Gemeinsam für gemeinsame Interessen
(Vorschlag für eine gemeinsame Stellungnahme der ver.di-Mitglieder im Kieler Bündnis)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in unserer Gewerkschaft gibt es kontroverse Diskussionen darüber, ob Proteste gegen Hartz IV vor und in den Arbeitsagenturen und Sozialämtern berechtigt und unterstützenswert sind. Wir, ver.di-Mitglieder im Kieler Bündnis gegen Sozialabbau und Lohnraub, stehen solchen Protesten (zum Beispiel am 6.11. in Nürnberg und am 3.1. in verschiedenen Agenturen) positiv gegenüber und werden uns zum Teil an ihnen beteiligen.
Wir möchten darüber mit Euch ins Gespräch kommen. Unsere Position entwickeln wir im Folgenden in Auseinandersetzung mit einem Artikel in unserer Zeitung “publik”.
In einem Artikel in der ver.di-Zeitung “publik” (Okt. 04) schreibt Gundula Lasch: “Viele ver.di-Mitglieder sind Betroffene von Hartz IV. Nicht nur Erwerbslose, sondern auch Beschäftigte der Arbeitsagenturen und Sozialämter sowie der Sozialverbände.”
Das stimmt, wenn man mit „Betroffenheit” meint, alle genannten Personen hätten irgendwie damit zu tun. Ansonsten ist die Betroffenheit zunächst einmal durchaus unterschiedlich: Die einen leiden unter dem Sozialkahlschlag, die anderen sollen ihn umsetzen. Ist es deshalb richtig, wenn die Kollegin weiter schreibt: “Gar nicht so einfach, die unterschiedlichen Interessen auf einen Nenner zu bringen”? Und später: “Für ver.di eine schwierige Gemengelage. Sie hat die Interessen all ihrer Mitglieder zu vertreten. Funktioniert das ver.di-Motto `Solidarität im neuen Format´ auch jetzt?”
Wenn diese Fest- bzw. Fragestellungen richtig sein sollten, müsste uns jemand erklären, worin die gegensätzlichen Interessen der betroffenen Mitgliedergruppen bestehen sollen. Worin bestände das Interesse der KollegInnen in Arbeitsagenturen und Sozialämtern (die Sozialverbände nehmen wir hier mal aus, da dabei Unternehmerinteressen ins Spiel kommen) an der Umsetzung von Hartz IV?
Ein solches Interesse gibt es nicht. Es sei denn, man setzt das Interesse
am Erhalt eines Arbeitsplatzes gleich mit völliger Ignoranz gegenüber
dem, was man da tut. Eine solche Einstellung unterstellen wir den KollegInnen
ausdrücklich nicht. Und als abhängig Beschäftigte sind die
Beschäftigten in Agenturen und Ämtern nicht erst bei eventuellem
Arbeitsplatzverlust von Hartz IV betroffen, sondern heute schon demselben
mit diesem Gesetz einhergehenden und damit auch beabsichtigten Druck auf
Arbeitszeiten, Entgelt und andere Tarifbestandteile ausgesetzt, wie alle
anderen KollegInnen im Öffentlichen Dienst und in der Privatindustrie.
Deshalb besteht Solidarität in jedem Format auch nicht in der
Kompromissfindung zwischen unterschiedlichen Interessen, sondern in der
Organisierung des gemeinsamen Widerstandes gegen Sozialabbau und Lohnraub.
Darin sehen wir die Aufgabe unserer Organisation, unserer Gewerkschaft
ver.di.
Absolut nicht einverstanden sind wir mit der Behauptung: “Nicht nur
objektive Pluspunkte für Betroffene sind Anlass, etwas Dampf aus der
Parole `Weg mit Hartz IV´ zu nehmen.” Zunächst einmal: Die “objektiven
Pluspunkte” – “es gibt auch Regelungen, die für die Betroffenen Verbesserungen
bringen. Beispielsweise, dass die Dienstleistungen nun aus einer Hand erbracht
werden, dass Vermittlungs- und Qualifizierungsaktivitäten der Agentur
für Arbeit nun auch erwerbsfähigen Sozialhilfeempfängern
zukommen” (Frank Bsirske) – können doch wohl nicht dazu führen,
dass man die Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld (künftig
ALG I), die Streichung der Arbeitlosenhilfe usw. akzeptiert, die “Verbesserungen”
für einige also durch ungeheure Opfer von vielen Erwerbslosen bezahlen
lässt. Wo das Geld für soziale Besserstellung nicht allein der
bisherigen SozialhilfeempfängerInnen wirklich zu holen wäre,
kann man etlichen ver.di-Broschüren (zum Beispiel der über Steuergerechtigkeit)
entnehmen. Lassen wir dieses untaugliche Argument also beiseite, so bleibt
wieder nur der Verweis Interessengegensätze (was auf die Akzeptierung
von Hartz IV gerichtete Interessen der in Agenturen und Ämtern Beschäftigten
unterstellt), um zu begründen, dass die Proteste gegen Hartz IV höchstens
noch halbherzig unterstützt werden. Damit sollten wir uns nicht abfinden.
Schließlich zitiert Kollegin Lasch noch den Vorsitzenden des ver.di-Bundeserwerbslosenausschuss, Peter Heller. : “Keiner von uns will Hartz IV”. Na also! “Uns ist klar, dass die Kolleginnen und Kollegen in den künftigen Arbeitsgemeinschaften diese neuen Gesetze nicht gemacht haben und auch nur ihren Job tun.” Okay. “Deshalb erklären wir ausdrücklich unsere Solidarität mit ihnen.” – Wobei? Gut: Solidarität im Kampf gegen Überlastung und Überforderung und auch gegen befürchtete körperliche Angriffe wird zu Recht gefordert. Aber offenbar geht es generell um die Abwehr von Protesten gegen den Sozialkahlschlag in den Arbeitsämtern, denn das erklärt Kollege Heller für den “falschen Weg”, und Gundula Lasch schreibt: “Die erwerbslosen ver.di-Aktiven wenden sich auch gegen die Pläne zur Besetzung der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg oder zur Besetzung regionaler Arbeitsagenturen.” Das ist nun in der behaupteten Allgemeinheit so eindeutig falsch, dass es gleich im übernächsten Satz wieder dementiert werden muss.
Gespräche zwischen Beschäftigten der Arbeitsagentur und der
Sozialämter sowie KollegInnen, die erwerbslos und/oder in Initiativen
wie dem Kieler Bündnis aktiv sind, halten wir auch in unserer Stadt
für ein geeignetes Mittel, Missverständnisse und Vorbehalte auszuräumen.
Unsere Position als ver.di-Mitglieder im Kieler Bündnis ist klar:
Wir werden versuchen, die Proteste gegen Hartz IV und die Agenda 2010 fortzusetzen.
Wir halten es für berechtigt, diese Proteste in geeigneter Form auch
dort vorzutragen, wo die Hartz-Gesetze exekutiert werden: Bei der Arbeitsagentur
und den zukünftigen “Job-Centern”. Wir wenden uns dagegen, die dort
beschäftigten KollegInnen grundlos anzufeinden. Wir halten es aber
auch für notwendig, dass diese KollegInnen im Bewusstsein unserer
gemeinsamen Interessen und der Richtigkeit der von ver.di selbst gegen
die herrschende Politik vorgebrachten Argumente den Protest unterstützen
bzw. an ihren Arbeitsplätzen um Verständnis für die Protestierenden
werben. ...