Herr, send' Hirn!

Deutschland boomt, Kiel boomt, Gaarden boomt. Und wie! Mit der Wirtschaft geht es wieder aufwärts. Jawoll. Besonders in Gaarden. Seit einigen Monaten standen am Vinetaplatz die Ladenräume des traditionsreichen Wäsche-Geschäftes Stahl und Stiller leer. Nun hat die Kieler Beschäftigungsgesellschaft KIBA - jener stadteigene Betrieb, der öffentliche Arbeiten mit kreativ-niedriger Bezahlung ausführt - dort einen Gebrauchtmöbelladen eröffnet. Findige Menschen in der Geschäftsführung - oder war es auf höhere Weisung? - haben den Coup gelandet, während das Urban-Büro sich noch mit allerlei Gesprächspartnern Gedanken über Stadtentwicklung in Gaarden machte. Schnelles Handeln war gefragt. Leider keine Zeit, den Ortsbeirat oder den eigenen Vorstand oder gar die Ratsversammlung zu befragen. Wäre ja auch noch schöner, wenn jeder über die Entwicklung in diesem Stadteil mitreden wollte. Da haben sie es den Bürokraten aber gezeigt! Jetzt haben es die Sozi-Bezieher nicht mehr so weit, wenn sie mal wieder mit einem Bezugschein für Sperrmüll losgeschickt werden.

An der Hörn boomt es auch. Von der "Kai-City" ist zwar noch nichts zu sehen - war da nicht mal was mit Baubeginn spätestens zum 31.12.99? -, doch an der Gablenzbrücke ist tatsächlich so etwas wie Bauaktivität auszumachen. Dort soll hinter viel Glas und Beton Kiels Zukunftsindustrie entstehen: Ein Callcenter mit ein bisschen Software oder andersrum. Dumm nur, dass Spracherkennungsprogramme inzwischen die EU-weite Callcenter-Blase bedrohen und z.B.in Hamburg unlängst bereits die ersten Unternehmen mit Entlassungen begannen. Aber die Neuer-Markt-Fetischisten im Rathaus scheinen sowieso keine überregionalen Zeitungen zu lesen und schon gar nicht den Wirtschaftsteil. Verdirbt sowieso bloß die Laune, wenn man den wilden Kurs-Zickzack der Software- und Internetaktien verfolgt. Womöglich käme man gar dahinter, dass des Kaisers neue Kleider so schillernd nicht sind?

Wir sind jedenfalls gespannt, wer dereinst an der Hörn einziehen wird. Im Augenblick ist dort ersteinmal Kieler Woche und ConSors - Der Discount-Broker geht mit viel Chrom und Hightech auf Jagd nach Aktien-Verrückten. Im Angebot: Ein Orginal Alaska-Gold-Claim als Wandschmuck. Fans der käuflichen Erotik können auch einen dekorativen Anteilsschein von Beate Uhse erwerben. Wer weiß, nach dem nächsten Crash könnte Tapezieren sowieso das einzige bleiben, was man mit seinen Anteilen noch machen kann. Und wenn Riester & Co. bis dahin die Altersvorsorge schon auf Pensionsfonds umgestellt haben, gibt es die Rente wieder vom Sozi. Wie in guten alten Zeiten.

Die ließen nebenan derweil schon mal ein paar Käppiträger im vollen Wichs, d.h. Verbindungsstudenten mit ihren alten Herren, hochleben. Auf der Kogge, die sie sich für eine Ausfahrt gemietet hatten prangte - ihre Herzen müssen höher geschlagen haben - hoch am Mast ein Eisernes Kreuz. Festgemacht wurde natürlich am Germania-Becken und die Stimmung war bestens. Das Alte passt eben doch ganz prächtig zu diesem Neuen.

(wop)