Herr, send' Hirn!

Dass der Wahnsinn bei den Privatfunkern Methode hat, ist nichts Neues. Ein Blick in die Fernsehzeitschrift bestätigt das zu beliebigem Zeitpunkt: Sat.1, 13 Uhr: Sonja, Thema: "Ich bin doch glücklich in Deutschland, warum wollt ihr mich abschieben?" - Pro 7, 13 Uhr: s.a.m., Thema: "Kind mit drei Beinen" - RTL, 15 Uhr, Bärbel Schäfer, Thema: "Wie siehst du denn ohne Make-Up aus?". Doch dass in den Nachmittagstalks Menschen aufeinander gehetzt werden, um weinend vom TV-Pranger abzutreten, dass man persönliche Katastrophen vor die Kamera-Colts zerrt, um sie dort sensations- und selbstgerecht hinzurichten, reicht den Quotenjägern nicht mehr. Das Gesetz der kapitalen Television: Das Niveau der Menschenverachtung muss nochmals gesteigert werden. Der neue Wahnsinn heißt "Ihr seid wohl wahnsinnig!" und hat ein einfaches Rezept. Wie einst der "Running Man" (Film von 1987) in einer sadistischen TV-Show um sein Leben rennen musste, werden nun "Kandidaten" gefährlichen Spielen ausgesetzt. Dass sie dabei auch ihr Leben lassen, zumindest schwer verletzt werden könnten, macht die "Suspense" aus. Sprüche wie "und wer bekommt, falls es schief geht, deine Stereoanlage?" könnten bitterer Ernst werden. Klar, für solche Fälle gibt es Versicherungen, und hohe Preisgelder locken die Kandidaten in die Gefahr. Wer darin umkommt, hat vielleicht auch selber Schuld. Unerträglich sind allerdings die Begleitumstände dieser "Show". Da wird der Freund von Kandidatin Simone, die auf einem Motorrad durch einen "Todeskreisel" gejagt wird und dabei "schreit wie am Spieß", gefragt: "Schreit die auch so, wenn ihr im Schlafzimmer eure Runden dreht?" Aber damit nicht genug. Zu einer RTL-Show gehört neben Sexismus auch eine gehörige Portion Rassismus. Man schlägt sich auf die Schenkel über den "russischen Dorfdeppen Wladimir" und die "indischen Türsteher vom 'Oberbayern' in Delhi - hart wie Kruppstahl aber dumm wie Brot". Begäbe man sich damit nicht auf ihr niederes Niveau, möchte man da den "Moderatoren" Bärbel Schäfer und Kalle Pohl doch einfach nur noch in die Fresse schlagen.

Oder schlicht sagen: "Mir reicht's!" In einer Aufmachung, die von der knalligen Typografie her wahlweise an die BILD-Zeitung oder DVU-Werbung erinnert, tut das die PDS in einem "Stecki" zur Landtagswahl. Populistischer Tenor, denn Argumente sind in dem Machwerk nicht zu finden: Die da oben machen eh, was sie wollen, deshalb kriegen sie jetzt einen Denkzettel vom kleinen Mann auf der Straße. So organisiert man sich Protestwählerstimmen - die das nächste Mal dann wieder DVU wählen. Aber auch der PDS kommt es, extrapolierte man solche Wahlwerbung zu unrecht auf ihr Programm, offenbar nur noch auf Stimmenfang an. Man ist eben angekommen in der westdeutschen "Parteiendemokratie". Von inhaltlichem Wahlkampf nur vereinzelte Spur. Plakate kleben und "Steckis" in Briefkästen werfen ist eben einfacher (zu organisieren), als für Alternativen zu argumentieren. Und auch nur dafür gibt's aus Berlin Geld. Messbare Erfolgsbilanz: Wir haben soundsoviele Flugblätter verteilt und soundsoviele Plakate geklebt. Uns in die laufenden politischen Auseinandersetzungen wie z.B. WIBERA-Gutachten oder Abriss des Bunkers "Kilian" einzumischen (um nur zwei kleine Beispiele aus Kiel mit landesweiter Brisanz zu nennen), dafür fehlte uns vor lauter Plakatleim und wunden Füßen vom Briefkästen Abklappern leider Zeit und Energie. Macht's die PDS gar Boris Becker nach und will einfach nur "drin" sein - erst im Briefkasten, dann im Parlament? Tja, PDS, euren Elan in solidarischen Ehren, aber es könnte sein, dass da mancher denkender, statt nur kleisternder Sympathisant oder Genosse demnächst sagt: "Mir reicht's!"

(jm)