KERNspalte

Greenpeace beschwert sich über Regelungen in der neuen Strahlenschutzverordnung, die erlauben sollen, dass Atommüll auf Hausmülldeponien gelagert wird und Teile abgerissener Atomanlagen, z.B. Stahl, sogar ohne Beschränkungen wiederverwertet werden. Allerdings soll es sich nicht, wie auf Englands Schrottplätzen, um Brennstäbe handeln, sondern nur um "leicht radioaktiven" Müll. Dabei ist das Grundkonzept - wie könnte es unter Trittins Federführung anders sein - doch nur sozialistisch: Die Strahlenbelastung soll nicht auf bestimmte Räume, wie etwa Endlager, konzentriert, sondern reichlich verdünnt werden und damit allen Menschen gleichmäßig auf niedrigem Level zugute kommen. (Das ist nicht so abwegig wie es scheint: Auf den ersten russischen Atom-U-Booten, die damals die größten und schnellsten der Welt waren, stellte man bei Tauchfahrten unter dem arktischen Eis fest, dass die Antriebsreaktoren radioaktives Kühlwasser verloren. Da an Auftauchen nicht zu denken war, legten die Kommandanten, überzeugte Kommunisten, fest, dass die Lasten von der Gemeinschaft und nicht nur von den Genossen im Maschinenraums zu tragen seien, und ließen die radioaktive Luft des Maschinenraums über die Klimaanlage im ganzen Schiff verteilen - wobei sie auch verdünnt wurde. Das Wasser wurde aufgefeudelt.) Das ist wie mit den genetisch veränderten Pflanzen: Die Anbauflächen werden nun nicht mehr kontrolliert, sondern das Saatgut einfach an irgendwelche Bauern ausgegeben, von wo die manipulierte DNA emanzipatorisch in die Umwelt auch der reichen und fetten Kapitalisten vordringt. Besonders sozialistisch soll es in den ostdeutschen Uranabbaugebieten ohne StSchV zugehen: Dort gelten weiterhin die alten DDR-Grenzwerte - die sind leichter einzuhalten!

Vermutlich aus solch sozialistischen Erwägungen heraus ist ja auch die PDS in Salzgitter gegen das geplante Endlager im Schacht Konrad. Im Aktionsbündnis gegen Schacht Konrad findet sich neuerdings nun auch das Proletariat ein: Der VW-Gesamtbetriebsrat (oder gibt es da teilweise Personalunion mit Erstgenannten?) bemerkt besorgt, dass in den Konsens-Gesprächen die Genehmigung für das geplante Atommüllendlager "in einer Industrieregion mit mehr als 50.000 Arbeitsplätzen" aktuell wird - "strukturpolitisch unverantwortlich". Die ehemalige Eisenerzgrube Schacht Konrad sei aus geologischen Gründen nicht als Endlager geeignet. Transportunfälle mit unabschätzbaren Folgen seien bei der Einlagerung von Atommüll in Salzgitter nicht auszuschließen, spielten aber in dem Planfeststellungsverfahren keine Rolle. Ein Hinweis: Wenn unser starker Arm es will ...

Im Folgenden nun ein paar Beispiele, wie effektiv sich die Atomindustrie ohne Gegenaktivitäten selbst stilllegt: Wahrscheinlich wird das türkische AKW in Akkuyu, um dessen Bau sich auch Siemens/Framatom bewerben, nun doch nicht gebaut. Nicht weil es in einer Erdbebenzone liegt, sondern weil das türkische Finanzministerium festgestellt hat, dass es unfinanzierbar ist. Die Auftragsvergabe wurde gestoppt. Hans-Josef Fell von den Bündnisgrünen glaubt, dass er diesen Stimmungsumschwung bei seinem Türkeibesuch ausgelöst habe.

BNFL (ihr wisst schon: Sellafield) verliert ihren vorletzten Kunden - die US-Regierung. Sie will in England nun keinen Atommüll mehr unterirdisch "entsorgen" lassen. Der Grund ist nicht der skandalöse Umgang mit radioaktiven Stoffen durch BNFL, auch nicht die Sabotageakte der vergangenen Monate, sondern "überzogene Forderungen". Vor zwei Jahren hatte BNFL die Entsorgungskosten auf 6,9 Mrd. $ veranschlagt, den Betrag aber Ende April auf 15,2 Mrd. $ revidiert. Energieminister Bill Richardson nannte die Forderung "unverschämt teuer und in vielerlei Hinsicht inakzeptabel". Damit hat sich die US-Regierung aber einen Bärendienst erwiesen, denn die angepeilte Privatisierung der Atommüllentsorgung muss wohl erstmal ausfallen.

Nicht ausfallen, aber verzögern muss sich der Castortransport von Philippsburg nach Ahaus. Der Behälter, der schon im Reaktorgebäude ist, kann nicht beladen werden. Wie EnBW mitteilte, gibt es ein Problem mit den Dichtungen. Seit November 99 war behauptet worden, die Probleme seien behoben, die Transporte dürften wieder rollen. Im Januar hatte Trittin das genehmigt.

