Internationales

Markenzeichen: Hyperausbeutung

Als im Dezember Zehntausende gegen die Welthandelsorganisation WTO demonstrierten, gehörten zu den wenigen Scheiben, die entgegen der reißerischen Berichterstattung vieler Medien tatsächlich zu Bruch gingen, die zweier Modegeschäfte. Die Ziele waren nicht zufällig gewählt: In den Schaufenstern lagen Produkte von Markenfirmen, die in so genannten Sweatshops produzieren lassen, Zulieferer in Mexiko, China oder anderen asiatischen Ländern, die ihre Arbeiterinnen und Arbeiter zumeist mit Hungerlöhnen abspeisen. Die Sweatshop-Marken sind in der nordamerikanischen Öffentlichkeit seit einiger Zeit unter Druck. Studentengruppen fordern ihre Universitäten auf, keine Sportartikel bei ihnen einzukaufen, Gewerkschaften verlangen von den Unternehmen, zumindest auf die Einhaltung von Arbeiterrechten und die Bezahlung von Mindestlöhnen zu achten.

Ende April legte die US-amerikanische Textilarbeiter Gewerkschaft UNITE! in Zusammenarbeit mit anderen Gruppen einen Bericht über die Zustände in den Vertragsbetrieben von Nike vor, einer Marke, die sich auch in Europa großer Beliebtheit erfreut.

In den letzten Jahren, so die Gewerkschafter hat Nike einen nicht unwesentlichen Teil seiner Produktion in die Volksrepublik China verlagert. Rund 50% der Schuhe des Konzerns werden dort hergestellt. In ca. 50 Vertragswerkstätten der Schuh- und Bekleidungsindustrie arbeiten rund 111.000 chinesische Arbeiter und Arbeiterinnen für Nike, wobei letztere bei weitem überwiegen. Zumeist werden sehr junge, unverheiratete Frauen eingestellt, die versuchen der Armut und Arbeitslosigkeit in ihren Dörfern zu entfliehen. Fernab von Familie und Verwandten werden sie in den Wohnheimen der Fabriken quasi kaserniert und sind rund um die Uhr unter der Kontrolle der Werksleitung. Eine Interessensvertretung gibt es nicht: Chinas Gewerkschaften verstehen sich als Partner der Regierung. Unabhängige Organisationen sind verboten und wer dennoch versucht, welche aufzubauen, muss mit Verhaftung und Folter rechnen.

Im Herbst 1999 und März 2000 hat das Hong Kong Christian Industrial Committee Arbeiterinnen in Nike-Fabriken in Hongkongs Nachbarprovinz Guangdong über die Arbeitsbedingungen befragt. Das Ergebnis: In der Hung Wah/Hung Yip Textilfabrik wird sieben Tage die Woche 12,5 Stunden täglich gearbeitet. Die Arbeiterinnen haben einen Tag im Monat frei. In der Wei Li-Fabrik werden 12 Stunden am Tag gearbeitet, während es alle 12 Tage einen Tag frei gibt. Die gezahlten Löhne reichen von 300 bis 1.000 Yuan (etwa 80 bis 250 DM) im Monat. Davon gehen Miete für die Unterbringung, in einigen Fällen auch Gebühren für die medizinische Versorgung ab. Üblich - obwohl genauso illegal wie die langen Arbeitszeiten - scheint auch Lohnabzug als Strafe für allerlei Vergehen und "Verstöße gegen die Disziplin" zu sein. Von einer Fabrik wird berichtet, dass die Arbeiterinnen einen halben Monatslohn "Strafe" zahlen müssen, wenn sie gefeuert werden. Anlass dafür kann schon sein, "eine schlechte Haltung gegenüber den Kunden einzunehmen oder die Interessen der Konsumenten zu verletzen", z.B. indem mit Beobachtern über die Arbeitsbedingungen gesprochen wird.

In den Wohnheimen müssen sich die Arbeiterinnen einen Raum mit sieben bis elf Kolleginnen teilen. Von einem Betrieb berichten die Interviewten, dass zwölf in einem Raum schlafen und sich 36 Frauen drei Toiletten teilen. Die Werksleitung verlangt dafür 36 Yuan im Monat. Die Wohnheime sind in einigen Fällen über den Werkstätten untergebracht und werden zumeist nachts abgeschlossen. Die amerikanischen Gewerkschafter sehen darin eine zusätzliche Gefährdung im Falle eines Feuers. In der Vergangenheit ist es in chinesischen Textilbetrieben wiederholt zu schweren Unglücken wegen verschlossener Fluchtwege und anderer Verletzungen der Sicherheitsbestimmungen gekommen. Der Bericht zählt verschiedene Betriebe auf, in denen alle Fenster vergittert sind, so dass die Arbeiterinnen bei einem Brand nicht durch sie entkommen können.

