Kommentar

Drohungen zum Jahrestag

Stück für Stück arbeitet sich die Wahrheit bis auf die Seiten der bürgerlichen Presse vor. Ein Jahr hat es gedauert, aber immerhin. Das Massaker von Rajak könnte vielleicht doch gestellt gewesen sein, der so genannte Hufeisenplan, mit dem Scharping nachweisen wollte, dass die jugoslawische Führung einen Völkermord vorbereitet habe, ein zweifelhaftes Geheimdienst-Konstrukt. Zum Jahrestag des Angriffs auf Jugoslawien dämmert selbst einigen bürgerlichen Journalisten, dass die Bundesregierung zur Rechtfertigung ihres Krieges log, dass sich die Balken bogen.

Das Bedrückende ist allerdings, dass keiner Konsequenzen zieht. Offensichtlich finden es die Mitglieder der Regierungsparteien ganz normal, dass ihre Minister und Abgeordneten sie nach Strich und Faden verarschen. Ist ja auch viel einfacher; das ewige Mitdiskutierenmüssen der letzten 20 Jahre war wirklich zu anstrengend.

Bedrückend auch die Lehren, die die PDS-Führung aus dem Vorgang zieht: Als hätten wir nicht gerade gesehen, dass es den Mächtigen dieser Welt (und nicht zuletzt dieses Landes) um nichts weniger geht, als die Menschenrechte, die Verhinderung menschlichen Leids, so zwingt sie ihrer Partei eine Debatte auf, dass man sich künftig nicht mehr grundsätzlich gegen UN-Einsätze versperren will. Zum Schutz der Menschenrechte, versteht sich.

Eine Gespensterdebatte, die nur vor dem Hintergrund des festen Willens zur Koalition zu verstehen ist. Wie zuvor Fischer haben die Herren Gysi, Brie, Bartsch und Gehrke sehr wohl begriffen, dass in modernen Zeiten eine moderne Regierungspartei im "erwachsen gewordenen Deutschland" kriegsfähig sein muss. Und wie zuvor Fischer bringen sie es den Ihrigen häppchenweise bei.

Oder will etwa ernsthaft jemand behaupten, dieser Staat, der so prächtig mit der Unterdrückung der Kurden hier und zuhause leben kann, baut mobile Einsatztruppen auf, weil er besorgt ist um die Unterdrückung nationaler Minderheiten? Sagt da hinten jemand, dass dieser Staat, dem für Flüchtlinge noch der kleinste Krümel zu schade ist, all die Milliarden für neue Truppentransportschiffe (Einsatzgruppenversorger), für die Modernisierung der Arsenale und für neue U-Boote und Korvetten ausgeben will, um die Menschenrechte weltweit durchzusetzen?

Wohl kaum. Wenn Fischer ausgerechnet den Jahrestag nutzt, um China und Russland wegen Menschenrechtsverletzungen anzuklagen, dann ist wohl eher davon auszugehen, dass es sich um eine Drohung handelt: Jugoslawien war erst der Anfang.

(wop)