Wertarbeit, geleistet bei den Firmen Rheinmetall und Messerschmidt-Bölkow-Blohm.

Elvira Hoegemann, der Artikel erschien zuerst in der jungen Welt vom 9.11.04