Kultur

BERNHARD WEBER in der Pumpe

Spötters Auferstehung

Auf Norderney war's, da saß bei einem Tucholsky-Abend Generalsekretär Franz Müntefering in der ersten Reihe und fragte Bernhard Weber nach dem Auftritt, ob denn das noch sein müsse, das mit dem Tucholsky. Ob denn das nicht veraltet sei, jetzt bei der neuen, anderen SPD. Ja, so ist sie, die SPD. Immer noch wie ein Radieschen, "außen rot und innen weiß".

Genüsslich erzählt Bernhard Weber solche Döntjes, denn sie beweisen, dass er mit seinem Programm auf der Höhe der Zeit und Tucholsky aktueller denn je ist. Der kein Pardon gebende Beobachter, scharfe Spötter, aber ob des "Wahnsinnigwerdens seiner Zeit" auch larmoyante Melancholiker, aufersteht vor den staunenden Augen und Ohren des Publikums, wenn Weber ihm seine sonor frotzelnde Stimme leiht. Eilig meckert, greint und bänkelsingt sich Weber durch Tucholskys sperrig zugespitzte Verse, mit einem pointierten Gespür für Pausen und Tempo. "Der Mensch zerfällt in zwei Teile, den männlichen, der nicht denken will, und einen weiblichen, der ..." Da lacht das Publikum ahnend auf. "Ja, der Tucholsky - obwohl ich ihn sehr liebe, aber hier ... naja." Solche Lockerungsübungen lassen auch die oft tragischen Untertöne des Satirikers, der sich 1935 im schwedischen Exil das Leben nahm, zur kurzweiligen Denkgymnastik werden, zeigen die gedanklichen Fallstricke in unser aller Köpfen, die "Tucho" spannt, damit wir darüber in die Selbsterkenntnis stolpern.

Über Joachim Ringelnatz, dem Weber den zweiten Teil seines Abends widmet, sagte Alfred Polgar einmal, er habe "den Stein der Narren entdeckt, der von dem der Weisen nicht zu unterscheiden ist". Weber nimmt das als Leitmotiv und zeigt einen Ringelnatz, der in den Narreteien vom "Reh aus Gips" oder vom "verliebten Briefmark" eine irr gewordene Zeit kritisiert. Wie einst Dada, das dem Wahnsinn den Unsinn als Antithese entgegenstellte. Ringelnatz als Zweifler, der sich mit seinen grotesken Reimen die Verzweiflung ebenso weggurgelte wie mit den vielen Schlucken Rotwein und Whisky? Wenn Weber mit andächtig gedämpftem Bass "Großer Vogel" aus dem Jahr 1933 rezitiert, das Lied von der zum Schweigen gebrachten Nachtigall, dann erscheint das als notwendige Schlussfolgerung. Der Spötter als trauriger Narr und damit Tucholsky sehr ähnlich.

Aber natürlich auch ein unartiger, nicht zu bändigender Kindskopf, der mit dem Freund Hans Albers manche Sause machte. Weber nutzt diese Liason der Komödianten mit der "Importance of being ernest" zu einer kleinen Albers-Hommage als Intermezzo: "La Paloma" in einer perfekten Parodie des nuschelig knödelnden "blonden Hans" mit Stimmüberschlag, gekrönt von Ringelnatz' obszön-frechem "Kuttel Daddeldu".

(jm)