Anti-Atom

Atomrochade - Atomiker formieren sich neu

Fahrradklingeln schallen durch die Lübecker Fußgängerzone. Es fängt an zu nieseln. Gerade noch rechtzeitig können sich die Radler vor dem einsetzenden, gar nicht so sommerlichen Regen unter den Laubengang am Marktplatz in Sicherheit bringen. Der Stimmung tut es allerdings keinen Abbruch. Rampenplan, das niederländische Küchenkollektiv, ist bereits da, und hat das Frühstück vorbereitet.

Denn was da durch den norddeutschen August-Regen radelt, ist kein Trupp hartgesottener Urlauber, sondern eine kleine, aber international zusammengesetzte Fahrradkarawane, die auf den "schwedisch-deutschen Atomdeal" aufmerksam machen will.

Protest der Barsebäck-Radler vor dem AKW Krümmel

Fotos: J. Petersen, www.bildzeichen.de

Am 5. August hatten sich die 20 am schwedischen AKW Barsebäck auf den Weg gemacht. Dort, am Öresund vis-à-vis der dänischen Millionenstadt Kopenhagen, begann im Herbst letzten Jahres der schwedische Ausstieg aus der Atomkraft. Block I wurde stillgelegt, Block II soll im nächsten Jahr folgen. Oder ist es nur ein Umstieg?

"Die Entschädigung, die unsere Regierung für den Ausstieg zahlt, investiert der Stromkonzern Vattenfall in Atomkraft in Deutschland, und die Regierung tut nichts, um diese absurde Atomrochade zu verhindern", empört sich Roland Rittman aus Trelleborg, der die Fahrradtour mit organisiert hat. Die schwedische Regierung war per Gerichtsbeschluss verurteilt worden, den Barsebäck-Betreiber Sydkraft zu entschädigen. Der bekam von Vattenfall Strom geliefert, der wiederum von der Regierung bezahlt wird. Vattenfall nutzte dieses Geld (etwas über eine Milliarde DM) u.a., um sich bei dem deutschen Atomstromer HEW (Hamburger Electricitätswerke) einzukaufen. 25,1% erwarb der Konzern im November letzten Jahres vom Bundesland Hamburg mit einer Option auf weitere 25,1%.

Für die schwedischen Aromkraftgegner sind diese Verflechtungen Grund genug, ihrerseits über die Grenzen zu schauen. Schon Anfang letzten Jahres begannen sie mit der Barsebäckoffensiv ein lockeres internationales Netzwerk zu knüpfen. "Das läuft alles übers Internet, da brauchen wir keine großen Organisationen und Hierarchien", beschreibt Ole Uexküll aus dem schwedischen Lund die Arbeitsweise.

Der Erfolg gibt ihm Recht. Aus sieben Nationen kommen die Teilnehmer. Von Lübeck ging es weiter zum AKW Krümmel vor den Toren Hamburgs, das in der Vergangenheit durch die Häufung von Leukämiefällen in seiner Nachbarschaft bekannt geworden ist. Weitere Stationen der einwöchigen Radtour waren das Kundenzentrum der HEW in der Hamburger City, der in Anti-AKW-Kreisen als Schrott-Reaktor berüchtigte Meiler in Stade und schließlich das AKW Brokdorf, einst eines der Symbole des westdeutschen Widerstands gegen die Atomkraft, das immer wieder 10.000e zu Demonstrationen in die entlegene Marschlandschaft zog. An allen drei AKW im Hamburger Umland ist die HEW beteiligt, ebenso an einem vierten in Brunsbüttel, dass nicht auf dem Terminplan der Radler stand.

Für Renate Jäger von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (Gorleben), die sich an der Tour beteiligt, ist der Einstieg von Vattenfall bei der HEW nur eines von vielen Beispielen, das heute die internationale Zusammenarbeit der Anti-AKW-Bewegung unverzichtbar macht. Auf ihre Vermittlung ist Julia Myasyshcheva aus der Ukraine dabei, die sehr froh über den Kontakt ist. In ihrer Region Artonowsk im Donetzbecken werde ein Endlager in einem Salzstock geplant. Da habe der Austausch mit den Wendländern sehr geholfen, die unlängst auf einer Informationsreise in der Ukraine zu Besuch waren.

Derweil, die Radler waren noch unterwegs, ging die Atomrochade weiter. HEW und E.ON unterzeichneten am Mittwoch vergangener Woche einen Vertrag, der einen umfangreichen Aktientausch vorsieht. HEW wird E.ONs Anteile an der Berliner BEWAG in Höhe von 49% (52,5% der Stimmen) übernehmen. E.ON war erst im Frühsommer aus der Fusion der Konzerne Viag und Veba hervorgegangen. In dem Unternehmen sind u.a. auch die Bayernwerke und die PreussenElektra, und damit Deutschlands militanteste Atomstromer aufgegangen. Die EU-Kommission hatte ihre Zustimmung zu der Stromehe davon abhängig gemacht, dass der Neue sich von seinem Engagement in Berlin und bei der ostdeutschen VEAG trennt.

Dazu ist nun der erste Schritt getan. Für ihre BEWAG-Anteile bekommen die Münchner im Gegenzug das Aktienpaket der Hamburger an Sydkraft (15,7%). E.ON hält bei Sydkraft nunmehr 36,4% des Kapitals und 35,8% der Stimmen. E.ON-Vorstandsvorsitzender Hans-Dieter Harig, der auch Aufsichtsratsvorsitzender bei Sydkraft ist, sieht in dem Aktientausch einen wichtigen strategischen Schritt, um die Skandinavien-Aktivitäten des Konzerns auszudehnen.

