Aus dem Kieler Rat

Alten- und Pflegeheime:

Alles nur Einzelfälle?

Was die Privatisierung und damit der Rückzug der Kommune aus ihrer Verantwortung bewirkt, das kann man bei den Stadtwerken ahnen, bei den Alten- und Pflegeheimen wird es bereits deutlich sichtbar. In einem KN-Artikel vom 3.6. wurde anhand eines Falls die "katastrophale Pflegesituation" (so heißt es in einer Resolution des Seniorenbeirats an den Kieler Rat) in den Kieler Alten- und Pflegeheimen aufgedeckt. Angehörige einer Pflegebedürftigen hatten sich beschwert, dass die alte Dame am 15.4. nicht aufstehen durfte, weil nicht genug Personal vorhanden war, um den nicht mehr selbstständigen Pflegebedürftigen beim Anziehen zu helfen. Der Artikel fand ein Nachspiel in der Ratsversammlung vom 8.6.

Bürgermeisterin und Sozialdezernentin Bommelmann übte scharfe Kritik an der Berichterstattung in den KN: "Es stimmt einfach nicht, dass völlig erschöpfte Mitarbeiter schlechte Pflege leisten." Vielmehr sei es "eine knallharte Existenzfrage, dass wir uns am Pflegemarkt behaupten und das geht nur, wenn wir qualitativ hochwertige Pflege leisten". Bei dem in den KN geschilderten Fall, das hätten auch die betroffenen Angehörigen schließlich eingeräumt, handele es sich um "einen bedauerlichen Einzelfall".

Das sahen insbesondere die Grünen anders. Die Privatisierung, so meinte der grüne Ratsherr Koch, habe zu einem neuen Billiglohnbereich geführt, mit entsprechend geringer Motivation der Mitarbeiter. Vor allem die soziale Betreuung der Heiminsassen werde häufig wegen Überlastung der Pflegekräfte nicht geleistet. Ingrid Jöhnk (Grüne) berichtete ferner, dass an kranke Pflegemitarbeiter Schreiben gesandt worden seien, in denen ihnen nahegelegt wurde, das Arbeitsverhältnis in gemeinsamem Einvernehmen aufzulösen. Gegen solche "Unterstellungen" wehrte sich Annegret Bommelmann. In den Heimen werde überall nach Tarif bezahlt. Es sei richtig, dass die Mittel für die Pflege eher knapp bemessen seien, jedoch habe die Ratsversammlung selbst beschlossen, "die Zuschüsse zurückzubauen".

Eckehard Raupach (SPD) räumte ein, dass es "zwischen Haushaltskonsolidierung und dem Pflegebedürfnis alter Menschen Interessensgegensätze" gebe. Er widersprach jedoch Bommelmann, die moniert hatte, die Vorfälle dürften im Interesse der Pflegeeinrichtungen und auch der MitarbeiterInnen nicht öffentlich diskutiert werden. Die CDU führte die Missstände darauf zurück, dass "die Rechtsform gemeinnützige GmbH eben keine echte Privatisierung" sei. Achselzucken auch bei der SUK. Stationäre Pflege, so Ratsherr Dirk Hammerich, könne qualitativ an die private Pflege "natürlich nicht heranreichen". Die Pflegeheime lägen ohnehin schon "am oberen Limit, was die Pflegekasse gerade noch bezahlt".

Der Seniorenbeirat hatte dem Rat ins Stammbuch geschrieben: "Wir wehren uns dagegen, dass in den Pflegeheimen alte Menschen zu Bettlern gemacht werden." Im Rat gab es jedoch außer Willensbekundungen, zukünftig auf die Qualität der Pflege mehr zu achten, wenig Elan, gegen die Missstände vorzugehen, und man begnügte sich mit dem Resümee, dass es sich bei den beklagten Zuständen um "Einzelfälle" handele, Schuld an der Unterversorgung sei im Zweifel das Pflegegesetz selbst, dem Raupach eine "unglückliche Verbindung von Marktgesetzen und Dirigismus" bescheinigte.

(jm)