Kultur

Thomas Brussig erhielt den Fallada-Preis der Stadt Neumünster

Das richtige Leben im falschen

"Der Osten war ein einziges Schützenfest, bei dem alle Schüsse nach hinten losgingen." Ein Schlüsselsatz, den Thomas Brussig da einer Figur aus seinem Roman "Am kürzeren Ende der Sonnenallee" in den Mund gelegt hat. Aber erstmal auch ein großer Lacher. Besonders solchen "burlesken Witz" lobt die Jury in der Verleihungsurkunde des diesjährigen Fallada-Preises der Stadt Neumünster. Der wird alle zwei Jahre an Autoren vergeben, die in ihrem Werk "gesellschaftspolitische Probleme vorwiegend des letzten Jahrzehnts" spiegeln, wie einst der Namensgeber des Preises, Hans Fallada.

Thomas Brussig (Foto: jm)

Von dem hat der im Ostteil Berlins lebende Thomas Brussig, der 1995 mit dem frechen Wende-Roman "Helden wie wir" Furore machte, "ehrlich gesagt noch nicht viel gelesen". Fallada sei "kein schweres Kaliber in der Literatur, aber hat Zeitgeschichte auf den Punkt gebracht". Darin sieht er "eine Nähe, die ich gar nicht suchte". Denn auch Brussig ist einem zeitgeschichtlichen Phänomen auf der Spur, nämlich "dass die DDR, als sie noch existierte, niemand ertragen konnte, während sie jetzt verklärt wird". Genau für diese Paradoxie interessiert er sich, für das richtige Leben, das es, entgegen Adornos Behauptung, auch im falschen gab.

Die Initialzündung für Brussig, sich "die Enttäuschung über eine falsche Aufarbeitung der DDR" vom Leib zu schreiben, falsch deshalb, weil vom Westen dominiert, gab Hans-Joachim Maaz' Sachbuch "Der Gefühlsstau - ein Psychogramm der DDR". "Das wollte ich in Literatur umschmelzen." So hat sich Brussig den Hallenser Psychotherapeuten als Laudator erwählt. Was Brussig in seinen Büchern als skurrilen Stolz von Menschen beschreibt, denen ihre Erinnerung streitig gemacht wird, bringt Maaz in der Laudatio auf den sozialpsychologischen Punkt. Die Vereinigung sei "durch das westdeutsche Machertum zum bloßen Beitritt degardiert worden". Die Revolution von 1989 sei dadurch letztlich "peinlich" und der Jubel aus dem Westen ein "Größenwahn von Impotenten". Oder in Brussigs Worten: "Sollen sie ruhig an die Kraft glauben, die sie nie hatten, und an die Macht, die es so nie gab."

Starker Tobak, aber wohl ganz in Brussigs Sinne, der leise darüber lächelt, dass Wessis seine "Sonnenallee" mögen, weil das "endlich ein lustiges Ostbuch ist", und es damit so missverstehen wie Leander Haußmanns Verfilmung. Es gibt offenbar noch viel zu tun im Verständnis zwischen Ost und West. Und dabei haben Ossis wie Brussig die Nase vorn. Denn, so Maaz: "Spätestens seit der Affäre der CDU und ihres großen Vorsitzenden eignet sich der Osten nicht mehr als alleinige Projektionsfläche für das autoritäre Syndrom."

Das richtige Leben entwickelt sich vielleicht gerade im falschen? Das könnte Brussigs eigentliche Botschaft sein - die sein Freund Lutz Kerschowski, der die Preisverleihung musikalisch umrahmt, mit dem tiefsinnigen Witz einer Brussig-Figur bestätigt: In Anlehnung an eine DDR-Parole, die Arbeiter seien nicht der Amboss, sondern der Hammer, singt er selbstbewusst: "Ich bin kein Amboss und kein Hammer, ich bin der Schmied."

(jm)