Internationales

Konsum hemmt Fortschritt

Von der digitalen Spaltung der Weltbevölkerung bis zu den verheerenden AIDS- und Tuberkulose-Epedemien: die Gräben zwischen Nord und Süd, innerhalb der Nationen und zwischen den Geschlechtern vertiefen sich immer mehr. Das verdeutlicht einmal mehr der jüngste Jahresbericht des unabhängigen Washingtoner Worldwatch Institute, der Ende Mai vorgelegt wurde. "Die ungleiche Verteilung von Wohlstand, Macht, Chancen und Überlebensaussichten durchkreuzen Versuche, die zunehmende Umweltzerstörung aufzuhalten. Auf der anderen Seite braucht es gerade heute einen nie dagewesenen Grad an Zusammenarbeit, um die globalen Probleme zu meistern", mahnte Ko-Autor und Worldwatch-Chefforscher Michael Renner bei der Vorstellung des Berichts.

Doch während im reichen Norden ein größerer Teil der Bevölkerung zumindest die Möglichkeit hat, sich umfassend zu informieren, reißt die Informationsgesellschaft neue Gräben auf: 87% aller Internet-Nutzer leben in den Industriestaaten, aber in Indien, China oder Afrika ist nicht einmal 1% der Bevölkerung online. Doch gerade diese Staaten sind besonders von der globalen Klimaveränderung bedroht, wie die Flutkatastrophen des letzten Jahres gezeigt haben. Allein in Venezuela wurden im Dezember 99 30.000 Menschen durch Erdrutsche nach besonders schweren Niederschlägen getötet.

Zu den Problemen, die der neunte Jahresbericht des Washingtoner Instituts besonders hervorhebt, gehören neben der weiteren Absenkung der Grundwasserspiegel in vielen Regionen und der unkontrollierten Verbreitung ständig neuer künstlicher chemischer Verbindung, deren Folgen für Mensch und Umwelt nicht abzusehen seien, die Ausbreitung moderner Seuchen. Auch in Zeiten der modernen Medizin breiten sich Seuchen wie AIDS und TBC weiter aus. Fast 50 Mio. Menschen sind inzwischen mit dem Immunschwäche-Virus infiziert und im subsaharischen Afrika geht jeder fünfte Todesfall auf sein Konto. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in dieser Region in den letzten zehn Jahren um 14 auf nur noch 45 Jahre zurückgegangen. Die weite Verbreitung von AIDS zusammen mit der Zunahme der Gefängnispopulation und dem wachsenden Tourismus macht der Bericht als Ursachen für die Ausbreitung von TBC aus. 70 Mio. TBC-Tote sind nach Angaben des World Watch Instituts bis 2020 zu erwarten.

"Wir haben angefangen, die globalen Herausforderungen anzunehmen", meinte Renner, "aber allzu oft noch bremsen wir lediglich die zerstörerischen Entwicklungen ab, anstatt sie umzukehren. Wenn wir eine stabile Umwelt, eine gesunde und gerechte Gesellschaft aufbauen wollen, dann müssen wir unsere Anstrengungen massiv verstärken."

Eines von vielen Gebieten, auf denen es nach Ansicht nicht nur der Autoren viel zu langsam mit den Gegenmaßnahmen vorangeht, ist der Treibhauseffekt. 1999 ist der Ausstoß des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid im zweiten Jahr in Folge zurückgegangen, und zwar um 0,2%. Unklar ist allerdings, ob das ein erster Erfolg der internationalen Klimaschutzverhandlungen ist, oder ob die Ursache nicht viel eher in der Wirtschaftskrise zu sehen ist, die weite Teile der Welt in diesen Jahren erfasst hatte. Wie dem auch sei, die Washingtoner Wissenschaftler weisen darauf hin, dass der Rückgang bei weitem nicht ausreicht, um das Weltklima zu stabilisieren. Statt 0,2% müssten es 70% Reduktion sein, soll eine weitere Erwärmung des Klimasystems aufgehalten werden. Die bisherigen Klimaänderungen führten bereits zu vermehrten Naturkatastrophen. 1999 haben Stürme allein in West- und Mitteleuropa Schäden in Höhe von 10 Mrd. US$ angerichtet.

Doch der Konsum in den reichen Ländern verhindere Fortschritte bei der Treibhausgasreduktion. Vor allem die Steigerung der Automobilproduktion und die abnehmende Treibstoffeffizienz wegen des vermehrten Verkaufs von Sportwagen und anderen motorisierten Freizeitfahrzeugen mache manchen Fortschritt zunichte. Die Zahl der Autos pro Person, so der Bericht, sei in Europa, den USA oder Japan 100 mal größer als in Indien oder China.

Die Autoren sehen allerdings auch ein kleines Licht am Ende des Tunnels. Regelmäßig - so auch in diesen Jahr - bemühen sie sich, positive Trends herauszustellen. Mit 39% Zuwachs seien 1999 Windanlagen die weltweit am schnellsten wachsende Energiequelle gewesen. Auch die Produktion von Solarzellen habe im gleichen Zeitraum um 30% zugenommen. Ein anderer Hoffnungsschimmer stelle der organische Anbau dar. In Europa habe sich dessen Fläche innerhalb von drei Jahren auf jetzt 4 Mio. Hektar verdoppelt. In Italien und Österreich werde bereits auf 10% der Böden organisch angebaut. Auch die Einführung von Ökosteuern in mittlerweile acht westeuropäischen Ländern zählen die Washingtoner zu den positiven Zeichen. Der Umbau des Steuersystems müsse aber noch weiter geführt werden, soll der globale Verfall der Umwelt aufgehalten werden.

(wop)

Der Bericht "Vital Signa 2000" kann zum Preis von 13 US$ bestellt werden beim: Worldwatch Institute, 1776 Massachusetts Ave NW, Washington, DC 20036, Fax: 001-202-296-7365. Email: msheehan@worldwatch.org oder mrenner@worldwatch.org, homepage: www.worldwatch.org