Internationales

Südkorea

Gewerkschaften blasen zum Kampf

In Südkoreas Hauptstadt Seoul war auch in diesem Jahr der 1. Mai von heftigen Zusammenstößen zwischen demonstrierenden Arbeitern und Studenten mit der Polizei geprägt. Den Hintergrund bilden nach wie vor scharfe Auseinandersetzungen über die Umstrukturierung der südkoreanischen Industrie. Linke Studentengruppen und Gewerkschaften wehren sich gegen Massenentlassungen und den Verkauf einheimischer Schlüsselindustrien an europäische und US-amerikanische Konzerne.

Eine regelrechte Straßenschlacht entwickelte sich, als Polizisten versuchten, 2.500 Studenten in der Nähe des Campus der Korea University aufzuhalten, die sich den Demonstrationen in der Innenstadt anschließen wollten. Seouler Zeitungen sprechen von den schwersten Zusammenstößen seit dem Amtsantritt des Reform-Präsidenten Kim Dae-jung vor zwei Jahren. Die Studenten, noch verbittert von der Polizeibrutalität während einer Gewerkschaftsdemonstration im Dezember, die mehrere ihrer Kommilitonen schwer verletzt zurückließ und einer jungen Studentin das Augenlicht kostete, warfen nach Agenturmeldungen hunderte von Molotow-Cocktails. In Sprechchören wurde der Streik der Daewoo-Automobilarbeiter gegen den Verkauf des Unternehmens an einen ausländischen Konzern unterstützt und der Stop der als neoliberal bezeichneten Wirtschaftspolitik der Regierung gefordert. Die Gewalt brach aus, nachdem die Polizei 130 Studenten festgenommen hatte, die sich an der Mai-Demonstration der Gewerkschaften beteiligen wollten.

In Seouls City zog unterdessen ein zwei Kilometer langer Protestzug von Gewerkschaftern und Studenten zur Myondong-Kathedrale, seit den 70ern Symbol der demokratischen Opposition gegen die verschiedenen Militärdiktaturen. Auch eine der demokratischen Gewerkschaftsbewegung KCTU nahestehende Organisation von Arbeitslosen und aus politischen Gründen Entlassenen beteiligte sich an den Aktion.

Die KCTU-Führung selbst hatte ihre offizielle Mai-Demonstration unter Protesten von Teilen der Basis bereits auf den Samstag vorgezogen. Nach unterschiedlichen Angaben beteiligten sich 15.000 bis 20.000 Menschen. Auch am Samstag war es zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. In rund einem Dutzend weiterer Städte des Landes hatten sowohl die demokratischen Gewerkschaften als auch der einst von der Diktatur gegründete Konkurrenzverband FKTU zu Demonstrationen aufgerufen. Beide Gruppen stellten die Forderung nach der 5-Tage-Woche ins Zentrum ihrer Aktivitäten.

In Südkorea ist das Frühjahr traditionell die Zeit der Tarifverhandlungen. Die KCTU-Führung hatte ihren Forderungskatalog wenige Tage vor dem 1. Mai veröffentlicht und angedroht, dass sie ihre Mitglieder Ende des Monats zu einem Generalstreik aufrufen werde, sollten die Unternehmer auf stur stellen. Ähnlich kämpferische Töne kommen von der FKTU, die mit rund einer Million Mitglieder zwar fast doppelt so stark ist wie die KCTU, diese in der Vergangenheit aber weniger gut mobilisieren konnte.

In dem ostasiatischen Land ist der Samstag immer noch regulärer Arbeitstag, an dem in der Regel sechs Stunden gearbeitet werden. Im verarbeitenden Gewerbe beträgt die wöchentliche Arbeitszeit 50 Stunden. "Nach Jahren harter Arbeit haben Koreas Arbeiter die 5-Tage-Woche verdient", so KCTU-Präsident Dan Byung-ho gegenüber der internationalen Presse in Seoul. In den vergangenen Jahren ist die wöchentliche Arbeitszeit sogar trotz Massenentlassungen wieder gestiegen und erreichte 1999 den Stand vom Ende der 80er. Die Gewerkschafter verweisen auf Statistiken der OECD (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), nach denen Südkorea von allen Industriestaaten mit Abstand die längste Jahresarbeitszeit hat. Mit 2.390 Stunden pro Jahr sind koreanische Arbeiter die absoluten Spitzenreiter, gefolgt von ihren US-amerikanischen Kollegen mit 1.957. Japanische Arbeiter bringen es hingegen auf nur noch 1.871 und die Deutschen bewegen sich mit 1.526 am unteren Ende der Skala. Die Zahlen sind von 1998.

