Kultur

Letzte Sitzung der ULR-Anstaltsversammlung

Plädoyer für Regulierung

Ein böses Wort zitierte Jutta Kürtz, Präsidentin der ULR-Anstaltsversammlung (AV), eingangs der letzten Sitzung (am 18.5.) des Gremiums, das demnächst von einem Medienrat abgelöst wird: "Manche sahen uns als pluralistische Kontrollattrappe." So überzogen dieses Wort sei, Kürtz mochte nicht damit hinterm Berg halten, dass sich die AV "oft ohnmächtig" gefühlt habe. "Als Medienaufsicht hatten wir umfangreiche Aufgaben ohne umfangreiche Einwirkungsmittel." Ähnlich das Fazit von Günther Martens, Vorstandsvorsitzender der ULR: "Wir haben viel seltener eingreifen müssen, als ich befürchtet hatte. Aber das duale Rundfunksystem hat nicht mehr Meinungsvielfalt gebracht. Das Produkt der privaten Anbieter war meistens allein die Quote."

Ein konkreter Fall machte diese Einschätzungen noch einmal augenfällig. Eine Beschwerde gegen die SAT.1-Sendung "Glücksspirale", in der sich Kandidaten einem Bad in Würmern unterziehen mussten, sollte, so die Empfehlung eines Ausschusses der AV, zurückgewiesen werden. Grund: In einem zivilrechtlichen Verfahren hätte eine Abmahnung vermutlich keinen Bestand. Doch gegen solchen "Opportunismus" verweigerte sich die AV mit deutlicher Mehrheit und bewies damit einmal mehr die "praktizierte Unabhängigkeit", die ULR-Direktor Gernot Schumann ihr in seinem Abschluss-Statement attestiert hatte. Auch in einer Entscheidung zum Kanalbelegungsplan zeigte die AV ihr Engagement für ein qualitativ hochwertiges Programm. Da das "Gesamtangebot im Kabel derzeit sehr unterhaltungslastig" sei, soll eines der acht bundesweiten Vollprogramme seinen Kabelplatz an ein neues Informationsprogramm abgeben.

Dennoch wiesen diese letzten Entscheidungen auf das Dilemma hin, in dem die Rundfunkwächter stehen. Im allgemeinen Deregulierungstrend wird ihre Kontrollfunktion zunehmend schwieriger. Entsprechend eindeutig ist die Resolution, die die AV nahezu einstimmig beschloss: "Kein Ende der Regulierung!" Aus den Erfahrungen der letzten fünf Jahre, die "von weitreichenden technischen und programmlichen Entwicklungen" geprägt gewesen seien, leitet die AV sieben Punkte ab: Der Rundfunk sei auch unter den Bedingungen der Digitalisierung "Faktor der öffentlichen Meinungsbildung" und bedürfe deshalb "weiterhin der Regulierung". Diese müsse "Machtkonzentration verhindern", den Jugendschutz sowie "ethische Grundsätze und Mindest-Qualitätsstandards sichern". Sehr wichtig seien ferner die Förderung der Medienkompetenz und die Verankerung von Regionalität im Programmspektrum. Letztere sei unverzichtbar, weil sie kulturelle Identität stifte.

In einem der letzten Anstaltsversammlung vorausgegangenen Medienforum hatte Ministerpräsidentin Heide Simonis deutlich gemacht, dass Medienaufsicht und -steuerung zwischen Gebührendiskussion, "grundsätzlichen Reformen" und EU-Recht einer Gratwanderung gleichkommt. Auf der einen Seite plädiert Simonis "im Bereich des Medienrechts für eine weitgehende Deregulierung und Liberalisierung", auf der anderen Seite weiß sie aber, dass damit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter Umständen ein Bärendienst erwiesen wird. Die EU drängt nämlich auf Abschaffung der Rundfunkgebühren, da diese den Wettbewerb verzerrten. Es sei, so Simonis "fast nicht möglich, der EU den Unterschied zwischen Steuern und einer Gebühr deutlich zu machen". Simonis will die Rundfunkgebühren erhalten, jedoch müssten die Haushalte von ARD und ZDF budgetiert werden und sich einer "Effizienzprüfung" unterziehen. Denn mit der Bereitschaft der Bürger, für Rundfunk zu zahlen, müsse "sensibel umgegangen werden". Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse gestärkt werden: "Auch in einer globalisierten Welt dürfen regionale, identitätsstiftende Aspekte nicht zu kurz kommen."

Für die Rundfunkreform schlug Simonis ein umfangreiches Paket vor, bei dem es um "Richtungsentscheidungen und nicht Entscheidungen in alle Richtungen" gehe. Die Wahrung des Wettbewerbs will Simonis dem Kartellamt übertragen. Auch beim Jugendschutz solle das "Prinzip der Delegation" greifen. Ein Ende der Regulierung sieht Simonis nicht, wohl aber "Chancen für einen weiteren Liberalisierungs-Kurs. Der digitalisierte Rundfunk braucht Spielregeln, die müssen aber nicht unbedingt vom Staat kommen."

Die Steuerungschancen der Politik auf dem Medienmarkt beurteilt der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Jo Groebel hingegen weitaus skeptischer. Jugendschutz durch Zeitgrenzen betreiben zu wollen, sei durch die Globalisierung und damit den virtuellen Wegfall von Zeitzonen "völlig obsolet". Auch die Vorstellung, Medienrecht national regeln zu können, sei "passé". Groebel sieht in der Digitalisierung selbst ein deregulierendes Moment, von der "Aufhebung der 9-17-Uhr-Gesellschaft" über Angebote "on demand" bis hin zum Entstehen eines neuen Verständnisses von Identität und Privatheit. Identitäten seien "nicht mehr demografisch, sondern situativ" geprägt und veränderten sich von Situation zu Situation. Wie bei solcher Flexibilisierung von Identitäten eine abstrakte staatliche Instanz wie ein Rundfunkrat seine Legitimation behalten könne, sei fraglich.

Als Regulierungsinstrumentarium schweben Groebel, angelehnt an die englischen Begriffe, "fünf C" vor: Content, die Überwachung von Inhalten, Consens, die öffentliche Debatte über Regulierung, Community, die Zusammenarbeit von Anbietern und Medienwächtern, Control, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und - sehr wichtig - Competence, die Medienkompetenz beim einzelnen Zuschauer.

Ob die Förderung von Medienkompetenz allerdings ausreichen wird, den TV-Markt in die Schranken zu weisen, bleibt allerdings fraglich. Geradezu leidenschaftlich fiel daher der Appell des scheidenden ULR-Vorstands Günther Martens aus. Dem neuen Medienrat schrieb er ins Stammbuch, dafür zu sorgen, dass "es in den Medien wieder mehr um Lebenssinn als nur um Lebensstandard" geht. Die AV habe immer in diesem Sinne gewirkt. Ihre Tätigkeit beschließe sie nunmehr mit einem Vers aus Brechts Gedicht "An die Nachgeborenen": "Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut, gedenkt unsrer mit Nachsicht."

(jm)