Kommentar

Pandora-Büchsen

Der IG Metall wachsen die Folgen ihres Tarifabschlusses, der die Möglichkeit der Abweichung vom Flächentarif und die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche in einzelnen Betrieben ermöglicht, über den Kopf. IGM-Chef Peters erklärte, man habe eine Tür geöffnet, durch die jetzt möglichst viele wollten; das Ganze drohe eine uferlose Angelegenheit zu werden; hier sei „die Büchse der Pandora“ geöffnet worden. Peters: „Wir müssen auch wieder Nein sagen“, denn: die moderate Lohnpolitik der IGM habe nur den Profit der Unternehmer gesteigert ... Erstaunliche Einsichten.

Zeitgleich allerdings demonstriert die IG Metall, dass sie viel Spaß am Öffnen weiterer Pandora-Büchsen findet. Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen: Wenn sie in Betrieben der Abkehr vom Flächentarifvertrag zustimmt, dann sollen die Nicht-Organisierten größere Opfer bringen. So zahlt ein Betrieb in Bergneustadt einen „Mitglieder-Bonus“ von 100 Euro pro Jahr und IG-Metaller, weil die Gewerkschaft einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit um 2,5 Stunden für zwei Jahre zugestimmt hat. (Die anderen dürften jeweils ungefähr 300 Euro pro Jahr an Gewerkschaftsbeitrag sparen.) Ein Viersener Betrieb kehrte von der 30- zur 35-Stunden-Woche zurück – bei nur teilweisem Lohnausgleich, dafür sollen IGM-Mitglieder von betriebsbedingten Kündigungen ausgenommen werden.
Ich habe nicht die geringste Sympathie für TrittbrettfahrerInnen. Aber „abgefederter“ Verzicht – die Annahme eines Hand- und Schweigegeldes für die Mithilfe bei der Steigerung der Unternehmerprofits durch Lohnsenkung und Arbeitsplatzvernichtung – wird uns keine dauerhafte Anhängerschaft gewinnen. Nicht von der Hand zu weisen sind auch die Bedenken des bayerischen IGM-Vorsitzenden Neugebauer: „Was machen wir denn, wenn die Arbeitgeber anbieten, nicht organisierten Belegschaftsmitgliedern einen Sonderbonus zu bezahlen?” –

„Die Bonusidee der IG Metall – ein guter Impuls zur rechten Zeit!“ Das behauptet ein Herr Steibli in der FR vom 22.11. Gleichzeitig fordert er den Verzicht auf allgemeinpolitische Forderungen und die Beschränkung der Gewerkschaften auf Lobbyarbeit in Betrieben und Branchen, weil es gemeinsame Interessen aller abhängig Beschäftigten nun mal nicht gäbe. Und dieser Mensch ist Pressesprecher von ver.di in Hessen!  Auch Abwehrkämpfe müssen mit Verstand geführt werden. Sonst verlieren wir mehr als nur eine Tarifauseinandersetzung.

   (D.L.)