Internationales

Exzessive Sozialstrukturen

Außenminister Joschka Fischer sieht in der EU ein "Demokratieproblem", dem er mit seinem Kerneuropa-Konzept beizukommen gedenkt, und der Europäische Unternehmerverband UNICE möchte ihm gerne dabei helfen. 1.500 Topmanager treffen sich diese Woche in Brüssel zum European Business Summit (EBS) um die "Herausforderungen an die europäischen Unternehmen" zu diskutieren. "Die Lehre des Lissabonner EU-Gipfels, nach dem Industrie und europäische Institutionen Hand in Hand arbeiten sollten", werde auf dem EBS umgesetzt, heißt es in einer UNICE-Mitteilung. Die Wirtschaftskapitäne der EU wollen sich auf eine gemeinsame Wunschliste für die französische Ratspräsidentschaft einigen, die am 1.6. beginnt. "Der EBS wird den Behörden helfen, diese Herausforderungen bei ihren Planungen zu berücksichtigen", heißt es sibyllinisch in einer Ankündigung der Brüsseler UNICE-Zentrale. Unter dem Motto "Innovation und Kreativität in Europa" will man sich zwei Tage lang am 9. und 10.6. über Unternehmensstrategien und -organisation, die Erschließung von Ressourcen und neuen Märkten und darüber unterhalten, wie der gesetzliche Rahmen geändert werden müsste, um den Innovations-Bedürfnissen der Unternehmen zu entsprechen. UNICE hat 39 Mitgliedsverbände in 31 europäischen Ländern, die nach eigenen Angaben immerhin 16 Mio. Unternehmen vertreten.

Man ahnt es schon: Die Vokabeln Deregulierung und Flexibilität werden ganz groß geschrieben. Der Verband dringt auf schnelle Reformen, damit Europa bei der Einführung des Internet-Handels und in der IT- und Telekommunikationsbranche nicht zurückfalle. Diskutiert werden soll u.a. über die verschiedenen europäischen Patentsysteme, die als zu bürokratisch, aufwendig und langsam beschrieben werden. Intellektuelles Eigentum werde heute v.a. im Internetbereich nicht effektiv genug geschützt und damit der Austausch von Ideen behindert. Weiter wünscht sich die europäische Wirtschaft verbesserten Zugang zu den Universitäten und fließende Übergänge: Auch in der EU müsse es zum Normalfall werden, heißt es in einem Vorbereitungstext, dass Hochschullehrer nebenbei als Unternehmer tätig sind. Es werde Zeit, dass das Prinzip des einheitlichen Marktes in den akademischen Bereich und v.a. in den öffentlich finanzierten Forschungs- und Entwicklungssektor ausgedehnt werde. Dass dies zusammen mit der geforderten "Entbürokratisierung" und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren zu einem Abbau öffentlicher Kontrolle führen wird, dürfte auf der Hand liegen.

Wie zu erwarten, steht auch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes auf der Liste der zu diskutierenden Themen. Die sozialen und institutionellen Strukturen seien in vielen europäischen Ländern von "exzessiver Festigkeit" und würden damit ein wesentliches Hindernis für den Unternehmergeist vieler Menschen bilden. Die Unternehmen müssten sich darauf einrichten, Teilzeitarbeit, befristete Anstellungen und Umschulungen optimal miteinander zu verbinden, wird in einem Diskussionsbeitrag die schöne neue Flexibilisierungswelt beschrieben. Der Arbeitsmarkt müsse "flüssiger" werden.

In Belgien regt sich indes einiges an Widerstand gegen das Treffen der Bosse. Besonders rege ist das ATTAC-Netzwerk, ein Ableger des französischen Zusammenschlusses zahlloser Basisinitiativen für die Regulierung der internationalen Finanzmärkte und gegen eine Globalisierung im Interesse der Konzerne. ATTAC-Belgien plant am 7. und 8.6. zwei große öffentliche Veranstaltungen in Gent und Brüssel, auf denen auch Wissenschaftler aus Frankreich und Deutschland sprechen sollen. Auch das Amsterdamer Corporate Europe Observatory ist mit von der Partie, das seit einigen Jahren die Lobbyarbeit der europäischen Wirtschaft in Brüssel verfolgt und öffentlich macht. Geplant sind in den Tagen vor dem EBS weiter eine Reihe von Happenings vor Börsen und den Sitzen der Unternehmerverbände, um die Öffentlichkeit auf die UNICE-Konferenz aufmerksam zu machen. Am Samstag soll es schließlich in Brüssel eine internationale Demonstration geben, zu der auch ATTAC-Frankreich mobilisiert. Die ist allerdings bisher noch verboten, da, so ein Sprecher von ATTAC-Belgien gegenüber der "Volksstimme", es in Brüssel generell schwierig sei, am Samstag eine Demonstration genehmigt zu bekommen. Am Nachmittag soll es aber noch auf jeden Fall eine weitere Gegenveranstaltung geben, auf der wahrscheinlich auch über Mobilisierungen gegen den nächsten bedeutenden EU-Gipfel gesprochen wird. Der findet im Dezember in Nizza statt und das Euromarsch-Netzwerk bereitet sich bereits mit anderen Initiativen auf eine Demonstration und ein internationales Erwerbslosenparlament aus diesem Anlass vor.

(wop)