Im letzten noch tätigen Reaktor in Tschernobyl hat es offenbar einen Störfall gegeben. Seit dem 15.5. laufe es wieder normal, teilte die US-Regierung (!) mit. Einzelheiten wurden nicht bekannt gegeben, weder durch die ukrainische noch die US-Atombehörde. Dafür hat sich am selben Tag ein kalifornisches AKW bei San Luis Obispo aufgrund eines elektrischen Problems selbst abgeschaltet. Aus der Anlage Diablo Canyon sei leicht radioaktiver Dampf entwichen, der aber die bundesweit geltenden Grenzwerte nicht überschritten habe. In der Umgebung des Atomkraftwerks wohnen 237.000 Menschen.

Eine US-Studie hat nun bewiesen, dass Atomreaktoren auch im Normalbetrieb zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der benachbarten Anwohner führen - und zwar im Umkehrschluss. Die Kindersterblichkeit nahe fünf US-AKWs sank rasch und signifikant, nachdem die Anlagen stillgelegt worden waren. Innerhalb zwei Jahren sank die Todesrate aufgrund von Geburtsfehlern, Leukämie und Krebs in der Windrichtung vom AKW um 15 bis 20%. Der Berliner Nuklearmediziner und Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz, Dr. Sebastian Pflugbeil, schätzt die Zahl der durch Strahlenunfälle umgekommenen Menschen in Deutschland auf 20.000 (inklusive der Uranmine Wismut). Darin sind die durch statistische Veränderungen der Kindersterblichkeit umgekommenen Opfer natürlich nicht enthalten. Es wäre interessant, mal einen Größenvergleich zu haben.

Was kostet das Verdampfen eines bewohnten Archipels? Sicherlich hängt das von der Größe der Inseln und der Zahl der Bewohner ab. Im Fall des Atolls Enewetak (Marshallinseln) mit 1.500 Bewohnern wissen wir es genau: 341 Mio. $. Technisch war das kein Problem, wie die US-Regierung während des Kalten Krieges gezeigt hat. 68 Atombombentests hatten das Südseeparadies von 1946 bis 1958 nachhaltig verwüstet, nachdem nur 145 Bewohner zwangsumgesiedelt worden waren. Manche der 40 Inseln waren vollständig verdampft, der Rest radioaktiv verseucht und verkratert. Währenddessen wurden die Bewohner auf dem 200 km südwestlich gelegenen Atoll Ujelang untergebracht. Nach einem Bericht des US-Innenministeriums kümmerte sich dort niemand um sie. Die Menschen litten Hunger, es gab kaum Schulen und wenig Gesundheitsfürsorge. 1980 durften sie zurückkehren in die Ruinen ihrer Heimat, 1983 wollte die US-Regierung für die Schäden aufkommen und entschädigte einen Haufen Anwälte, die ihren Mandanten schließlich noch 4,5 Mio. $ übrigließen. Nun befand ein Gericht, dass die Schäden "mit Geld nicht zu kompensieren sind", ersatzweise dürfe es aber auch mehr Geld sein: 341 Mio. $.

Die EU-Kommission will umfreundliche Energiepolitik nicht generell verbieten. Trotz aller Liberalisierung soll den Mitgliedsstaaten überlassen bleiben, ob sie die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energiequellen subventionieren wollen. Ziel der Direktive sei, bis 2010 EU-weit 12% des Stroms daraus zu gewinnen. Das ist sehr relativ, wenn man bedenkt, dass bereits jetzt der Anteil (allerdings inklusive der großen Wasserkraftwerke) bei gut 17% liegt, und dem einzelnen Staat auch keine bindende Quote vorgeschrieben werden soll, so dass regional der Anteil sogar auf 0% reduziert werden kann.

Schelte gab's von der UN-Atomenergiebehörde IAEO für Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Für die ersten drei, weil sie den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet haben und sich nicht einmal offiziell als Atommächte deklarieren - trotz der bekannten Atombombenversuche, und für Nordkorea, weil es den Inspektoren der IAEO nicht zu allen Atomanlagen Zugang gewährt. Die vermuten jetzt, dass Teile des Atomprogramms für geheime militärische Zwecke abgezweigt werden, obwohl eine Vereinbarung mit den USA dies verbietet, die zustande kam, weil zwei Leichtwasserreaktoren durch ein internationales Konsortium in Nordkorea gebaut werden sollen. Die Konferenz über die Umsetzung des Atomwaffensperrvertrages in New York endete am 21.5. hingegen mit einer kleinen Sensation, nachdem ein Streit zwischen den USA und Irak über die Formulierung beigelegt worden war: Alle 5 Atommächte (England, Frankreich, USA, China, Russland) verpflichten sich danach zur vollständig atomaren Abrüstung und haben sich auch auf Kontrollmechnismen geeinigt. Alle 187 Teilnehmerstaaten unterzeichneten die Vereinbarung.

(BG)