Die langen Arbeitszeiten gehen einher mit der unter den Industriestaaten höchsten Rate tödlicher Arbeitsunfälle. 1997 starben von 10.000 Arbeitern 3,33 am Arbeitsplatz. In Deutschland waren es 1993 0,8, in Japan 1996 0,1.

Die KCTU fordert daher, dass die gesetzliche Arbeitszeit auf 40 Stunden begrenzt und der Samstag arbeitsfrei wird. Die effektive Arbeitszeit soll durch mehr Urlaub und Begrenzung der Überstunden auf 2.000 pro Jahr reduziert werden. Neben der Arbeitszeitverkürzung wird in den diesjährigen Tarifauseinandersetzungen die Forderung nach deutlichen Lohnerhöhungen eine wichtige Rolle spielen. Die sollen die während der Krise erlittenen Verluste ausgleichen. Seinerzeit hatten die Gewerkschaften, um Entlassungen zu verhindern, in vielen Fällen Lohnkürzungen und der Streichung von Zulagen zugestimmt. Nachdem Südkoreas Wirtschaft im vergangenen Jahr wieder angezogen hat, ist Schluss mit der Bescheidenheit: 15,3% mehr Lohn verlangt der demokratische Dachverband. Die Konkurrenz vom FKTU will 13,2%.

Daneben hat die KCTU eine ganze Reihe weiterer Forderungen aufgestellt, die z.T. sehr politisch sind, was der Tradition der demokratischen Gewerkschaftsbewegung entspricht, die in den späten 80ern wesentlichen Anteil an der schrittweisen Demontage der Militärdiktatur hatte. So wird von der Regierung verlangt, endlich das Verbot gewerkschaftlicher Organisierung im öffentlichen Dienst aufzuheben. Auch Arbeitslose dürfen sich nach den geltenden Gesetzen keiner Gewerkschaft anschließen. Wer seinen Arbeitsplatz verliert darf von den Gewerkschaften nicht mehr als Mitglied geführt werden.

Des weiteren spielt die Forderung nach Aufbau tragfähiger sozialer Sicherungssysteme eine große Rolle. Noch immer steht die Mehrzahl der Arbeitslosen ohne nennenswerte finanzielle Unterstützung da. In Südkorea werden nur 5,4% des Bruttosozialprodukts (BSP) für Sozialausgaben aufgewendet, womit das Land an vorletzter Stelle innerhalb der OECD rangiert. In Österreich beträgt der Anteil von Renten, Arbeitslosengeld, medizinischer Versorgung u.ä. am BSP 27,1%, in Deutschland 29,6%.

Schließlich wendet sich die KCTU vehement gegen die weitere Liberalisierung des Außenhandels, wie er mit der Welthandelsorganisation WTO und bilateralen Handelsabkommen mit den wichtigsten Industriestaaten betrieben wird. Ausdrücklich unterstützt der Dachverband die Kleinbauern, die angesichts der US-amerikanischen Konkurrenz um ihre Existenz fürchten müssen, sollten die Barrieren für Importe fallen. Aber auch für die heimische Industrie ist wenig Gutes zu erwarten. Insbesondere wird der Kampf der Automobilarbeiter bei Daewoo Motors unterstützt, die sich seit März mit mehreren Streiks gegen den Verkauf ihres Unternehmens an ausländische Interessenten wehren. Anfang April solidarisierten sich auch die Arbeiter bei Hyundai, Kia und Ssang-yong in einem einwöchigen Streik mit ihren Kollegen bei Daewoo. Die Gewerkschaften befürchten, dass ein ausländischer Interessent - im Gespräch sind Ford, GM und DaimlerChrysler - die koreanischen Werke im Rahmen einer globalen Strategie mittelfristig ausbluten lassen würde.

Im diesjährigen Forderungskatalog ist auch die Einführung der betrieblichen Mitbestimmung enthalten, die allerdings umstritten ist. Innerhalb der demokratischen Gewerkschaftsbewegung gibt es eine starke Strömung, die sich an der europäischen Sozialdemokratie und dem internationalen Bund Freier Gewerkschaften orientiert und hofft, in Südkorea einen Wohlfahrtsstaat aufbauen zu können. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt dabei das deutsche Modell. Teil dieses Vorhabens ist der Aufbau von Industriegewerkschaften und einer reformistischen Arbeiterpartei. Letztere ist allerdings bei den Wahlen im April kläglich gescheitert und muss sich nach den koreanischen Wahlgesetzen wieder auflösen, da sie kein Mandat erringen konnte.

(wop)