Antifaschismus

"Freiheitliche" Verhältnisse

Bei der Teilnahme von jungen Linken aus Tübingen an den Protesten gegen die FPÖ-ÖVP-Koalition in Wien kam es zu einem Überfall eines Sondereinsatzkommandos "COBRA" der österreichischen Bundespolizei auf vier Menschen. Dieser Vorfall, den wir im folgenden anhand eines Gedächtnisprotokolls dokumentieren, war offenkundig illegal, reiht sich ein die Geschichte der Menschenrechtsverletzungen in Österreich und wirft ein bezeichnendes Licht auf die neuen "freiheitlichen" Verhältnisse in Österreich.

Deshalb erklären die beteiligten Gruppen: Der rechtsextreme und menschenfeindliche Charakter der FPÖ/ÖVP-Politik muss weiter publik gemacht werden. Vorfälle wie dieser strafen die Regierungspropaganda in Österreich (Zitat ÖRF: "Die Polizei musste lediglich einige aufgebrachte Demonstranten beschwichtigen.") Lügen. Linke in Österreich werden weiterhin auf die Solidarität der internationalen antifaschistischen Bewegung zählen können. Nazis bekämpfen - überall - gemeinsam - auf allen Ebenen - mit allen Mitteln!

Gedächtnisprotokoll der Ereignisse am 19.2. in Wien

Im folgenden will ich die Ereignisse aus meiner Sicht beschreiben. Den anderen beteiligten Personen ist jedoch in Prinzip dasselbe widerfahren. Die PDS-Hochschulgruppe Tübingen beteiligte sich an der Großdemonstration gegen die FPÖ/ÖVP-Regierung am 19.2. in Wien mit zwei PKW und insgesamt 10 Personen.

Vor dem Start der Demonstration um 14 Uhr am Westbahnhof gingen um ca. 13.30 Uhr vier von uns zu unserem Auto, welches in der Nähe des Westbahnhofes vor dem Haus Löhrgasse 5 geparkt war, um etwas zu essen und noch ein paar Sachen für die Demo zu holen. Als wir uns ca. um 13.40 Uhr wieder auf den Weg zurück zum Westbahnhof machten, waren wir nur wenige Meter weit gekommen, als neben uns ein Mannschaftswagen der Bundespolizei mit angeschaltetem Blaulicht hielt. Die Nummer des Wagens lautete BP 800.

Heraus sprangen sechs oder sieben Polizisten in schwarzen Uniformen, Hartschalen-Panzerung und schwarzen Barretts. Wir erfuhren im Nachhinein, dass es sich um eine sog. "COBRA"-Einheit handelte. Wir wurden gepackt und an die Wand gestellt, unsere Beine wurden mit brutaler Gewalt auseinandergetreten. Ein Polizist nahm einen Umhängebeutel, den ich mir durch meine Gürtelschlaufen gezogen hatte, und riss ihn so ab, dass alle Gürtelschlaufen dabei zerstört wurden. Ich beschwerte mich und meinte, der Beutel habe auch einen Verschluss. Daraufhin brüllte er mich an, dass ich ruhig sein solle, packte meinen Kopf an den Haaren und schlug ihn gegen die Steinmauer. Spätestens jetzt war mir klar, dass es sich hierbei nicht um eine Routinekontrolle handelte.

Jetzt fing er an, alle Taschen meiner Hose, auf- bzw. abzureißen, unabhängig davon, ob diese einen Inhalt hatten oder nicht. Wo es ihm nicht sofort gelang, probierte er so lange herum, bis er sie zerstört hatte. Nun öffneten die Polizisten die Tür eines nahe gelegenen Hausdurchgangs und drängten uns hinein mit der Bemerkung, dort drinnen könnten sie uns besser behandeln. Als wir drinnen war, verschlossen sie die Tür so dass niemand von außen hereinsehen konnte.

Die folgenden Ereignisse dauerten ca. 20 Minuten. Während der ganzen Zeit wurden wir immer wieder geschlagen, an den Haaren gezogen, zwischen die Beine getreten und unsere Finger überdehnt. Wir mussten die ganze Zeit mit gespreizten Armen und Beinen an der Wand stehen. Wer nicht auf die Wand schaute, wurde geschlagen. Nun ging einer der Polizisten herum und brüllte uns an, was wir denn hier wollen. Einer von uns antwortete, wir wollten gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ demonstrieren. Daraufhin packte einer der Polizisten mich, zog meinen Kopf an den Haaren nach hinten und brüllte mich an: Er wisse genau, wir seien Anarchisten aus dem Ausland, wir wollten sie verleumden, sie seien keine Nazis, das wäre eine Lüge, wir würden Lügen verbreiten. Wir seien keine Österreicher, dies sei nicht unser Land und wir hätten hier nichts zu suchen. Wir sollten hier auf der Stelle verschwinden.

