Kultur

ElektRus: Novi Kompositori aus St. Petersburg in der Tanzdiele

Psychedelischer Futurismus

Valera dreht die Knöpfe am Effektgerät und sieht im silbergrauen Reißverschluss-Sweater und mit seltsam entrücktem androiden Lächeln aus, als sei er geradewegs aus einem Tarkowski-Film entsprungen, einem von diesen im Überzeitlichen angesiedelten Science-Fictions, wo die Welt auf sanfte, unaufgeregte Art aus den Fugen ist. Kollege Igri am Keyboard könnte in diesem Streifen den Partisan mit einem bioelektronischen Implatat im Hirn mimen. Und um den Futurologenkongress mit 60er-Touch komplett zu machen, verrenken sich einige russische Freunde auf der Tanzfläche wie einst die Crew vom Raumschiff "Orion" im "Starlight-Casino".

Dazu Projektionen von psychedelisch bunten Chromosomen im Pas de deux auf der Leinwand. Floating ist angesagt beim in der noch ziemlich leeren Tanzdiele irgendwie "versprengt" wirkenden Publikum. Zu den Klängen einer ambienten Klaviermelodie à la Bartok oder Satie, gemixt mit sphärisch fernen Samples aus Funkverkehren und triphoppigen Bassmelancholien, fällt einem Brian Eno nicht nur ein. Die "Novi Kompositori" Valera und Igri haben in St. Petersburg mehrfach mit Eno zusammengearbeitet.

Schnippsel aus Opernarien flirren zwischen den Beats, vom Movie-Loop aus dem Videobeamer passend illustriert. Denn dort tummeln sich Figurinen wie aus einem Oskar-Schlemmer-Ballett, futuristische Harlekine und Schimären aus Engeln und Teufeln, ausstaffiert mit Grammofontrichtern an der Hüfte oder einem riesenhaften Horn, das neben Tönen auch Blei spuckt. An den sowjetischen Futurismus der 20er erinnern auch die Lichtskulpturen aus Piters Untergrund-Laboratorium: Ein Flugzeug aus Stahlrohren, mit spirografisch floureszierenden Propellern, Insektenmasken und ein Hologramm der Totenmaske von Beethoven, die den Blicken des Betrachters magisch folgt.

Kühl wirkt diese Avantgarde aus dem ElektRus-Kollektiv. Zuhörmusik und Zusehbilder. Bis DJane Nadezhda die Regie an den Turntables übernimmt. Sie verscheucht das Gefühl leicht tranigen Floatens mit acidem Trance und glasscherbenscharfen Housebeats, wenn auch in den Break-Samples an ihre collagierenden Kollegen angelehnt, die weiter an Mixer und Keyboard assistieren. Und als hätte das die in den Startlöchern stehenden Heerscharen angelockt, füllt sich die Diele plötzlich. Nadezhdas Break-Beats zünden ungemein - als jene Dynamit-Dynamik, die Parties mit untergründigem Sprengstoff antreibt, der zwar nie explodiert, aber mit der Potenz zur Explosion eine Verheißung für eine wirklich gute Nacht ist.

(jm)