PDS-Parteitag

Interview mit Winfried Wolf (PDS) zur Programmdebatte der PDS:

Einfallstore für neoliberale Politik?

Winfried Wolf wurde 1994 und 98 über die baden-württembergische Landesliste der PDS in den Bundestag gewählt. Er gehört außerdem der im letzten Jahr gebildeten Programmkommission an und verfasste mit Uwe-Jens Heuer vom Marxistischem Forum und Walter Benjamin von der Kommunistischen Plattform ein Minderheitenvotum zu den Thesen der Kommission. LinX sprach mit Winfried Wolf am Rande des Parteitages in Münster.

(wop)

LinX: Der Parteitag hat sich mit deutlicher Mehrheit gegen den friedenspolitischen Leitantrag des Vorstandes ausgesprochen. Bist du damit zufrieden?

Winfried Wolf (W.W.): Ja. Ein besseres Ergebnis konnten sich diejenigen, die gegen jedes Einfallstor in der Frage Krieg und Frieden sind, nicht wünschen. Ich glaube nicht, dass diese deutliche Mehrheit Zufall ist, sondern Ergebnis reiflicher Überlegung.

LinX: Am Vortag wurde allerdings ein Antrag angenommen, der die Thesen der Programmkommission zum erreichten Diskussionsstand erklärt. In diesen wird sich u.a. auch für die Unterstützung von UNO-Kampfeinsätzen im Einzelfall ausgesprochen. Ist das kein Widerspruch?

W.W.: Nein. Der Antrag legt lediglich das weitere Vorgehen in der Programmdebatte fest. Im Vorfeld war der Antrag unheimlich herabgefahren worden, es war immer wieder versucht worden, alle möglichen Kompromisse rein zu schreiben. Es heißt nur, man wird weiter diskutieren, man will irgendwann eine Überarbeitung des alten Programms haben und darin sollen die Ergebnisse der Programmkommission einfließen, darunter die Mehrheitsthesen, aber auch andere Texte, d.h. auch die Minderheitsthesen.

LinX: Lothar Bisky deutete allerdings schon an, dass der Vorstand diesen Widerspruch sieht und jetzt ans Interpretieren geht.

W.W.: Ich glaube, das sind Rückzugsgefechte. Lothar versucht natürlich nach der Niederlage, die die Vorstandsmehrheit erlitten hat, das zu interpretieren. Ich denke, die Delegierten sind nicht dumm. Sie wollen, dass zum einen die Programmdebatte weiter geführt wird, zum anderen, dass die Position zu Krieg und Frieden die alte bleibt, nämlich ein generelles Nein zu UNO-Kampfeinsätzen nach Kapitel VII.

LinX: Gregor Gysi hat in seiner Rede erklärt, er sei für die Stärkung der EU als Konkurrenzpol zu den USA.

W.W.: Ich halte die Forderung nach einer multipolaren Welt für falsch. Meiner Ansicht nach müssen wir eine gleiche Distanz zu den drei großen imperialistischen Zentren haben. Die Tatsache, dass Europa jetzt anfängt, die gleichen Schweinereien auf kontinentaler Ebene zu organisieren, wie es die USA bereits weltweit macht, ändert nichts daran, dass es Schweinereien sind. Im Mittelpunkt muss unsere Kritik an der EU stehen, die undemokratisch ist, die ein Projekt der großen Konzerne ist, und die vor allem die Tendenz zu neuen großen Kriegen verstärken wird. Multipolarität wird keineswegs ein Gleichgewicht schaffen.

LinX: Gysis Position ist in Münster ja reichlich beklatscht worden. Wird es mit ihr nicht schwerer gegen die Militarisierung der EU zu kämpfen?

W.W.: Ich würde ihm nicht unterstellen, dass er die Kritik an der Westeuropäischen Union und am Eurokorps usw. nicht aufrechterhalten wird. Aber es wird schwerer. Wenn man Multipolarität befürwortet, dann wird man natürlich erklären müssen, warum nur ökonomische Stärke und nicht konsequenter Weise auch einen militärischen Arm. Auch vom Standpunkt der Schwachen her gesehen ist es falsch: Die USA sind ein starkes Land, so stark, dass sie andere schwach machen. Wenn jetzt ein zweiter Starker hinzukommt, denn heißt das, dass diese zwei Zentren irrsinnige Massen an gesellschaftlichem Reichtum anziehen, um ihre Macht aufzubauen, und das muss irgendwo weg genommen werden. Abgesehen davon, dass Kriege und Konkurrenz immer auf dem Rücken der kleinen Unternehmer, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Arbeitslosen ausgetragen werden.

LinX: Zur Programmdebatte: Ihr, d.h. Uwe-Jens Heuer, Michael Benjamin und du, habt in der Programmkommission ein Minderheitenvotum zu den Thesen abgegeben.

W.W.: Ja. Die Besonderheit ist, dass es eine Kritik an den Thesen der Mehrheit ist. Methodisch ist das ein Problem, weil Kritikpapieren nicht unbedingt der gleiche Status zugesprochen wird, wie positiven Texten. Das hat sich jedoch aufgrund der Debatte ergeben. Wir wollten nicht den Prozess voran treiben, dass unbedingt ein neues Programm her müsse - nicht, weil wir gegen programmatische Weiterentwicklung wären. Wir haben allerdings in der konkreten Situation die Angst, dass mit dieser Art von Programmdebatte, wie sie ganz oben gewünscht wird, das linke Spektrum aus der PDS heraus gedrängt werden soll. Das ist ja von Gregor Gysi auch in einem Interview so angesprochen worden: "Ich bin weiterhin dafür, soviel PDS-Mitglieder wie möglich bei jeder programmatischen Erneuerung mitzunehmen. (...) Wenn es einzelne dogmatische Linke in der PDS gibt, müssen sie spüren, dass das Programm gegen sie steht."