Nun wollten die Polizisten wissen, woher wir kämen, ob wir über das Internet organisiert seien, ob wir Kontakte zu anderen Gruppen hätten, ob wir alleine gekommen seien, wo wir übernachten würden, usw. Wer nicht sofort antwortete wurde geschlagen. Aus unseren Sachen, die mittlerweile auf dem ganzen Boden zerstreut waren, suchten sie alle Schlüssel heraus und wollten wissen, welcher wem gehört, anscheinend um herauszufinden, ob wir alleine waren. Sie durchwühlten auch unsere Unterlagen mit der Bemerkung: "Die wissen alles aus dem Internet, die haben alles." Sie nahmen alle Unterlagen mit, aus denen Telefonnummern etc. ersichtlich waren.

Sie nahmen das Handy von einem von uns und fanden die Nummer des Infotelefons gespeichert, sie fragten was dies für eine Nummer sei und wofür wir die brauchten. Dann bearbeiteten sie den Besitzer des Handys mit der Frage, welches das Codewort sei. Dann nahmen sie die SIM-Karten aus allen Handys und zerkratzten sie an der Wand. Zusätzlich wurden die Handys auf den Boden geworfen und darauf herumgetreten, bis die Schale zertrümmert war. Auch meine Uhr wurde vom Handgelenk abgerissen und zerstört. Die Weste eines meiner Freunde wurde komplett in Fetzen gerissen.

Nun brüllten sie jeden von uns einzeln an, was wir nun machen würden, bis er antwortete: Heimfahren. Sie wollten außerdem wissen, über welchen Grenzübergang wir gekommen seien, und welche anderen Gruppen aus Deutschland noch da seien und ob wir "Wessis" oder "Ossis" seien, wahrscheinlich weil im Personalausweis von einem von uns Magdeburg als Hauptwohnsitz angegeben war. Nun gaben sie außerdem unsere Personalien per Funk vor der Tür durch und durchwühlten unser Auto komplett, wobei sie noch einige Gegenstände mitnahmen. Dann wurde ein Fotograf in Zivil hereingerufen, der von uns Portraitaufnahmen machte. Uns wurde gesagt, die Bilder würden an das BKA weitergegeben. Einer von uns wurde unter höhnischem Gelächter der Polizisten dazu gezwungen, in die Kamera zu lächeln.

Dann mussten wir uns wieder nebeneinander an die Wand stellen und unsere Schuhe ausziehen. Diese wurden mitgenommen. Einer der Polizisten erklärte: Jeder Polizist könne uns daran erkennen, dass wir keine Schuhe hätten, wir sollten nicht wagen, auf die Demo zu gehen, wenn wir dies doch täten, gelten wir automatisch als verhaftet, und wir könnten uns ausdenken, was dann mit uns passiert. Außerdem hätten wir in Zukunft in Österreich nichts mehr zu suchen. Unsere Schuhe könnten wir uns an der letzten Tankstelle vor der Autobahn abholen. (Dort kamen sie natürlich nie an.) Dann verließen die Polizisten den Hausflur, schlossen die Tür und fuhren davon.

Wir verließen die Innenstadt schnellstmöglich. An einer Telefonzelle wandten wir uns an das Rechtshilfetelefon. Dies riet uns, auf keinen Fall Kontakt mit der Polizei aufzunehmen oder dieser unseren Standort zu verraten. Außerdem sollten wir nicht nach Deutschland zurückkehren, sondern uns erst einmal in Wien verbergen, da man uns wahrscheinlich an den Grenzübergängen schon erwarte. Daraufhin wandten wir uns an die deutsche Botschaft. Der Mitarbeiter dort meinte, dies seien eben die österreichischen Gesetze und wir sollten uns doch am Montag nochmals melden, wenn die Botschaft wieder geöffnet sei.

Zu unserem Glück trafen wir per Zufall an der Tankstelle den Vater eine Journalistin, der den Kontakt zu ihr herstellte. Sie versorgte uns freundlicherweise wenigstens mit Socken und gab uns ihre Karte mit, mit der Bemerkung, Kontakte zur Presse würden die Polizei normalerweise einschüchtern, so dass wir es wagen könnten, die Grenze zu übertreten.

Es ist davon auszugehen, dass auch noch andere TeilnehmerInnen der Demonstration diese Vorgehensweise erlebt haben und dies einen kleinen Vorgeschmack auf zukünftige "freiheitliche" Verhältnisse in Österreich bieten soll. Bürgerliche Rechte werden da wohl nicht mehr das Papier wert sein, auf dem sie geschrieben stehen. Die Linke in Österreich verdient die Solidarität gegen die faschistoide FPÖ-Regierung deshalb in höchstem Ausmaße.

Der Sachschaden an unserem Eigentum beläuft sich auf über 1000 DM, wir erwägen Anzeige zu erstatten und eine Zivilklage auf Schadensersatz einzureichen. Allerdings sehen wir dies als chancenlos an.

(Titus Stahl, Mitglied des LaVo der PDS Baden-Württemberg)

Weitere Infos und weiterführende Links zum Thema: http://stressfaktor.squat.net/2000/austria.html