Internationales

Südkorea:

Gewerkschaften machen wieder mobil

In Südkorea haben zum Jahresende die Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschaften, Bauernverbänden und Studenten auf der einen und der Regierung auf der anderen Seite wieder zugenommen. Selbst der konformistische, einst von den Militärdiktatoren gegründete Gewerkschaftsdachverband FKTU (Föderation Koreanischer Gewerkschaften) gerät in Widerspruch zur wirtschaftsfreundlichen Politik des Präsidenten Kim Dae-jung. Der Verband, der etwas über eine Million Mitglieder vertritt, kritisiert geplante Änderungen des Arbeitsrechts, das unter dem Vorgänger Kims Anfang 1997 nach einem militanten Generalstreik verabschiedet worden war. Das Gesetz sieht vor, dass ab dem Jahre 2001 den Unternehmen die Bezahlung von Gewerkschaftsfunktionären verboten werden soll. Eine Regelung die von der FKTU wie auch von dem kämpferischen Konkurrenzverband KCTU (Koreanische Gewerkschafts-Konföderation) heftig kritisiert wird. Dazu muss man wissen, dass in Südkorea nur Betriebsgewerkschaften zugelassen sind. Die Arbeiter wählen in den Betrieben ihre Gewerkschaftsvorstände. Deren Bezahlung ist über Verträge mit den Unternehmern gesichert. Die Regierung will das drohende Verbot dieser Regelung zwar abschwächen, jedoch nicht ganz abschaffen. Des Weiteren plant sie, die Zahl der freigestellten Gewerkschaftsfunktionäre gesetzlich zu beschränken.

Für den 17.12. rief der FKTU seine Mitgliedsorganisationen zu einem vierstündigen Warnstreik auf. 100.000 Arbeiter beteiligten sich. Ein zweiter, größerer Streik sechs Tage später scheiterte allerdings kläglich, da die Mitglieder den Aufrufen nicht folgten. Zu den Forderungen der Streikenden gehörte auch die Verkürzung der Arbeitswoche von 44 auf 40 Stunden. Aufgrund des Streits um die Änderungen am Arbeitsgesetz hat sich nach dem KCTU auch der FKTU aus der Gesprächsrunde mit Unternehmern und Regierung zurückgezogen. Der Verband droht damit, der Regierungskoalition in den im Frühjahr stattfindenden Parlamentswahlen die Unterstützung zu verweigern. Beobachter in Seoul halten das allerdings für eine eher leere Drohung.

Demonstration in Seoul am 10.12.

Auch die radikaleren Teile der sozialen Bewegungen Südkoreas, die auf eine lange Tradition im Kampf gegen die Militärdiktaturen zurückblicken können, machen wieder vermehrt mobil. Am 10.12. demonstrierten 20.000 Kleinbauern und Gewerkschafter in Seoul gegen die Verschuldung der Landwirte. Schuld für die zunehmend prekäre Lage der Landwirte sei die Liberalisierung des Agrarmarktes. Gefordert wurde ein Stopp der Privatisierungen staatlicher Unternehmen und ein Ausstieg aus den Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation WTO. Außerdem wandten sich die Demonstranten gegen die Benachteiligung der Frauen am Arbeitsplatz und gegen die anhaltenden Massenentlassungen im Zusammenhang mit Fusionen und Umgruppierungen in der Industrie. Eine weitere Forderung war die Freilassung aller politischen Gefangenen. Zu den Protesten hatte neben dem Bauernverband KFL (Koreanische Bauernliga) die KCTU aufgerufen. Auch zahlreiche Studenten beteiligten sich.

Nach Augenzeugenberichten kam es nach der Kundgebung zu gewalttätigen Provokationen der Einsatzpolizei, als sich die Teilnehmer zu einer Demonstration formierten. Von Seiten der Polizei heißt es hingegen, dass die Demonstration nicht genehmigt gewesen sei. Bei den Zusammenstößen wurden vier Demonstranten schwer verletzt. Ein Student verlor ein Auge. Kurz vor Weihnachten wurden wegen der Vorfälle Haftbefehle gegen die Führung des Bauernverbandes erlassen. KFL-Präsident Jung Kwan-hoon befindet sich seitdem in Haft.