LinX: Mit welchen Themen werden die raus gedrängt?

W.W.: Das erste Thema ist die Einschätzung des realexistierenden Kapitalismus. Die Mehrheit hat mit den Thesen Texte vorgelegt, die wir als Einfallstore für neoliberale Politik bezeichnet haben. Die Klarheit, dass es sich um Kapitalismus handelt, dass in diesem letzten Endes die Konzerne und die Banken das entscheidende Momentum sind und das Profitprinzip im Mittelpunkt steht, dass wir letzten Endes antikapitalistisch sind, all das ist massiv mit sehr modernistischen Beschreibungen verwässert worden.

Zweitens tendiert im Bezug auf die Einschätzung der DDR die Mehrheit dahin, über eine verschärfte Kritik einem erheblichen Teil der Mitgliedschaft im Osten das Leben schwer zu machen oder sie an den Rand zu drängen. Einiges an der Kritik könnte ich durchaus mittragen, anderes geht in Richtung Totalitarismus: Faschismus und DDR-Staat seien beide totalitär gewesen, was ich nicht mittragen würde. Ich tendiere daher im Augenblick dahin, den alten Kompromiss zunächst zu verteidigen, und zu gucken, ob bei der Kritik am Stalinismus Fortschritte gemacht werden können. Im Minderheitenvotum haben wir nicht nur allgemein die Fehler und Verbrechen des Stalinismus kritisiert, sondern auch geschrieben, dass zu wenig getan wurde, um aus den linken Ausbruchsversuchen aus dem Stalinismus, z.B. Prag 68, zu lernen.

Das dritte Moment ist das Thema Krieg und Frieden. In den Mehrheitsthesen ist eine Öffnung der PDS in Richtung UNO-Kampfeinsätze, in Richtung UNO-mandatierte Kriege, was zwei Drittel des Parteitags gerade abgelehnt haben. Es wird sehr schwer sein, dass in einen neuen Programmentwurf hinein zu schreiben, aber der Versuch wird sicherlich gemacht werden.

Viertens wird der Sozialismus mehr oder weniger als eine Art Sonntagsformel, als eine Art allgemeine Mission, dargestellt, und nicht als eine konkret anzustrebende andere Gesellschaft, die wir vielleicht nicht perfekt ausformulieren können, aber von der wir sagen, dass sie alternativ zum Kapitalismus ist und im Grunde etwas völlig anderes als das, was in der DDR existierte.

LinX: Wie geht es weiter mit der PDS und den Linken in ihren Reihen?

W.W.: Die PDS ist - bei aller Kritik - eine Errungenschaft. Es ist ein großer Fortschritt, dass Menschen, die sich zu einer sozialistischen Gesellschaft bekennen, die Nein gesagt haben zum Kosovo-Krieg und die den Kampf für soziale Gerechtigkeit auf ihre Fahne geschrieben haben, wieder im Parlament sitzen. Dieser Fortschritt wird in Frage gestellt durch die Politik, die von Teilen des Vorstands gemacht wird. Aber dieser Parteitag hier in Münster ist eine Ermutigung für diejenigen, die am sozialistischen Profil der PDS festhalten wollen. In sofern ist der Parteitag in Münster eine Aufforderung an die Linken in der PDS oder an die jetzige Mehrheit in der PDS zu überlegen, ob man sich besser koordinieren, besser absprechen kann, wie man in die Lage kommt, personelle Alternativen aufzubauen, um in der Lage zu sein, in dieser Partei darum zu kämpfen, dass sie ihren Charakter nicht verliert und ihr sozialistisches Profil schärft.

LinX: Siehst du hierfür konkrete Ansätze?

W.W.: Nein. Dazu ist es zu früh. Was ich sagen kann ist, dass es sicherlich erstaunlich war, dass sehr verschiedene Positionen, wie die von Michael Benjamin und seiner Kommunistischen Plattform, Uwe-Jens Heuer und seinem Marxistischen Forum und von mir, der ich als einer der beiden gewählten Vertreter der westdeutschen Verbände in der Programmkommission sitze, einen gemeinsamen Text erarbeiten konnten. Ich kann mir auch vorstellen, dass daraus ein gemeinsamer Programmentwurf erwächst. Natürlich werden wir zunächst versuchen, mit allen zusammen einen Entwurf zu erarbeiten, aber ich glaube die Mehrheit wird alles dafür tun, einen zu erarbeiten, der nicht gemeinsam getragen werden kann. Ich kann mir vorstellen, dass demnächst dieser Parteitag auf einer Konferenz bilanziert wird. Aber es gibt keine konkreten Strukturen oder Tendenzbildungen.

LinX: Die PDS spielt in der Regel in den sozialen Kämpfen nur eine untergeordnete Rolle. Müsste sie nicht viel mehr auf außerparlamentarische Kampagnen setzen?

W.W.: Das wäre ein Ziel. Wenn es mal eine linke, organisierte Strömung in der PDS geben sollte, dann wäre ein Teil ihrer Plattform, dass sie sagt, die PDS muss eine kampagnenfähige Partei sein, die in der Lage ist, außerparlamentarische Opposition zu beflügeln, zu initiieren, in ihr solidarisch zu arbeiten. Nur das würde nämlich Sicherheit bieten dort, wo die PDS in Regierungen geht. Bewegung von unten muss uns davon abhalten, die Schweinereien zu machen, die jede Partei unter dem Druck der Verhältnisse im Kapitalismus machen muss.