Angesichts der wachsenden öffentlichen Kritik an diesen Zuständen hat Nike eine PR-Kampagne gestartet und einen Kodex aufgestellt, nach dem z.B. die wöchentliche Arbeitszeit nicht 60 Stunden übersteigen darf. Mit den Realitäten in China und anderen asiatischen und lateinamerikanischen Ländern, in denen der Konzern produzieren lässt, hat das allerdings wenig zu tun. In seiner Image-Kampagne preist Nike z.B. die Unterbringung in Wohnheimen als besonders sozial.

In einer Antwort auf den UNITE!-Bericht wirft Nike den Gewerkschaftern vor, sie wollten nur amerikanische Jobs verteidigen und Arbeitern in Asien die Chance auf "ein faires Einkommen für sich und ihre Familien" nehmen. In Indonesien habe man z.B. die Löhne deutlich angehoben. Die Gewerkschafter weisen hingegen darauf hin, dass die Reallöhne dort aufgrund von Inflation und Abwertung abgenommen haben und viele Arbeiterinnen von ihnen kaum überleben, geschweige denn ihre Familien ernähren können. Im Juli 1997 habe der indonesische Mindestlohn umgerechnet 70 US$ betragen. Derzeit entspräche er nach der jüngsten Anhebung 41 US$. Verantwortlich ist der Verfall der indonesischen Rupiah im Zuge der Wirtschaftskrise. Da das südostasiatische Land einen nicht unerheblichen Teil des Grundnahrungsmittel Reis importieren muss, bekommen die Arbeiter den Währungsverfall hautnah zu spüren.

Bei Nikes indonesischen Partnern wird der Mindestlohn allerdings oftmals unterschritten: In den Schuhfabriken, die für Nike arbeiten, wird 33 bis 39 US$ im Monat gezahlt (ca. 70 bis 82 DM), in der Bekleidungsindustrie gab ein Drittel der Befragten Ende 99 sogar an, weniger als 33 US$ im Monat zu verdienen. Das sei 25% unter dem, was selbst Nike als das Minimum bezeichnet, das notwendig ist, um die minimalen Bedürfnisse einer Position abzudecken, so der Report. Indonesische Menschenrechtler berichten, dass die Arbeiterinnen unter diesen Bedingungen verzweifelt ums Überleben kämpfen.

Gleichzeitig sind physische Strafen wie das stundenlange Stehen in der tropischen Sonne ("being dried in the Sun" genannt) an der Tagesordnung. Eine Serie von Interviews mit 3.500 Arbeiterinnen und Arbeitern bei indonesischen Nike-Zulieferern, die die indonesische Stadtmission im Herbst 99 in Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen Menschenrechtsorganisation Press for Change durchführte, machte das einmal mehr deutlich. Über die Hälfte der Interviewten gab an, gesehen zu haben, wie Kollegen angeschrien, an den Ohren gezogen, mit Nadeln gestochen oder geschlagen wurden. Übliche Beschimpfungen sind "Du Hure!", "Du Hund!" und "Fick dich!" Am häufigsten beklagten sich die Arbeiterinnen allerdings darüber, dass sie zu Überstunden gezwungen würden. In Spitzenzeiten werde mehr als 72 Stunden in der Woche gearbeitet.

Zwangsweise Überstunden werden auch aus Nike-Vertragsunternehmen in Thailand und Kambodscha berichtet. Arbeiterinnen von Par Montihee in Thailand berichten, dass einige von ihnen aufgrund großer physischer Erschöpfung Blut husten oder erbrechen. Medizinische Versorgung werde verweigert, obwohl dafür regelmäßig ein Beitrag vom Lohn abgezogen wird. 1997 war im Betrieb eine Gewerkschaft gegründet worden, die durch eine Besetzung die Schließung verhinderte. Als 1998 mit Hilfe der Regierung eine Vereinbarungen über den Weiterbetrieb erzielt wurde, strich Nike alle Aufträge und vergab sie statt dessen an ein gewerkschaftsfreies Schwesterunternehmen.

Der Bericht wirft Nike vor, statt die Arbeitsbedingungen und Löhne zu verbessern, seine Produktion zunehmend nach China zu verlagern, wo die Zustände in den Fabriken schlechter zu überwachen sind. Außerdem würden in den USA Universitäten unter Druck gesetzt, weil sie das Worker Rights Consortium unterstützen, das sich der Aufdeckung der Verhältnisse in den Sweatshops rund um den Globus verschrieben hat. Der University of Oregon hat Nike bereits die Sponsorengelder gesperrt.

(wop)