Bereits einige Tage vor der Seouler Demonstration waren Polizisten gegen einen Sitzstreik der KCTU vor dem Parlamentsgebäude vorgegangen. Mehrere führende Gewerkschafter wurden verhaftet und erst nach zahlreichen internationalen Protesten einige Tage darauf wieder freigelassen. Pressemitteilungen der Gewerkschafter werfen den beteiligten Beamten große Brutalität vor und berichten von zahlreichen Verletzungen. Obwohl die KCTU Ende November endlich von der Regierung legalisiert worden sei, habe sich deren Haltung gegenüber den Gewerkschaften offensichtlich nicht geändert.

Mit ihrem Sitzstreik forderten die Gewerkschafter u.a. die Einführung der Fünf-Tage-Woche und die Abschaffung des Nationalen Sicherheitsgesetzes. Das aus der Zeit der Diktatur stammende Gesetz dient auch unter dem einstigen Oppositionellen Kim Dae-jung zur Verfolgung missliebiger Kritiker. Allein 1999 wurden unter Berufung auf dieses Gesetz mehrere hundert Gewerkschafter hinter Gitter gebracht.

Während die KCTU in ihrer Neujahrsbotschaft zum verstärkten Kampf für die Fünf-Tage-Woche und gegen das Nationale Sicherheitsgesetz aufruft, herrschte an der Börse in Seoul Hochstimmung. Aktienhändler feierten ausgelassen die Kursgewinne des zurückliegenden Jahres. Um stattliche 82,78% hatte der Aktienindex seit Anfang 99 zugelegt und damit das Vorkrisenniveau vom Spätsommer 97 nicht nur eingeholt, sondern weit hinter sich gelassen. Beigetragen hatte dazu die ab Anfang 98 erfolgte schrittweise Liberalisierung des Aktienmarktes, die ausländischen Investoren den Erwerb von Anteilen koreanischer Unternehmen wesentlich erleichtert. Vor allem aber versetzten Aufsehen erregende Wachstumsdaten die Broker in einen Kaufrausch. Im dritten Quartal 99 legte das Bruttosozialprodukt im Vergleich zum Vorjahr um 12,3% zu. Die industrielle Auslastung ist binnen Jahresfrist um 10% auf knapp 80% gestiegen. Einige Beobachter fürchten bereits, die Wirtschaft des ostasiatischen Landes könnte bald Probleme mit einer überhitzten Konjunktur bekommen. Wirtschaftsminister Kang Bong-kyun erklärt zwar in seiner Neujahrsbotschaft, dass sich die Regierung der Inflationsgefahr bewusst sei, will jedoch im neuen Jahr die Politik niedriger Zinsen beibehalten.

Weniger rasant entwickelten sich die Arbeitslosenzahlen. Zwar hat sich 1999 die Zahl der Erwerbslosen um ein Drittel vermindert, doch werden noch immer etwas über eine Million Arbeitsuchende registriert. Die Anzahl der länger als ein Jahr Erwerbslosen ist hingegen deutlich langsamer zurückgegangen, so dass ihr Anteil an den Erwerbslosen auf 15% gestiegen ist. Ein Anzeichen dafür, dass in dem ostasiatischen Tigerstaat die industrielle Entwicklung so weit fortgeschritten ist, dass sich strukturelle Arbeitslosigkeit zu einem Massenphänomen auswächst. Auch die gestiegene Zahl der Überstunden erinnert an deutsche Verhältnisse: Ende 99 wurden in der Industrie wöchentlich im Durchschnitt 5,6 Überstunden pro Beschäftigtem geleistet, womit die mittlere Wochenarbeitszeit 47,3 Stunden betrug. Schließlich bleibt auch die Jugendarbeitslosigkeit mit rund 10% überdurchschnittlich hoch.

