Globalisierung

Finanzkapital auf dem Vormarsch

Das neue Jahr beginnt, wie sich das alte verabschiedet hat: Unter den großen Unternehmen grassiert unvermindert die Fusionitis. Vor den Augen des staunenden Publikums vollzieht sich eine Konzentration ökonomischer Macht, wie sie der Erdball bisher nicht gesehen hat. Den neusten Zug in diesem Reigen haben dieser Tage das Herzstück des deutschen Kapitals, die Deutsche Bank, und die Dresdner gesetzt. D.h. gesetzt hat die Deutsche Bank, die Dresdner wird geschluckt. Ein Finanzriese mit einer Bilanzsumme von 2,5 Billionen DM (ca. die Hälfte des deutsche Bruttosozialprodukts) ist im Entstehen, die größte Bank der Welt. Die Deutsche hatte diesen Rang bereits Anfang letzten Jahres mit dem Aufkauf des US-amerikanischen Bankers Trust erobert, ihn aber zwischenzeitlich wieder an ein japanisches Unternehmen angegeben.

Zu der gewaltigen Finanzkraft des eigenen Unternehmens kommt eine enge Verbindung mit der Allianzversicherung. Die neue Großbank, die unter dem Titel Deutsche Bank (DB) firmieren soll, wird 17% bei dem Versicherer halten, der im Gegenzug 12% der Aktien des Geldhauses sein Eigen nennen kann. Die Allianz spielt gleichzeitig eine entscheide Rolle bei der zweitgrößten Bank der Republik, der bayrischen Hypo- und Vereinsbank und verwaltet ein Vermögen an Immobilien und Beteiligungen von rund 1,3 Billionen DM. Das neue Finanzkonglomerat wird über seine Beteiligungen den größeren Teil der führenden deutschen Unternehmen kontrollieren, darunter namentlich DaimlerChrysler und Siemens.

Diese sind ihrerseits eifrig am Schoppen. DaimlerChrysler wird über seine Tochter DASA den neuen europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS dominieren und gerade dieser Tage gaben die Stuttgarter bekannt, sie wollen künftig eng mit Mitsubishi kooperieren. Das Rennen um die Nummer Eins der Automobilhersteller, das sich DaimlerChrysler seit einigen Jahren mit General Motors aus den USA liefert, bleibt also weiter spannend. Bei der Allianz mit Mitsubishi wächst übrigens zusammen, was zusammengehört: Mitsubishi war im Zweiten Weltkrieg wie Daimler einer der großen Rüstungskonzerne der Achse Berlin-Tokio. Auch die DB knüpft an alte Zeiten an: In den vergangenen beiden Jahren standen u.a. Banken in Belgien, Polen, Griechenland, Italien und der Tschechischen Republik auf ihrem Einkaufzettel.

Als erstes werden die neue Macht die Beschäftigten der DB zu spüren bekommen. Mit der Bekanntgabe der Fusion wurden auch 16.000 Entlassungen angekündigt. Gewerkschaftsnahe Fachleute gehen aber eher davon aus, dass 40.000 der noch 140.000 Beschäftigten ihren Hut werden nehmen müssen. HBV-Chefin Margret Mönig-Raane forderte die Vorstände beider Geldinstitute daher auf, bei dem geplanten Zusammenschluss die Interessen der Arbeitnehmer nicht zu vernachlässigen. Das wird man sich bestimmt zu Herzen nehmen.

Die wachsende Kapitalmacht korrespondiert mit dem Anspruch der neuen Bundesregierung außenpolitisch selbstbewusster auftreten zu wollen. Was das in der Praxis heißt, wurde dieser Tage bei der Neubesetzung des Chefpostens beim Internationalen Währungsfonds (IWF) demonstriert. Die Stelle wird seit dem Bestehen von IWF und Weltbank traditionell durch einen Europäer besetzt. Diesmal sollte sie erstmals an einen Deutschen vergeben werden, nachdem die IWF-Chefs zuvor fast ausschließlich Franzosen waren. Anfang dieser Woche wurde dann auch tatsächlich der Durchbruch für den deutschen Kandidaten Horst Köhler geschafft. Der Christdemokrat und langjährige Mitarbeiter Kohls ist derzeit Chef der Osteuropabank.

Doch zuvor hatte die Schröder-Fischer-Regierung noch einmal demonstriert, dass deutsches Selbstbewusstsein meist als preußische Dreistigkeit daher kommt. Das Wissen um starke Vorbehalte in den USA außer Acht lassend hatte man versucht, den Sozialdemokraten und Finanzstaatssekretär Caio Koch-Weser auf den IWF-Sessel zu hieven. Das Vorhaben endete mit einem Fiasko für die deutsche Diplomatie. US-Präsident Bill Clinton weigerte sich, Koch-Weser zu akzeptieren.