Neben den Sydkraft-Aktien gibt die HEW auch ihre Anteile an der HEIN GAS, Hamburger Gaswerke GmbH in Höhe von 61,9% ab und zahlt den Münchnern weitere 485 Mio. DM als Barausgleich. Das Geschäft muss allerdings noch von den Aufsichtsräten und den Kartellbehörden genehmigt werden. HEIN GAS ist u.a. auch im Fernwärmegeschäft aktiv und hat im Raum Hamburg 700.000 Kunden. Weitere 50.000 kommen über ihre 100%ige Tochter Hansegas in Mecklenburg-Vorpommern hinzu.

Bei der HEW, die von institutionellen Anlegern zusätzliche 9,5% der BEWAG-Aktien erwerben will, verspricht man sich von der Übernahme der Berliner Einsparungspotenziale u.a. bei den Verwaltunsprozessen und Vertriebsstrukturen. Auch auf den neuen Feldern wie e-commerce, Internet und Strom- und Gashandel erhofft man sich Synergie-Effekte. Schon in der Vergangenheit habe man erheblich bei den Personalkosten eingespart, heißt es in Hamburg.

Mit zum Teil schwerwiegenden Folgen für die Angestellten: Innerhalb von vier Jahren wurden bei HEIN GAS rund 40% der Stellen abgebaut. Für die verbliebenen 1300 Arbeiter und Angestellten, berichtet Ronald Schoop von der ÖTV, ist der Arbeitsdruck erheblich gestiegen. Auch bei den HEW selbst, wo es einen Haustarifvertrag mit der IGM gibt, sind durch Vorruhestandsregelungen und natürliche Fluktuation im größeren Umfang Arbeitsplätze abgebaut worden. Die Löhne und Gehälter seien in den letzten Jahren deutlich langsamer gestiegen, heißt es bei der IGM. Außerdem werden Betriebsneulinge mit Zustimmung der Gewerkschaft zu schlechteren Bedingungen als die älteren Betriebsangehörigen eingestellt.

Parallel zu dem Deal zwischen HEW und E.ON haben letztere auch Verhandlungen mit Vattenfall über ihre Beteiligung an der HEW aufgenommen, denn auch von dieser muss sich E.ON nach den Auflagen der Kartellbehörden trennen. Sydkraft, bei der die E.ON nun ein entscheidendes Wort mitzureden hat, hält bisher an der HEW 21,8%, E.ON selbst 15,4%. Beide Pakete könnten demnächst an Vattenfall gehen, der dann in Hamburg das sagen hätte.

Damit ist für die Schweden allerdings noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Die künftige HEW-Mehrheit bei der BEWAG soll genutzt werden, um die ostdeutsche VEAG sowie den Braunkohle-Produzenten Laubag zu erwerben und die Unternehmen zu verschmelzen. Damit wäre dann der deutsche Strommarkt in vier große Territorien aufgeteilt: E.ON in der Mitte, Energie Baden-Württemberg im Südwesten, die aus RWE und VEW entstandene neue RWE im Westen und ein neuer Konzern im Osten.

Vattenfall kommt mit seinen Plänen allerdings einem anderen BEWAG-Großaktionär ins Gehege, der US-amerikanischen Southern Energie, die ähnliche Ziele verfolgt. Dort protestiert man denn auch lautstark gegen die Einigung zwischen E.ON und der HEW und kündigt rechtliche Schritte an. Nach Ansicht der Amerikaner hätten diese ein Vorkaufsrecht auf das E.ON-Aktienpaket an der BEWAG. Auch der Berliner Senat scheint wenig erbaut. Die E.ON-Vorläufer hätten 1997 anlässlich der Privatisierung des ehemals im Besitz der Bundeshauptstadt befindlichen Unternehmens versprochen, ihre Anteile mindestens 20 Jahre zu halten, heißt es dort.

Die jüngste Runde im deutschen Strom-Monopoly ist also noch nicht abgeschlossen.

(wop)


Hintergrund-Infos:

1980 beschließt Schweden in einem Volksentscheid, bis zum Jahre 2010 aus der Atomkraft auszusteigen.

1997 Abstimmung im schwedischen Parlament: Das AKW Barsebäck I des Betreibers Sydkraft soll am 01.07.1998 den Anfang machen. Ein Gericht stoppt den Beschluss: Sydkraft muss Entschädigung gezahlt werden.

30.11.99 Barsebäck I wird stillgelegt. Sydkraft wird mit Stromlieferungen von Vattenfall entschädigt. Elf weitere Reaktoren sind noch im Betrieb. Barsebäck II soll am 1.7.2001 stillgelegt werden.

Der schwedische Staat bezahlt Vattenfall über 1 Mrd. DM für den Handel mit Sydkraft, die Vattenfall in ihr Engagement auf dem Kontinent investieren kann.

Deutsch-schwedischer Atomfilz: Seit November 99 hält Vattenfall 25,1% an der HEW, diese wiederum ist mit 15,7% an Sydkraft beteiligt. Ebenfalls an Sydkraft beteiligt: Die PreussenElektra AG (27,3%), die inzwischen in der E.ON Energie aufgegangen ist. Sydkraft hält im Gegenzug Anteile der deutschen Unternehmen und macht keinen Hehl daraus, dass die Verflechtung den Atom-Ausstieg erschweren soll. Nach dem Deal zwischen E.ON, Vattenfall (staatlicher schwedischer Atomstromer) und HEW gibt es einen umfangreichen Aktientausch. E.ON wird zukünftig eine Sperrminorität bei Sydkraft besitzen. Vattenfall bekommt eine Mehrheit an der HEW, wird über diese die Berliner BEWAG kontrollieren, was u.a. auch als Ausgangsbasis für den Erwerb der ostdeutschen VEAG geplant ist.