PDS-Parteitag

Geht Gysi?

PDS doch noch nicht koalitionsfähig

Schon lange nicht mehr hat ein PDS-Parteitag so viel Medienöffentlichkeit auf sich gezogen. Die Sensationsjäger der Branche wurden nicht enttäuscht: Der Vorstand hatte sich am vergangenen Wochenende in Münster eine absehbare Niederlage organisiert und Gregor Gysi kündigte aus Trotz seinen Rückzug an. So hat es zumindest den Anschein, wenn Gysi selbst auch beteuert, er habe bereits lange vor dem Münsteraner Parteitag den Entschluss gefasst, im Oktober nicht wieder für den Vorsitz der Bundestagsfraktion zu kandidieren. Mitgeteilt hat er ihn jedenfalls erst, nachdem eine Zweidrittelmehrheit der Delegierten seinem Wunsch nach Zustimmung zu UN-Kampfeinsätzen widersprach. Ein entsprechender Leitantrag des Parteivorstandes fiel mit Pauken und Trompeten durch.

Mit dem sollte die PDS auf die Anerkennung des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen eingeschworen werden: "Die PDS lehnt gewaltsame Interventionen ohne Mandat der UNO ab. Auch von der UNO mandatierte Einsätze müssen abgelehnt werden, wenn zivile Maßnahmen zur Konfliktlösung ungenutzt bleiben. Im übrigen wird die PDS nach eingehender Analyse von Ursachen und Entstehungsgeschichte eines Konfliktes sowie der Interessenlagen der Konfliktparteien, von Großmächten oder anderen intervenierenden Staaten prüfen, ob im Ausnahmefall - wie im Falle der Republik Haiti und Osttimor - der notwendige Stopp eines Völkermords oder einer Aggression mit militärischen Mitteln durch den UN-Sicherheitsrat akzeptiert werden kann - nicht als Mittel der Konfliktlösung oder Konfliktbewältigung, sondern zur Erreichung von Bedingungen, unter denen zivile Mittel wirksam werden können."

Zu den Kritikern dieses Antrags gehörten neben einigen wenigen Bundestagsabgeordneten auch die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann, die in einem sehr engagierten Beitrag die Demagogie in der Debatte beklagte und die Argumentation der Interventionsbefürworter auseinander nahm. Es gebe bisher gar kein "militärisches Interventionsrecht" bei Völkermord und es sei auch bisher nie vorgekommen, dass im Vorfeld wirklich alles getan worden sei, um eine herauf ziehende Krise zu entschärfen. Die Delegierten quittierten ihren Beitrag mit stehenden Ovationen und stimmten für ein kategorisches Nein zu allen Kampfeinsätzen. Einige Mitglieder der AG BWK (Bund Westdeuscher Kommunisten) bezogen sich hingegen in einem Änderungsantrag positiv auf die Vorstandsvorlage.

Auf der Tagesordnung standen in Münster auch einige Statutfragen und Beschlüsse über die Fortführung der Programmdebatte. Die eigentlichen Schwerpunktthemen Feminismus, Ökologie und Nord-Süd gerieten hingegen vollkommen in den Hintergrund. Für sie hatte die Parteitagsregie nur jeweils zwei Stunden am Samstagnachmittag vorgesehen. Die Parteispitze glänzte bei diesen Tagesordnungspunkten v.a. durch weitgehende Abwesenheit. Der Europaabgeordnete und gelegentlich als PDS-Vordenker bezeichnete André Brie hatte den Parteitag im Vorfeld per "Stern"-Interview wissen lassen, dass die Themen nichts mit einem reformierten Programm zu tun haben: "Da kann für die Reformdebatte nicht viel bei raus kommen."

