Dokumentiert:

Erklärung von Genf

Widerstände globalisieren!

Die Globalisierung ist in aller Munde. Die Mächtigen dieser Welt verfallen in hektische Reiseaktivität, jetten von Konferenz zu Konferenz, um die neue Weltordnung des grenzenlosen Warenverkehrs und des umbeschränkten Profits in Verträgen und Abkommen zu zementieren. Doch auch der Widerstand wächst international zusammen, besonders nachdem die Verhandlungen der Welthandelsorganisation (WTO) im US-amerikanischen Seattle in einem Fiasko endeten. In Genf trafen sich im Juni anlässlich des UN-Sozialgipfels rund 500 Vertreter verschiedenster sozialer Organisationen aller fünf Kontinente, um über gemeinsames Vorgehen zu beraten. Einige Regionen, wie Ost-, Mittel- und Nordeuropa, Ostasien und Nordamerika, waren allerdings unterrepräsentiert. Das wird auf dem nächsten großen Diskussionsforum, dem Weltsozialforum im brasilianischen Porto Allegre im Januar, hoffentlich anders sein. Die Organisatoren wollen dorthin gezielt 2000 Delegierte aus aller Welt einladen. In Genf einigten sich die anwesenden Gruppen auf ein gemeinsames Dokument, das für die künftige Opposition gegen den weltweiten Freihandel und die Herrschaft der Konzerne der Industriestaaten wegweisend sein könnte. Gemeinsame Grundpositionen und Prinzipien für den Ausbau der internationalen Zusammenarbeit wurden beschlossen. Wir dokumentieren die Genfer Erklärung auch angesichts der bevorstehenden weltweiten Aktionstage gegen die Jahrestagung der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Prag Ende September.

(wop)


Erklärung von Genf

Wege für eine andere Welt aufzeigen: Globalisieren wir unsere Widerstände

Wir, Vertreterinnen und Vertreter der Kämpfe der Zivilgesellschaft, mit unterschiedlichem Hintergrund aus 60 Ländern kommend, vom 22 bis 25 Juni 2000 in Genf zu einem alternativen Gipfel versammelt, dem Aufruf von Bangkok folgend und am Vorabend der Sondersitzung der Vereinten Nationen über die soziale Entwicklung, stellen uns den Herausforderungen, mit denen unsere Völker bei dem Unternehmen konfrontiert sind, soziale Entwicklung im Kontext der Globalisierung zu verwirklichen. Wir haben folgende Erklärung angenommen und fordern alle sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, NROs (Nichtregierungsorganisationen), Gruppen, Vereinigungen usw.., die gegen die neoliberale und sexistische Globalisierung kämpfen, auf, sie zu unterzeichnen.

 

1. Die Globalisierung in der Krise

Das neue Jahrtausend setzt mit einem verstärkten Ungleichgewicht zwischen den Ländern des Nordens und des Südens, zwischen den Ländern des Ostens und des Westens und, innerhalb der Länder, zwischen Reichen und Armen, zwischen Männer und Frauen, zwischen jungen und älteren Menschen, zwischen ländlichen Gegenden und Städten ein.

In einer Zeit, in der die Menschheit bedeutende Reichtümer produziert, gibt es immer mehr Arme, auch in den wohlhabensten Gesellschaften. Die liberale Globalisierung verschärft die Unterschiede. Und wenn sie auch jeden trifft, so zahlen Frauen und Kinder doch den höchsten Preis: die neoliberale Politik hat in der Tat die Feminisierung der Armut verstärkt, die Frauen und Kinder der internationalen Sexindustrie ausgeliefert und die schon immer existierende Gewalt gegen Frauen noch verschlimmert. Die Globalisierung ist also nicht nur neoliberal, sondern auch sexistisch.

Diese Globalisierung zeichnet sich desgleichen durch eine Politik der sofortigen Rentabilisierung aus, die zwangsläufig zu einer Plünderung der Ressourcen des Planeten führt. Indem sie der Vorherrschaft der Finanzwelt über alle Lebensbereiche Vorschub leistet, werden die Demokratie, der Staat, das Instrumentarium der sozialen Solidarität und der öffentliche Dienst in Frage gestellt. Mehr noch, der freie Warenverkehr wird gefördert, der freie Verkehr von Personen dagegen verhindert: Deshalb auch die Explosion des Phänomens der "Illegalen", der Ausgrenzung und Überausbeutung der EinwanderInnen, des Fremdenhasses und des Rassismus. Die Globalisierung tritt elementare Menschenrechte mit Füßen (bürgerliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle) und verwandelt das neoliberale Projekt in ein regelrechtes Verbrechen gegen die Menschheit.

Als Antwort auf die immer stärker werdende Gegenwehr der Bevölkerungen und auf den offensichtlichen Misserfolg der liberalen Politik, redet das Establishment jetzt von einer "Globalisierung mit menschlichem Antlitz". Einerseits wird die soziale Frage auf die Tagesordnung gesetzt und versucht, die Zivilgesellschaft in diesen Prozess einzubinden, indem man ihr erlaubt, einen Pseudoeinfluss zu gewinnen, z.B. durch die Untersuchungen über die Eindämmung der Armut und die Entwicklung seitens der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds. Andererseits wird versucht, die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und kritische NROs untereinander auszuspielen bzw. zu unterdrücken mit dem Ziel, sie zu schwächen.

