Herr, send' Hirn!

Der Herr, der dem strukturschwachen Land neuerdings Hirn senden will, heißt Gerhard Schmid und ist der Bill Gates der Mobilcom. Für den Multimedia-Campus, der das Land in die schöne neue Welt von eCommerce und anderer geldwerter Vernetzung führen soll, will der millionenschwere Telekommunikator zwei Professuren sponsorn, 5 Jahre lang. Der Jubel ist groß bei leeren Landeskassen. Allein, es gibt noch Hürden. Zum einen streiten sich Kiel, Lübeck, Flensburg, Neumünster und Büdelsdorf mit harten Bandagen um den Campus. Der Neumünsteraner OB Unterlehberg etwa sah in der Werbung des Kollegen Gansel für Kiel eine "maßlose und egoistische Kirchturmpolitik". Wenn Unterlehbergs "Argumente" für die Kirche im eigenen Dorfe nicht ebenso schwach wären wie Gansels selbstgefällige Behauptung, der Campus gehöre selbstverständlich nach Kiel, würde man sich fast über eine solche Breitseite gegen den König von Kiel freuen.

Anderes Problem: Der Mogelcom-Mogul zeigte sich genervt von den Diskussionen um seine Hörnbebauung. In Kiel betreibe man "Investoren-Mobbing". Kritiker hatten seinen Konsum-Campus an der Hörn als "Rostocker Plattenbau" bezeichnet. Nicht ganz zu unrecht, denn Schmid hatte intensives Architekten-Mobbing betrieben und sich einen Dreck um deren preisgekrönte Entwürfe gekümmert, gedeckt von Gansel. Schmid wird natürlich den Einfluss seiner Sponsorengelder geltend machen. Je mehr an der Hörn gegen ihn "gemobbt" wird, umso mehr wird er sich für den Campus nach den anderen Standorten umsehen. Und umso mehr wird Gansel leichtes Spiel haben, mit der üblichen Gebetsmühle "Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum" Schmid-Kritikern das Maul zu stopfen.

Was ist eigentlich ein Multimedia-Campus? Ausgedacht hat sich den u.a. Hubertus von Amelunxen, Intendant der Muthesius-Hochschule. Wenn man diesen Herrn Vorträge halten hört, dann ist zumeist sehr viel Hirn zugegen, v.a. kritisches, das sich kein bunt animiertes X für ein U vormachen lässt. Insofern hat er den Campus wohl auch als Stätte der notwendigen kritischen Auseinandersetzung mit dem Medium konzipiert. Aber dann griff das Wirtschaftsministerium die Idee auf, und schon war von Medienkritik nichts mehr übrig, nur noch das Claqueur-Kauderwelsch von Arbeitsplätzen, enger Vernetzung mit der Wirtschaft usw. Und auch die begeisterte Zustimmung von IHK-Geschäftsführer Wolf-Rüdiger Janzen, das Projekt werde "jede Unterstützung von Seiten der Wirtschaft erhalten", stimmt wenig zuversichtlich. Alte Regel: Wes Brot ich ess', des' Lied ich sing'. Die Wirtschaft sponsort nicht ihre Kritiker, sondern nur ihre Lakaien. O-Ton eines Kriegsgewinnlers aus dem eCommerce (in einer Pro 7-Sendung zur CeBIT): "Ich möchte mich später nicht von meinen Enkeln fragen lassen, warum ich von all dem (den Chancen des Internets) nichts gewusst und keine Millionen gemacht habe." Schon erschreckend, wie sich "Wortlaute", die wir aus ganz anderem Zusammenhang kennen, auf der Datenautobahn in degeneriertester Form klonen.

Man muss also kein Technikfeind sein, nur Anti-KapitalistIn, um schon mal die Tasten gegen einen Multimedia-Campus unter den sich abzeichnenden Vorzeichen zu wetzen. Wem nützt noch ein Technologiezentrum mit "Wissenstransfer" von Hochschule zu Wirtschaft, das nur einem Zweck dient: der bedingungslosen Ausbeutung des transferierten Wissens für die Interessen des Kapitals? Schon jetzt ist aus dem ehemals radikaldemokratischen und - auch politisch häufig prononciert - anarchistischen Internet ein Selbstbedienungsladen für Medienkonzerne geworden. Die Jobs am Bodensatz der Multimedia-Industrie sind in der Regel schlecht bezahlt. Und wer sich dem Gedöhns aus KITZ und TTZ Glauben schenkend mit dem neuen Medium selbstständig gemacht hat, befindet sich, wenn er oder sie nicht gerade irgendeinen Hype am Zipfel packen konnte, in jenem Teufelskreis von Selbstausbeutung und Preisdumping seitens der Auftraggeber.

Das Netz dividendenwirksam in den Griff zu bekommen, ist derzeit die Stoßrichtung. Proprietäre Software schafft den "moderierten", sprich gefilterten Netzzugang für jedermensch. Um ohne die Filter und die Horch-Programme namens "Cookie" an die im Netz noch schlummernde aufklärerische Tendenz heranzukommen, wird man demnächst Hacker-Qualitäten entwickeln müssen.

Insofern: Schon mal fröhlich trojanische Pferde und Worms programmiert, um den Campus von Mobilcoms und Gansels Ganden, der 2002 online gehen soll, gleich ordentlich lahm zu legen. Das ist der derzeit einzige "leuchtende Pfad" im Netz, der es denen zurückgewinnen könnte, die es verdienen, um nicht bloß daran zu verdienen - als Netz der totalen Demokratie, frei von den Kommerzinteressen des Kapitals.

(jm)