Betrieb & Gewerkschaft

Die SPD, der Ladenschluss und die Sonntagsarbeit

Grundgesetz Artikel 139: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Anfang November: Die Landesregierung bzw. deren Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales genehmigt durch Landesverordnung bei Motorola Sonntagsarbeit. (Irgendein irgendwie demokratisches Gremium braucht in einem solchen Fall nicht gefragt zu werden!).

Auf der Kieler Kundgebung "Jetzt ist aber Feierabend!" für den Erhalt des Ladenschlussgesetzes in Kiel am 18.11. (ca. 150 Teilnehmende) sprach sich der Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Jürgen Fenske, für eine Verlängerung der gesetzlichen Ladenöffnung bis 22 Uhr an Wochentagen aus - aber gegen Sonntagsöffnung und -arbeit. Die Teilnehmer des Fackellaufes waren wohl mehr als die Kunden die zu der Zeit noch in der Einkaufsstrasse waren.

Am 25.11. trafen sich ca. 120 Betriebsratsvertreter und Funktionäre der Gewerkschaften DAG und HBV zum Handelstag. Berichtet wurde über die außerordentlichen Gewerkschaftstage, bei denen es um die vereinigte Diensleistungsgewerkschaft (ver.di) ging. Von allen beteiligten Gewerkschaften waren Vertreter dort. Nachmittags wurde in drei Arbeitsgruppen (zu kurz) über Tarifpolitik, weitere Zusammenarbeit und Vorgehen beim Ladenschluss gesprochen. Eingeladen war auch die Ministerpräsidentin Heide Simonis, und alle warteten eigentlich nur darauf, was sie zum Thema Ladenschluss sagen würde. Das war dann sehr "verschlüsselt": Zur Stärkung der Innenstädte müsse eine andere Lösung gefunden werden, als in der Diskussion um den Ladenschluss vorgeschlagen wird. Es sei nötig, eine einheitliche Regelung für alle zu finden (weil es jetzt schon so viele Ausnahmen gibt, z.B. in Mecklenburg-Vorpommern, und zurückdrehen könne man die Regelungen dort kaum, weil damit Arbeitsplätze gesichert würden). Möglicherweise könne demnächst eine Anweisung aus Europa kommen, die eine Angleichung der Öffnungszeiten fordere, und dann seien wir unvorbereitet, ähnlich wie bei der Liberalisierung des Strommarktes. Wenn eine Lösung gefunden werden solle, dann sei das nur im "Bündnis für Arbeit" möglich. Zusammenfassend stellte Simonis fest, dass die SPD in S.-H. zum Thema Ladenschluss noch keine Entscheidung getroffen habe. Das wusste Herr Fenske aber offenbar noch nicht.

Als Geschenk zum Nikolaustag dann wieder ein Erlass aus Frau Mosers Ministerium: Wegen zu erwartender Engpässe bei der Versorgung der Touristen (gemäß § 23 Ladenschlussgesetz), welche an den Feiertagen zum Jahreswechsel erwartet werden, erlaubte das Ministerium die Öffnung der Geschäfte, die sonst unter die Bäderregelung fallen (= Ausweitung der Bäderregelung) an den Sonntagen 26.12.99 und 2.1.2000 - auf Wunsch der Industrie und Handelskammer. Ein Sturm der Entrüstung von Vertretern der Beschäftigten im Handel führte zu dem (einmaligen) Ergebnis, dass am 14.12. die Erlaubnis für den 26. zurückgenommen wurde. Als Kommentar dazu dokumentieren wir ein Schreiben der Fachgruppe Einzelhandel der HBV:

"Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, mit großer Bestürzung und Verwunderung mussten die Mitglieder der Bezirksfachgruppe Einzelhandel der Gewerkschaft HBV S.-H. die vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales erlassene Verordnung zur Ausweitung der Bäderregelung am 26.12.1999 und 2.1.2000 zur Kenntnis nehmen.

Besondere Verwunderung löst diese Verordnung vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen zur ausufernden Sonntagsöffnung im Einzelhandel auf dem gemeinsamen Handelstag der Gewerkschaften HBV und DAG in Büdelsdorf aus. (...) Die herangezogene Begründung, dass die große Zahl von Gästen zu einem erheblichen Versorgungsengpass führen werde, konnte von den Anwesenden aus der betrieblichen Praxis in keiner Weise nachvollzogen werden.

Alle Lebens- und Berufserfahrung zeigt, dass bei durch die Lage der Feiertage bedingten langen Wochenenden die vom Ministerium angeführten Versorgungseinkäufe spätestens am Freitag getätigt werden. Dies gilt sowohl für die einheimische Wohnbevölkerung wie auch für anreisende Gäste. Diese Versorgungseinkäufe sind sowohl am 24.12. als auch am 31.12. möglich.

Für die Betroffenen im Einzelhandel S.-H. würde das heißen, nach dem wohl unstrittig sehr belasteten Weihnachtsgeschäft würde ihnen die Möglichkeit genommen, am Weihnachtswochenende und Neujahrswochenende die nötige Kraft im Kreise ihrer Familien zu schöpfen. Auch vor dem Hintergrund, dass in vielen Einzelhandelsunternehmen in der jeweils letzten bzw. ersten Jahreswoche zusätzlich zum laufenden Verkauf, Inventurarbeiten durchgeführt werden müssen, erscheint diese Verordnung nachgerade als Provokation.

Die Zerstückelung des Weihnachtsfestes für die Familien der Betroffenen scheint, in dieser Form wohl einmalig, billigend in Kauf genommen zu werden.

Mit Blick auf die vom Sozialministerium vorgesehenen Sonderöffnung Januar 2000 ist auf den bevorstehenden technischen Jahrtausendwechsel hinzuweisen. Hierzu sind ohnehin bereits Beschäftigte zu Bereitschaftsdiensten herangezogen und belastet.

Die anwesenden Betriebsräte fordern Sie daher nachdrücklich auf, Einfluss auf ihre Ministerkollegin auszuüben, um diese unsinnige Verordnung insgesamt rückgängig zu machen."

In der AG Betrieb & Gewerkschaft der PDS haben wir im Zusammenhang mit den ausufernden Sonntagsöffnungen beraten, dass es sinnvoll wäre, die Landesregierung aufzufordern, ein Gremium einzurichten, welches über Sondergenehmigungen bei der Sonntagsarbeit zu entscheiden hat. Dieses müsste mit Vertretern aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen besetzt sein (z.B. in Bayern existiert bereits ein solches Gremium).

(brg)