Viele der Arbeiter, die aus der Arbeitslosenstatistik verschwunden sind, müssen sich mit befristeten Verträgen über Wasser halten. Ein Fünftel der Beschäftigten waren Ende 1999 Tagelöhner, ein weiteres Drittel hatte nur Zeitverträge von meistens unter einem Jahr. Die koreanischen Gewerkschaften stellt das vor erhebliche Probleme, da per Gesetz nur derjenige Mitglied einer (Betriebs-) Gewerkschaft sein kann, der einen Arbeitsplatz hat. Mit dem Arbeitsplatz verlieren die Arbeiter also auch automatisch ihre Mitgliedschaft. Die prekär Beschäftigten lassen sich daher nur schwer organisieren. Ein Umstand, den sich viele Unternehmer zu Nutze machen, um Löhne zu drücken. Aufgrund zahlreicher Proteste sah sich die Regierung inzwischen gezwungen, die rechtliche Lage dieser Gruppe zu verbessern. Die Gewerkschaften sprechen dennoch von einer sich weiter öffnenden Schere zwischen Arm und Reich. 10 der 46 Millionen leben nach offiziellen Maßstäben unterhalb der Armutsgrenze.

Die Führung der KCTU sieht im Aufbau von Industriegewerkschaften und einer Zentralisierung der Gewerkschaftsbewegung eine Antwort auf die Probleme der zunehmenden Flexibilisierung. So könnten nach ihrer Auffassung auch die Arbeiter in Kleinbetrieben endlich organisiert werden. Bisher konzentrieren sich die koreanischen Arbeiterorganisationen auf die Großbetriebe. Mit der zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors und der dort vorherrschenden Kleinbetriebe ist der Organisationsgrad von 18,4% 1990 auf 12,6% 1998 gesunken. Die größten Mitgliederverluste hatten die Gewerkschaften bereits vor dem Ausbruch der Krise zu verzeichnen. Im Krisenjahr 98 ist der Mitgliederstand hingegen nur kaum gesunken. Ein Teil der entlassenen KCTU-Mitglieder organisiert sich im Verband der Entlassenen, der formal zwar keine Gewerkschaft ist, jedoch dem Dachverband assoziiert ist. Wegen seines militanten Auftretens bei Demonstrationen ist er allerdings bei der Gewerkschaftsführung nicht besonders gut gelitten.

Diese wiederum gerät innerhalb der Organisationen unter Kritik, da linke Basiskomitees in den Großbetrieben ihr Konzept der Industriegewerkschaft kritisieren. Die in der nationalen Koordination der Arbeitsplatzkomitees zusammengeschlossenen Gruppen befürchten den Abbau der innergewerkschaftlichen Demokratie. Im Rahmen der bisherigen Konstruktion sind die Betriebsgewerkschaften weitgehend autonom, wodurch die Entscheidungen basisnäher gefällt werden können. Hinzu kommt, dass die Komitees befürchten, dass mit der Zentralisierung auch sozialpartnerschaftliche Konzepte durchgesetzt werden könnten. Bereits seit einigen Jahren beobachten sie die sozialpartnerschaftlichen Neigungen einiger KCTU-Führer mit Misstrauen und würden auch deshalb ungern Macht an die Zentrale abgeben. Die Seouler Gewerkschaftsführung hat seit dem Antritt des neuen Präsidenten Kim Dae-jung im Frühjahr 98 ständig zwischen der Teilnahme an den Drei-Parteien-Gesprächen mit Unternehmern und Regierung einerseits und der Drohung mit Generalstreik andererseits hin und her geschwankt. Neue Nahrung bekommt die linke Kritik in jüngster Zeit durch Pläne für den Aufbau einer Demokratischen Arbeiterpartei, die von Teilen der KCTU-Führung vorangetrieben wird. Ende Januar soll ein Gründungskongress stattfinden, zu dem u.a. Vertreter der deutschen und französischen Sozialdemokratie eingeladen sind.

(wop)