Herr, send' Hirn!

Die BritInnen soll einer verstehen. Anfang der 80er - sämtliche Sozialisten Europas schwadronierten schon über das "Ende der Geschichte" - zeigten sie dem Rest der Welt mit der teilweise mehrjährigen Besetzung von nordenglischen Bergwerken, was eine klassenkämpferische Harke ist. 1997 aber das nur noch als pathologisch zu bezeichnende kollektive Betrauern der verunfallten Prinzessin der Herzen und Brückenpfeiler Diana. Und im Sommer 2000 dann schließlich der fast zwei Monate lang zelebrierte 100ste Geburtstag dieses Anachronismus mit Hut, jovial "Queen Mum" genannt. Die Sympathie für die beiden Lieblingsbeschäftigungen der alten Dame - Gin trinken und Pferdewetten auf Kosten der Steuerzahler - mag noch halbwegs nachvollziehbar sein, der Jubel für eine Greisin, die leidenschaftliche Anhängerin der Todesstrafe, des Thatcherismus und der guten alten britischen Kolonialzeit ist, dagegen nicht. Aber vielleicht sollte man es als eine der Ungerechtigkeiten irdischen Daseins hinnehmen, dass ausgerechnet die unangenehmsten ZeitgenossInnen mit solch einem biblischen Alter gesegnet sind: Ernst Jünger, Leni Riefenstahl usw. - only the brave die young.

Andere Personen der Zeitgeschichte sind gerade erst 60 geworden und nichts desto weniger unangenehm. Einer von ihnen: der ideelle Gesamtkieler Norbert Gansel. Auch ihm zu Ehren wurde ein völlig unangemessenes Bohei veranstaltet. Herausragend dabei wieder einmal die "Kieler Nachrichten" mit einer Sonderseite, die durch schöne Abbildungen besticht. Der oberkörpernackte OB beim Ausschachten seines Eigenheimkellers z.B. hätte in der DDR der 50er ein passables Propagandaplakat zur Produktionssteigerung abgegeben. Auf dieser Sonderseite durften dann "politische Freunde und Gegner" gratulieren. Die Gratulation eines "politischen Gegners" liest sich dann folgendermaßen: "Lieber Norbert, herzlichen Glückwunsch und alles Gute (...) Du warst ein wichtiger Außenpolitiker der SPD, der frühzeitig die internationalen Notwendigkeiten für Deutschland erkannt hat. Du bist ein engagierter, sehr erfolgreicher und durchsetzungsfähiger Oberbürgermeister mit vielen guten Ideen. Bleib' so, wie Du bist!" Das wollen wir nicht hoffen, Volker Rühe! So viel zum Thema "Mörder" gratulieren "Mördern".

Publizistisches Highlight der Gansel-Hofberichterstattung bleibt allerdings immer noch das vor einigen Jahren herausgegebene Flugblatt der Kieler Hochschulgruppe "Graue Panther". Unter den aufgelisteten Leistungen des OB für Kiel wird hinter der Jahreszahl 1944 - Gansel zählte da ganze vier Jahre - schlicht und wirklich ergreifend vermerkt: "ausgebombt".

Dieselben "Grauen Panther" scheinen im Jahr 2000 keine politischen Hochschulgruppen mehr, sondern nur noch StudentInnen zu kennen: Nach den Wahlen zum Studierendenparlament (StuPa) bilden sie gemeinsam mit so ziemlich allen Hochschulgruppen eine große Koalition. Im Vorstand: Vertreter der Juso und der Junge Union Hochschulgruppe. Den StuPa-Präsidenten gibt ein Vertreter von "Bündnis 98/Die Neoliberalen". Abgefeiert wird das Ganze als "Bündnis der Vernunft" und "gesunder Mix aus Jung und Alt". Bei solchen Äußerungen eigentlich zwangsläufig: Das frühere Schwulen-Referat sowie das FrauenLesben-Referat werden zu einem "Gleichstellungsreferat" zusammengefasst. Aus dem ehemaligen Ökologie-Referat wird das "Referat für Umwelt und Verkehr". Das ist nun wirklich das Ende der Geschichte.

(cs)