Die Auseinandersetzung, ob das alte Programm nur überarbeitet oder ein gänzlich neuer Entwurf her müsse, wurde auch in Münster noch nicht endgültig entschieden. Der Zeitrahmen für die Diskussion wurde erweitert, aber zugleich eine Reihe organisatorischer Schritte und thematischer Schwerpunkte für deren weiteren Verlauf beschlossen. Die oben erwähnten Parteitagsthemen werden dabei nur sehr indirekt Berücksichtigung finden. Themen wie Globalisierung, wachsende Kriegsgefahr und Feminismus finden keine explizite Erwähnung. Als eine der Grundlagen der weiteren Diskussion werden die Thesen der Programmkommission genannt, die von Parteilinken zum Teil stark kritisiert werden und u.a. eine positive Haltung zu UN-Kampfeinsätzen, d.h. "Frieden erzwingenden Maßnahmen" nach Kapitel VII der UN-Charta, enthalten.

Parteichef Bisky, der ebenfalls seinen Rückzug angekündigt hat, im Gegensatz zu Gysi allerdings bereits im Vorfeld, griff diesen Widerspruch in den Beschlüssen denn auch begierig auf. Die Delegierten seien sich in der Frage eben doch nicht so sicher gewesen. Offensichtlich ist man in der PDS-Führung den Umgang mit unbotmäßigen Parteitagen nicht gewohnt. Fast fluchtartig verließen Geschäftsführer Dietmar Bartsch und andere unmittelbar nach der Abstimmungsniederlage den Versammlungssaal. Anstatt sich an den Debatten über die Schwerpunktthemen zu beteiligen, traten sie zu einer Krisensitzung zusammen, auf der auch der stellvertretenden Vorsitzenden Sylvia-Yvonne Kaufmann der Kopf gewaschen wurde. Süffisant äußerte Bartsch hinterher gegenüber der Presse, Kaufmann habe sich in der Sitzung nicht geäußert. Einige Zeit später konnte man sie in Tränen aufgelöst im Foyer sehen. Beobachter sprechen von einem regelrechten Mobbing, das gegen sie organisert worden sei.

Am darauffolgenden letzten Verhandlungstag rief Parteichef Lothar Bisky die Mitglieder zu mehr Vertrauen in ihren Vorstand auf. Auch Gregor Gysi sprach in seiner mit Spannung erwarteten Rede von "ungerechtfertigtem Misstrauen" gegenüber Vorstand und Fraktion. Die PDS würde sich mit diesem Beschluss von anderen linken Parteien in Europa isolieren. Des Weiteren beschwerte er sich, dass einige Delegierte den Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes bei der Begrüßung ausgebuht hatten. Der war in Münster genauso als Gast eingeladen, wie der Vorsitzende der DKP und auch CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Letztere - übrigens eine Bekannte von Bartsch aus Rostocker FDJ-Zeiten - hatte allerdings abgesagt. Der Bundeswehrverband, so Gysi, sei eine Art Gewerkschaft der Soldaten. Man sei sich mit ihm in der Ablehnung der Wehrpflicht einig.

Schließlich nutzte das PDS-Idol noch die Gelegenheit, um für die Stärkung der EU als "Konkurrenzpol" zu den USA zu werben. "Wohl oder Übel" müsse man daran mitarbeiten und gleichzeitig dafür kämpfen, dass die EU sozialer wird. Sein Besuch bei den "chinesischen Genossen" habe ihn in dieser Ansicht bestärkt. Auch Gysis Vize Wolfgang Gehrke, der ihn Anfang März auf eine Reise nach Indien, Vietnam und China begleitete, hatte in der Diskussion über den Leitantrag zur Friedenspolitik viel antiamerikanische Rhetorik geboten. Unerwähnt blieb bei beiden hingegen die Aufrüstung der EU und die Militarisierung der gemeinsamen Außenpolitik der Union.

(wop)

Der lesenswerte Diskussionsbeitrag Sylvia-Yvonne Kaufmanns und der letztendlich angenommene Antrag, der eine gute Analyse der gegenwärtigen internationalen Beziehungen und der EU-Militarisierung enthält, sind im Internet unter www.sozialisten.de zu finden. Ebenfalls dort zu finden sind die weiteren verabschiedeten Dokumente sowie die Grundlagentexte der Programmdiskussion.