Kultur

Maldoror-Premiere im MAX

Poesie der Obsessionen

Hundert Minuten Film, hundert Minuten Trommelfeuer der Bilder in zwölf Episoden. Wie soll man dieser Bilderflut, dem Kabelbrand im Hirn Herr werden, wie das benennen? Man soll ihm nicht Herr werden, man soll es nicht durch die Pforten der beschreibenden Vernunft jagen. Man soll sich verschlingen lassen von diesem Strudel aus Blut und Samen und Poesie und Obsession. Wenn es denn eine Botschaft der "12 Gesänge des Maldoror" des Comte de Lautréamont gibt, so ist es diese.

Schon der Text, von Feridun Zaimoglu aus dem Off beschwörend geraunt wie ein beständig um sich kreisendes und schlagendes Gebet, ist ein Bestiarium poetischer Bilder, ein sich Treibenlassen in der Gewalt der Worte, ein selbstbewusstes Untergehen des Autors im Schlund des Textes. Die von den zwölf Super-8-Piraten aus England und Deutschland verfilmten Episoden sind es allemal.

Da wird ein Mädchen von einer Dogge nicht nur zerfleischt, sondern auch gefickt, nicht zuletzt weil "Fressen" und "Ficken" so schön alliterieren. Nosferatu aufersteht am frischblütigen Leib eines Knaben. Jack-Arnold-Spinnen bohren ihre Tentakeln in Augen. Eine weiße "Haiin" schnappt vor der biblischen Paarung mit Maldoror nach dem Kopf des Zuschauers, und ein Kanarienvogel verendet im zerstampften Käfig. Dennoch werden Fans von Splatter und Hardcore-Horror hier nicht bedient. Das Grauen steht nicht in den Bildern, sondern zwischen ihnen, in der Hälfte der Zeit, wo es im Kino Nacht ist, weil das Bild wechselt, im Moment des Nachhalls der Bilder. Das Kino entsteht im Kopf, sagen manche Filmologen. Hier ereignet es sich in den Kaldaunen des Zuschauers, löst Gedanken und Assoziationen aus, die so konvulsivisch sind wie das infernalische Grollen im Darm.

Doch nicht alles versinkt in solchem "trostlosen Sumpf der Bilder". In der Episode "Mädchen jagt Bus" von der Münchner "Filmgruppe Abgedreht" sind Knetgummis zauberhaft animiert. Da wirkt selbst ein abgerissener Kopf noch irgendwie knuddelig niedlich - Szenenapplaus. Außergewöhnlich ist auch Caroline Kennedys Episode "The Lamp". Maldorors blutigen Inzest mit einem Engel aus der Wunderlampe erzählt sie in einer Abfolge von bloßen Stills, in eingefrorenen Bildern, und fragt damit, was eigentlich Bewegung sei.

Und genau dieser Stillstand, dieses Innehalten an den dunklen Momentaufnahmen der Existenz, an den Nullpunkten, bewegt. Versteinert sitzt man beim Abspann da, gefoltert auf der Streckbank der Bilder. Aber wie in der antiken Tragödie, wo der splatternde Götterzorn so manchen Kopf rollen lässt, ist man auch gereinigt von dieser Katharsis obsessiver Poesien. Und tritt geläutert hinaus in die Nacht, in "die sanfte Nacht der Seelen".

(jm)