Internationales

Benchmark für Turbo-Kapitalismus

Über 1.000 Manager aus ganz Europa kamen am Pfingstwochenende in Brüssel zusammen. Eingeladen hatte der europäische Unternehmerverband UNICE. Auf der Tagesordnung standen die Herausforderungen und Chancen neuer Technologien. Vor allem ging es um ein Paket von Maßnahmen und Zielvorgaben, das die Unternehmensvertreter der zahlreich vertretenen EU-Kommission mit auf den Weg gaben. Festgehalten sind darin die Vorstellungen von UNICE, wie das Geschäftsumfeld in der Gemeinschaft gestaltet werden sollte, damit europäische Unternehmer sich ihren Anteil an den entstehenden neuen Märkten erobern können.

Die Zeit drängt, so war man sich einig und Kommissionspräsident Prodi versprach den anwesenden Wirtschaftsvertretern, dass die EU sich auf ihrem Dezember-Gipfel auf eine Beschleunigung ihrer Beschluss-Verfahren einigen wird. Die ökonomischen Rahmenbedingungen müssen schnell geändert werden, mahnte auch Morris Tabaksblatt, Sprecher des Runden Tisches Europäischer Industrieller: "Zeit ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können." Die Zulassungsprozeduren für neue Unternehmen und Verfahren seien in den meisten Mitgliedsländern noch viel zu lang, negative Einstellung gegenüber neuen Technologie müssten überwunden werden.

Die Regierungen sollten es endlich aufgeben, neue Märkte und Technologien im Vorfeld regeln zu wollen, das würde nur den Unternehmensgeist behindern, den Europa so nötig habe, um die USA auf dem Feld der neuen Technologien einzuholen, wie es der Lissabonner EU-Gipfel im Frühjahr beschlossen hat. Im Auge hat der Industriellen-Lobbyist dabei u.a. auch die Biotechnologien. Die Abneigung der europäischen Bürger auf diesem Gebiet müsse schnell überwunden werden. Die Wunschliste von UNICE, der so genannte Benchmarking-Bericht gibt dafür als Zielvorgabe vor, dass mittels einer Image-Kampagne die überwiegend negative öffentliche Meinung in den meisten EU-Staaten aufgebrochen und die ablehnende Haltung bis 2005 auf das in den USA übliche Maß reduziert werden soll.

Doch Zeitdruck verträgt sich schlecht mit demokratischen Prozessen, und so meinten die Wirtschaftskapitäne sich hinter Wasserwerfern und Stacheldrahtverhauen verstecken zu müssen. Während EU-Kommissionspräsident Romano Prodi vor der versammelten Herrenrunde am Samstag forderte, die Regierungen sollten den Bürgern ein größeres Mitspracherecht einräumen, nahm die belgische Polizei vor dem Tagungsgebäude ohne ersichtlichen Grund alternative Journalisten fest, die mit ihrer Kamera ein paar Impressionen einfangen wollten. Knapp tausend Protestierende, hauptsächlich aus Frankreich und Belgien, hatten gereicht, um die Ordnungshüter übernervös zu machen. Am Vortag hatte das Auftauchen einer kleinen Gruppe mit Torten "bewaffneter" Aktivisten der Aktionsgruppe "Patissiers sans Frontieres" (Konditor ohne Grenzen) für Dutzende sehr gewalttätiger Festnahmen ausgereicht. Einem der Beteiligten wurde dabei der Unterkiefer gebrochen. Insgesamt kam es an beiden Tagen zu fast 100 Festnahmen, wobei die Polizei reichlich Gebrauch von einer für die Fußball Europameisterschaft erlassenen Ausnahmeverordnung machte. Während der wiedergewählte UNICE-Chef Georges Jacobs sich bei den städtischen Behörden für den Einsatz bedankte, planen die Organisatoren der Proteste eine Zivilklage gegen die Brüsseler Polizeiführung.

Aufgerufen hatten zu der Demonstration, die abgesehen von einigen Polizeiübergriffen friedlich verlief, neben diversen kleineren kommunistischen Organisationen und anderen linken Gruppen, das Euromarschnetzwerk gegen Erwerbslosigkeit und Attac Belgien und Frankreich, zwei nationalen Zusammenschlüssen lokaler Gruppen, die sich gegen die Globalisierung und für eine Kontrolle der Finanzmärkte stark machen. Die Euromarschierer nutzten die Proteste auch, um sich am Rande über Aktionen gegen den EU-Gipfel in Nizza und gemeinsame Forderungen zu verständigen. (An dem Treffen nahm auch ein Vertreter der Kieler Arbeitsloseninitiative teil. Wir werden in einer der nächsten Ausgaben über die beschlossenen Forderungen berichten). Demonstration und mehrere Gegenveranstaltungen richteten sich vor allem gegen die Ausrichtung der EU-Politik an den Konzerninteressen, wie sie in der UNICE-Konferenz zum Ausdruck gekommen sei. Vor allem die enge Verflechtung der EU-Kommission mit den Lobbyisten der Wirtschaft wurde angegriffen.

(wop)

Die wichtigsten Forderungen des Benchmarking-Berichts an die Regierungen: