Antimilitarismus

Wahlkampf der Wendehälse

Wie die Zeiten sich ändern! Noch im April letzten Jahres hatte der Lübecker Kreisverband der Grünen mit dem Austritt gedroht, sollten die Angriffe auf Jugoslawien nicht gestoppt werden, ein drei Viertel Jahr später bereiten sie Außenminister Fischer einen glänzenden Empfang. Es ist Wahlkampf. Am 27.2. wird über die Zusammensetzung des Landtags entschieden. Die Ex-Friedenspartei, im Lande mit zugkräftigem Personal nicht gerade reichlich gesegnet, mag auf Hilfe aus Berlin nicht verzichten. Zumal man um den vor nur vier Jahren erstmalig geglückten Einzug in den Landtag bangen muss: Seit Wochen sehen alle Umfragen den grünen Juniorpartner von Heide Simonis bei 5%. Die Wahlnacht verspricht also ein langes Bangen.

So holt man sich denn zur Unterstützung auch "den beliebtesten Politiker der Bundesrepublik", wie es beim Landesvorstand heißt. Und die ehemalige Antimilitaristin und grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer, ist sich nicht zu schade, mit ihrem Ex-Fraktionschef, der sie Jahre lang zurecht gestutzt hat, vor den Kameras zu posieren. Vor rund 1.000 Zuhörern, darunter auch viele Sozialdemokraten, konnte er seine schnodderige Demagogie entfalten. Einzelnen Zwischenrufern begegnete er mit "Wo seid ihr gewesen, als Sarajewo belagert wurde?", was mit allgemeinem Applaus bedacht wurde. Seine wesentliche Lehre aus dem Krieg: "Wir Europäer müssen uns in die Lage versetzen, dass wir unseren eigenen Weg gehen."

Etwas mehr Proteste als im Saal gab es davor. 100 bis 150 Menschen waren dem Aufruf des kleinen Lübecker Friedensforums zu einer Demonstration gegen Fischer gefolgt. Auch einige grüne Ratsmitglieder hatten zu dem Protest aufgerufen, was den Landesverband ihrer Partei dazu veranlasst hatte, versteckte Drohungen gegen sie auszusprechen. Es sei doch "problematisch", wenn man gezwungen sei, mit der Polizei gegen eigene Mitglieder vorzugehen, hatte man die Lübecker in einem Brief wissen lassen.

Doch dazu bestand kein Anlass. Die Mehrheit des Kreisverbandes hatte sich im Vorfeld für die Veranstaltung ausgesprochen. Das mit der Opposition gegen den Krieg in der Lübecker Parteiorganisation sei alles nur von der Presse aufgebauscht worden, war von einem Mitglied des Kreisvorstandes zu erfahren, das in den 80ern noch in einer etwas linkeren Partei war, für die die Grünen damals nur "Kleinbürger" waren. Jetzt hatte man nicht einmal Probleme damit, am Eingang peinliche Personenkontrollen durchzuführen, damit auch ja kein Transparent in den Saal gelangte.

Sozusagen im Vorprogramm des Stargastes sprach die grüne Frauenministerin Angelika Birk, die Beachtliches über die Regierungsbilanz zu berichten hatte. Die grünen Autobahngegner in Lübeck haben sozusagen selbst Schuld gehabt, dass man die Ostseeautobahn in der Koalition habe Schlucken müssen. (Vor vier Jahren hatte die Ex-Ökopartei mit der Opposition zum Bau der A20 Wahlkampf betrieben.) Sie hätten den Weg der "lebendigen Demokratie", d.h. den Dialog mit den Befürwortern suchen müssen. Auch über den Innenminister, der noch vor wenigen Wochen Flüchtlingsfamilien nachts zur Abschiebung aus ihren Wohnungen holen ließ, hatte sie Interessantes zu berichten: Er gelte in vielen Fragen als ein Vorreiter der Liberalität. Selbst das Bleiberecht für die Überlebenden des Brandanschlags in der Hafenstraße wollte sie auf das Konto der Koalition verbuchen, obwohl diese die Menschen Jahre lang hingehalten hatte und sich die grüne Landtagsfraktion in dieser Frage nicht gerade überarbeitet hat. Genausowenig übrigens wie in Sachen der des skandalösen Prozesses gegen Safwan Eid.

(wop)