Wahlalternative wird Partei:

Wohin geht die Reise?

Die Wahlalternative für Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG) hielt am 20. und 21. November in Nürnberg ihren ersten Bundeskongress ab. Beschlossen wurde unter anderem mit großer Mehrheit, eine Urabstimmung über die Gründung einer Partei unter den inzwischen rund 6.000 Mitgliedern durchzuführen. Die soll noch im Dezember abgeschlossen werden, damit man im Januar die Gründung vollziehen kann. Die Teilnahme an den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen ist bereits so gut wie beschlossen. Wir sprachen mit Björn Radke, der Mitglied des hiesigen Landesvorstandes ist und zugleich in Nürnberg in den Bundesvorstandes gewählt wurde. (wop)

LinX: Um die Wahlalternative war es zuletzt etwas ruhiger geworden. Geht es nach der Bundeskonferenz mit neuem Schwung weiter?

Björn Radke (B.R.): Ich denke schon. Man konnte spüren, wie ein Ruck durch die Mitgliedschaft ging. Bisher waren wir sehr mit Aufbau und Konsolidierung von Gruppen beschäftigt.

LinX: Wie weit ist in Schleswig-Holstein der Aufbau der WASG gediehen?

B.R.: Wir haben inzwischen knapp 300 Mitglieder. Im Hamburger Speckgürtel sind wir am besten organisiert. Auch in Kiel sieht es schon ganz gut aus. In den meisten etwas größeren Städten gibt es Ortsgruppen, aber wir haben keinen Grund, die Beine hoch zu legen. Es müssen noch mehr Mitglieder geworben werden.

LinX: Die WASG hat inzwischen auch eine Programmdebatte. Wo siehst Du die Knackpunkte?

B.R.: Ein ganz wichtiger Punkt ist, dass wir nicht den Eindruck vermitteln, wir wollten zurück in die 70er. Wir brauchen eine Debatte darüber, wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll. Wie gestalten wir diese, damit sich möglichst viele Menschen daran beteiligen.

LinX: Wenn man aus den eher sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Kreisen der WASG hört, der Sozialstaat solle verteidigt werden, dann klingt es schon ein wenig nach "Zurück zu den 70ern".

B.R.: Es geht um etwas anderes. Die Agenda 2010 und die von den bürgerlichen Parteien vertretene Variante dieser Agenda bedeuten im Kern die Generalrevision der sozialstaatlichen Regulierung des Kapitalismus. Nach den Katastrophen der zwei Weltkriege sollten durch den Sozialstaat die existentiellen Risiken Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alterssicherung durch kollektive Umlagesysteme bewältigt werden. Demzufolge wurde die Autonomie der Unternehmen durch Gesetze, durch Tarifverträge und soziale Aktionen beschränkt. Viele Menschen wurden damit an die parlamentarische Demokratie herangeführt. In der Logik der Agendareformer von heute aber ist dieser Sozialstaat, mittlerweile "zu teuer", "zu parasitär", "zu leistungshemmend", zu "wachstumsfeindlich", zu "paternalistisch". Wird das Sozialstaatsprinzip gekippt, ist die Demokratie in Gefahr. Deswegen sind wir für machbare Konzepte, die zeigen, dass auch ohne eine Systemänderung soziale Rechte verteidigt werden können. Wir müssen zeigen, dass es wirtschaftliche Steuerungsmöglichkeiten gibt, die real umsetzbar sind, wenn es politisch gewollt wäre. Aber letztlich müssen wir weiter gehen: Wir brauchen ein neues Sozialstaatsmodell für das 21. Jahrhundert.

LinX: Was heißt das bezogen auf Fragen wie Grundsicherung oder Zukunft der Lohnarbeit?

B.R.: Wir brauchen eine Bürgerversicherung, die alle Haushalte und alle Einkommen erfasst und die Finanzierung qualitativ hochwertiger Gesundheitsdienstleistungen sicherstellt. Die Altersrenten müssen den Lebensstandard sichern und armutsresistent sein. Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Lohnarbeit wird es immer geben. Es ist schon so, dass die Menschen Erwerbstätigkeit brauchen, weil sie sich ja auch darüber definieren. Wie die Arbeit aber in Perspektive organisiert werden sollte, ist eine Debatte, die noch geführt werden muss.

LinX: Kann man mit der WASG eine Kampagne für die radikale Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf zum Beispiel 30 Stunden in der Woche machen?

B.R.: Für die aktuelle Tagespolitik halte ich es nicht für besonders realistisch. Aber natürlich müssen wir nicht mehr, sondern weniger arbeiten. Aber auf die Zahl, ob nun 28 oder 32 Stunden, möchte ich mich nicht festlegen. Es geht mir vor allem ums Prinzip, nämlich darum, dass man deutlich macht, dass die Verlängerung der Arbeitszeit, wie wir sie derzeit erleben, Arbeitsplätze kaputtmacht.

LinX: Wie sieht es mit den schleswig-holsteinischen Landtagswahlen im Februar aus? Da werdet Ihr sicherlich nicht antreten, oder?

B.R.: Es gibt natürlich Stimmen bei uns, die das gerne würden. Aber das wäre eindeutig zu früh. Darum sollten wir uns eher darauf konzentrieren, in NRW zu helfen, falls es dort zur Kandidatur kommt.

LinX: Und wie verhaltet Ihr Euch? Wird es eine Wahlempfehlung geben?

B.R.: Eines ist sicherlich klar: Wir werden uns nicht hinstellen und sagen, es ist uns egal ob demnächst der Ministerpräsident Peter Harry Carstensen heißt.

LinX: Empfiehlt die WASG die Wahl der SPD?

B.R.: Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber wir wollen uns an den Debatten beteiligen und auch dafür sorgen, dass Menschen, die sich bereits aus der Politik verabschiedet haben, die nicht mehr wählen gehen, wieder in die Diskussion mit einbezogen werden.