Neben Deutschlands gewachsenen internationalen Ambitionen bilden tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und Berlin den Hintergrund der Personalquerele. Dies wurde einmal mehr letzte Woche an Vorschlägen einer Enquete-Kommission des US-amerikanischen Kongresses deutlich, die sich Gedanken über eine Reform von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) gemacht hatte. Nach Vorstellungen der Kommissionsmehrheit soll sich der IWF künftig auf kurzfristige Feuerwehrkredite beschränken, um Ländern bei akuten Liquiditätsproblem in Folge von Finanzkrisen aus der Klemme zu helfen. Unterstützung sollen nach einer Übergangszeit auch nur noch jene Staaten erhalten, deren Wirtschaftspolitik anerkannten Regeln folgt und die z.B. ihren Bankensektor reformiert haben, berichtet die New York Times. Das langfristige Kreditgeschäft soll er hingegen der Weltbank überlassen und sich aus der Entwicklungspolitik zurückziehen. Die wiederum soll nur noch den 80 ärmsten Ländern helfen. Staaten wie Indonesien oder China, die sich auch auf dem privaten Kapitalmarkt versorgen können, hätten nach diesen Vorstellungen keinen Zugang mehr zu den besonders günstigen Krediten der Weltbank.

Das Gremium war 1998 eingerichtet worden, als in der Folge der Asien-Krise das Kapital des IWF aufgestockt werden musste und die republikanische Mehrheit im Kongress einer Geldspritze von 18 Mrd. US$ nur zähneknirschend zustimmte. Der Bericht, dem auch zwei der fünf demokratischen Kommissionsmitglieder zugestimmt hatten, löste im Washingtoner Parlament eine heftige Debatte aus. Demokraten-Führer Dick Gephardt warnte nach Berichten amerikanischer Zeitungen vor "Neo-Isolationismus" und warf der republikanischen Mehrheit vor, ihre Reformvorschläge erinnerten eher an eine Politik der verbrannten Erde. Bei den Republikaner hofft man indes, die Vorschläge mittels eines Gesetzpaketes durchzubringen, das den Schuldenerlass für die ärmsten Länder regeln soll.

Trotz der Ablehnung, auf die der Kommissionsbericht bei den Demokraten im Kongress stieß, gibt es in wesentlichen Punkten jedoch Übereinstimmung zwischen den konservativen Republikanern und der Regierung des demokratischen Präsidenten Bill Clinton. Dessen Finanzminister Summers hatte bereits im Dezember letzten Jahres ein Reformprogramm vorgelegt, in dem bezüglich des IWF ganz ähnliche Vorschläge gemacht wurden. Auch Summers sprach sich dafür aus, dass der Fonds in Zukunft Entwicklungsprojekte der Weltbank überlässt und sich auf die Überwachung der Finanzmärkte beschränkt.

Diese Position dürfte denn auch zumindest einen Teil der Ablehnung erklären, auf die der deutsche Kandidat für den Posten des IWF-Chefs Caio Koch-Weser in den USA stieß. Für einen nach US-amerikanischen Vorstellungen verschlankten Währungsfonds wäre er nämlich denkbar ungeeignet, hatte er doch lange Zeit bei der Weltbank gearbeitet und es dort zuletzt bis zum Vize-Direktor gebracht.

Allerdings zeigt die Bundesregierung bisher wenig Bereitschaft, auf die Linie der US-Regierung hinsichtlich der zukünftigen Aufgabenverteilung der internationalen Finanzinstitutionen einzuschwenken. Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul machte jedenfalls aus ihrer Ablehnung der Washingtoner Vorschläge keinen Hehl, als der Bericht letzte Woche veröffentlicht wurde. Sie sieht die Gefahr der "Degradierung der Weltbank". Diese könnte "ihren Charakter als global tätige Entwicklungsorganisation" verlieren. Erst auf der letzten Jahresversammlung haben, so die Ministerin, Weltbank und IWF eine Umorientierung in Richtung Armutsbekämpfung vollzogen, um die Entschuldungsinitiative für die ärmsten Staaten mit einem Programm zur Armutsbekämpfung zu verbinden. Das Vorhaben, die am wenigsten entwickelten Staaten von ihrer Schuldenlast zu befreien, könne durch die Reformvorschläge in Gefahr geraten.

Bis vor kurzem sind allerdings weder IWF noch Weltbank durch besonders soziale Programme aufgefallen. Ersterer war für sein Krisenmanagement 1998 in Asien von den dortigen sozialen Bewegungen scharf kritisiert worden, da er durch seine erzwungenen Programme die Armut verschärft und die Schuldenrückzahlung zur höchsten Priorität gemacht hatte. Die Weltbank gerät ebenfalls immer wieder in die Kritik für die Finanzierung zerstörerischer Mammutprojekte wie Staudämmen, die Menschen zu Tausenden ihrer Existenzgrundlage berauben. Auch die in letzter Zeit in Mode gekommenen Mikrokredite, mit denen v.a. Frauen angeregt werden sollen, kleine Unternehmen zu gründen, werden von Aktivisten in Indien und Bangladesch kritisiert, da sie Menschen in die Verschuldung treiben und zur Kommerzialisierung lokaler Wirtschaften beitragen.

Erst im Verlauf der Asienkrise begann man sich bei der Weltbank Gedanken über Armutsbekämpfung zu machen, als man sah, wie in Indonesien Dutzende von Millionen innerhalb weniger Wochen ins Elend zurückgeworfen wurden. Der Streit zwischen Berlin und Washington kann, sofern es nicht einfach nur um Einfluss geht, als der alte Disput darüber interpretiert werden, ob die Krisenfolgen für die Ärmsten minimal abgefedert werden sollen oder ob der Weltmarkt auch weiter ohne Netz und doppelten Boden funktioniert. Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass für beide Seiten die Profitmaximierung absolute Priorität hat.

(wop)