Herr, send' Hirn!

Große Klappe und nichts dahinter! Man könnte meinen, der Jahreswechsel 99/00 wäre eine dieser hybriden Inszenierungen eines Privatsenders gewesen. Erst monatelang vollmundiges mit ständig neuen Superlativen belegtes Millenniumsgedröhn, gern auch mal mit einigen Katastrophen- oder Untergangsszenarien angereichert, und dann diese fast schon gespenstisch banalen ersten 2 Wochen des neuen Jahrtausends. Die Welt, sowohl die mehr oder weniger kleine des/der Einzelnen als auch das übrige Geschehen drumherum präsentierte sich genauso grausam, erbärmlich, trist und hoffnungslos wie in den letzten 14 Tagen vor Sylvester.

Okay - so ein Krater, wie der unter dieser Wattenscheidter Garage unter der gesamten "Berliner Republik" oder "Lassa-Fieber" bei allen Kielern, die den Neujahrsemfang des OB Gansels besucht haben, das wären doch Ereignisse, die eines neuen Jahrtausends würdig gewesen wären, aber doch nicht das im Grunde genommen ihrem Selbstverständnis gemäße Finanzgebaren einer bürgerlichen Partei. Ein Rätsel warum TV-Kommentatoren Abend für Abend völlig erschüttert über neu bekannt gewordene Details der so genannten CDU-Spenden-Affäre berichteten. Macht korrumpiert nun mal, und das Verteilen von Geldgeschenken zum Durchsetzen wirtschaftlicher Interessen gehört zum Job eines Lobbyisten - diese Essentials des Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, in dem der Markt alles regelt, müsste doch auch der einfältigste Journalist so langsam mal verstanden haben. Kurz - dieser Skandal war zunächst einfach nur strunzlangweilig.

Bemerkenswert wurde es erst, als die hessische CDU sich rechtfertigen musste. Ihr ins Ausland verschobenes Parteivermögen log sich die Partei munter als Nachlass reicher, anonym bleiben wollender reicher Juden zurecht. Schon das ein Hammer: "Reiche Juden" hatten in den letzten Jahren in der CDU eher andere Funktionen. Entweder musste man sie "erschlagen", um einen soliden Finanzhaushalt zu bekommen (CDU-Ortsverband Korschenbroich), oder man unterstellte Ihnen, "sich immer dann zu Wort zu melden, wenn es in deutschen Kassen klimpert" (CSU-Abgeordneter Fellner). Eine besonders zynische Komponente dieses Hantierens mit antisemitischen Stereotypen ist die Tatsache, das die hessische CDU einen beträchtlichen Teil des verschobenen Geldes in ihren populistisch-rassistischen Wahlkampf vor einem Jahr steckte. Dank der Unterschriften-Kampagne gegen die "Doppelte Staatsbürgerschaft" kam es zu einem Wahlsieg der CDU.

Auch als erklärter Gegner von "Neurolinguistischem Programmieren" und "Positive Thinking" konnte man trotz allem in den letzten beiden Wochen kurze Momente des Glücks und der Freude erleben. Einen davon bescherten Kieler StudentInnen eines Präparationskurses an der Uni-Klinik. Sie feierten einen Gottesdienst zu Ehren derer, die ihre leibliche Hülle der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Ein kleines Zeichen der Hoffnung in einer Welt, in der menschliches Leben immer weniger zählt. Trost spendete auch Volker Rühe bei einem TV-Interview - wahrscheinlich in erster Linie sich selbst: Über Dinge, die eh schon passiert und nicht mehr zu beeinflussen seien, verschwende er keinen Gedanken mehr. Das Glas Wasser, das er umschütte, so Rühe, hätte er schon vergessen, bevor es auf dem Teppich ausgelaufen sei. Wem auch diese gegen so ziemlich alle Kümmernisse immun machende Lebensweisheit als Stimmungsaufheller noch nicht genügt, der sollte dem Sky-Markt in Gaarden-Süd einen Besuch abstatten. Dort darf man jetzt mit "Watson, dem sprechenden Einkaufswagen" einkaufen und erhält so "eine ganz neue Chance, die Einkaufswelt zu erleben". Und das ist doch was!

(cs)