Herr, send' Hirn!

Das von Journalisten so gefürchtete Sommerloch zu füllen, war in den letzen Jahren hauptsächlich die Aufgabe von ausgebrochenen Schwerstverbrechern und Zwergkrokodilen in deutschen Badeseen. In diesem Sommer scheinen an deren Stelle prominente Grüne auf ihrem langen Lauf zur rechten Sozialdemokratie und demokratische Sozialisten, die gerne Bücher verschenken, getreten zu sein.

Außenminister Fischer etwa plaudert in einem Gespräch mit der taz von einem "Schatzkästchen", das die Grünen besäßen und das "irgendwo in der Ecke liegt und verstaubt". Den darin verborgenen Schatz - "unsere alternativen Erfahrungen, unsere ganzen Ansätze der gesellschaftlichen Selbstorganisation" - möchte Fischer "wieder rausholen und für heute nutzbar machen". Sein politischer Instinkt sagt ihm, "dass darin eine Riesenchance für die Grünen liegt". Bevor man überhaupt darüber nachdenken kann, wie denn, bitteschön, die politische Kultur einer sozialen Bewegung mit dem neoliberalen Kursschwenk der Grünen zusammen geht, legt der alte Sponti noch mal nach: "Ich habe Ende der 70er das Antiquariat der Karl-Marx-Buchhandlung in Frankfurt aufgebaut. Das war mein 'Start-up-Unternehmen', und es war ökonomisch sogar erfolgreich."

Klar doch, Joschka, so gesehen war die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" nach Mogadischu auch ein "Joint-venture" von Roter Armee Fraktion und einer palästinensischen Befreiungsbewegung. Und diese Knarre, die Anfang der 80er in deinen Wagen nach Hessen gebracht wurde, kam ja auch "just-in-time", um den Minister Karry zu töten. Und vor allem liegt Auschwitz in Serbien und die Erde ist eine Scheibe. Und wen interessiert das überhaupt? "Ich habe in Bangalore mit jungen Software-Ingenieuren diskutiert." Ach so.

Ob auch PDS-Mann Bisky in Indien dabei war, ist nicht bekannt, zumindest scheint er Fischers Abspeck-Drama "Mein langer Lauf zu mir selbst" mit Interesse gelesen haben. Laut dpa vom 25.7. schrieb Bisky in einem Brief an Schröder, "man könne sich die Lektüre in den Ferien nicht immer aussuchen. Er, Bisky, sei gerade in Italien und habe aus der BILD-Zeitung erfahren, dass Schröders Frau eine ganze Tasche voller Bücher nach Mallorca mitnehme, während der Kanzler Tennis spielen werde. Damit Schröder aber seine politische Arbeit im September wieder mit neuer Kraft aufnehmen könne, lege er ihm folgende Bücher ans Herz: Mama, was ist ein Wessi? - Papa, was ist ein Ossi? von Thomas Wiezcorek/Mathias Wedel. Als Ergänzung zum langen Lauf des Grünen-Politikers Joschka Fischer zu sich selbst solle Schröder Gysis Über Gott und die Welt lesen. Zur späteren Weitergabe an Rudolf Scharping solle sich der Kanzler in die Entdeckung der Langsamkeit von Sten Nadolny vertiefen. 'Und zum guten Ende', empfiehlt der PDS-Chef die Lektüre seines Parteifreundes Stefan Heym: Immer sind die Weiber weg." Die Meldung hatte in den KN übrigens die Überschrift "Nachhilfe in Sachen Ossis und Weiber". Herr, send' Hirn!

Die Tatsache, dass ein BILD-Leser sich berufen fühlt, dem urlaubenden Bundeskanzler Literatur-Tipps zu geben, verwundert. Noch erstaunlicher ist jedoch der Wunsch des Sozialisten Bisky nach einem "mit neuer Kraft regierenden" Sozialdemokraten. Aber vielleicht verspricht sich Bisky davon eine Einladung zu einem Gespräch. Einladungen zu Gesprächen mit Sozialdemokraten sind zur Zeit für PDS-Genossen wie den Mecklenburg-Vorpreschenden Bauminster Holter "ein Riesenerfolg". Wie dem auch sei. Mit seiner Buchtipp-Offensive hat Bisky schon gehorsam Vorauseilende in den eigenen Reihen gefunden. An vorderster Front natürlich der Kieler Kreisverband, der anlässlich seiner Gründung Anfang Juli einem dazu eingeladenen sächsischen Genossen - was liegt bei Sozialisten näher? - eine niederdeutsche Bibel überreichte. Weil's so schön zum Land passt, dem fleißigen ("Schleswig-Holstein ist ein fleißiges Land", wussten die außerordentlich hellen Nordlichter im Landtagswahlkampf und hatten mit einer Plakat-Materialschlacht sogleich bewiesen, dass jene urdeutsche Tugend auch zu ihnen passt). Bete und arbeite - für die 5%, die Lizenz zum Mitmischen! Das Geschenk begründete offenbar eine wunderbare Freundschaft. Zwecks Nachhilfe in Sachen Kommunalpolitik, so kündigten sie an, werden die Kieler PDSler jetzt nach Sachsen fahren.

(cs, jm)