Die Globalisierung hat auch mannigfaltige militärische Konflikte zur Folge, die weiterhin die Zivilbevölkerung dezimieren und die Staatshaushalte zugunsten der Waffenindustrie belasten. Der vermehrte Einfluss der Großmächte, in altbekannter imperialistischer Tradition, durch die Umstrukturierung ihrer Armeen unter dem Kommando der NATO ermöglicht, führt zu einer Schwächung und Aushöhlung der lokalen Solidarität und Kultur; zu Rivalitäten unter ethnischen Gruppen und zur Desintegration der Gesellschaften. Das führt wiederum zu Kriegen, die dann im Namen des Friedens geführt werden, zur Bildung reaktiver Identitätsformen, die die Form von Fundamentalismus und extremen Nationalismen annehmen können. So z.B. benutzt die USA den Kampf gegen den Drogenhandel als Vorwand, um ihre Politik der Unterdrückung der aufständischen Bewegungen zu verstärken, insbesondere in der Anden-Region.Unter dem gleichen Vorwand werden in Ecuador soziale Bewegungen durch die Einrichtung einer mächtigen Militärbasis unterdrückt. Gleichzeitig führt die Annahme des Kolumbien-Planes zu einer Verschärfung des bewaffneten Konfliktes im Land und droht ihn regional auszweiten. Ein anderes Beispiel ist die Instrumentalisierung von fundamentalistischen Gruppen, so in Afghanistan, wo die Talibandiktatur von der Opiumproduktion lebt.

Die Antwort auf solche Krisen kann nicht immer die gleiche sein, aber durch die Existenz dieser Konflikte wird die Solidarität unter den Völker desto dringender nötig, um zu helfen, basisnahe Strukturen auf- und auszubauen, besonders Gewerkschaften und Vereinigungen. Diese können den Menschen eine Perspektive des Widerstandes und der Emanzipation geben, die weder reaktionäre Lösungen beinhaltet, noch die Diktate der westlichen Regierungen annimmt. Wir wollen die Welt verändern und eine andere schaffen, die sich auf das Recht auf vollständige Entwicklung der Menschen stützt, wo Männer und Frauen gleichberechtigt leben, ohne jedwede Diskriminierung oder Ausgrenzung und wo die Völker und ihr Wissen respektiert werden. Wir fordern die Einhaltung der Menschenrechte, besonders der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Die regionalen und internationalen Menschenrechts-Instrumente, müssen dazu benutzt werden, das vorherrschende neoliberalen Modell zu kritisieren. Es ist dringend erforderlich, dass die Staaten ihre Verpflichtungen in bezug auf die Achtung der Menschenrechte wahrnehmen.

 

2. Netze der Mobilisierung

Um eine gerechtere und verantwortungsvollere Aufteilung der Reichtümer zu fordern, haben sich die Kämpfe in den letzten Jahren internationalisiert. Die Zapatisten waren die ersten, die im Jahre 1996 die Internationale Zusammenkunft für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus organisierten, die alle Kämpfe auf Weltebene zusammenschloss und einen Appell an die Menschen richtete, ein Netz von internationalen Kontakten aufzubauen. Dieser Vorschlag war der Ausgangspunkt und zugleich die Referenz von allen heutzutage bestehenden Bewegungen gegen die Globalisierung. Es ist also nicht verwunderlich, wenn die mexikanische Regierung und die Weltmächte die zapatistischen Gemeinschaften zerstören wollen, um diesen Ausgnagspunkt des gegen sie gerichteten Widerstandes zu zerstören. Später entsatnden international organisierte oder an einem Thema ausgerichtete Bewegungen: so z.B. der Erfolg des internationalen Frauenmarsches gegen die Armut und gegen die Gewalt gegen Frauen, die internationale Initiativen gegen die WTO, besonders People's Global Action (PGA, Weltaktion der Völker), und noch andere die wir nicht alle hier nennen können. Diese Mobilisierungen haben oft die Einhaltung der sozialen und umweltpolitischen Rechte als Grundlage, wie die, die jedes Jahr in Lateinamerika am 12. Oktober stattfindet, zum Tag der Ausgeschlossenen, dem "grito de los excluidos".

Der Erfolg der jüngsten Mobilisierungen in den USA geht mit dem Aufkommen in den letzten Jahren von internationalen Kampagnen und deren mit Massenwirksamkeit einher; die Kampagne für den Schuldenerlass der verarmten Länder, die besonders von den "Jubilee 2000"-Kollektiven geführt wird. Dann die Kampagne für die Kontrolle und Besteuerung des Kapitals unter der Führung der ATTAC-Kollektive, die Kampagne gegen die WTO oder gegen die Ausdehnung des Handlungsspielraums der WTO, die Kampagne gegen die Strukturanpassungs- und andere wirtschaftlichen Reformprogramme der Weltbank und des IWF.

Das Ausmaß solcher Mobilisierungen ist ein Zeichen dafür, dass wir uns in einer ganz neuen Situation befinden, in der die Verantwortung der Bewegungen gewachsen ist, da ihre Aktionen ein großes Medienecho hervorgerufen haben und damit Erwartungen sowohl seitens der militanten Netze, als auch von einem größerenTeil der öffentlichen Meinung in vielen Länder geweckt haben.

 

3. Die Wege unserer Zukunft skizzieren

Diese Mobilisierungen zeugen von einer immer größeren Ablehnung der Folgen der liberalen Globalisierung, jener Globalisierung im Interesse der führenden Staaten, des Finanzkapitals und der multinationalen Konzerne.

 

4. Alternativen diskutieren und aufbauen

Die Diskussionen unter Gewerkschaften, NROs und sozialen Bewegungen in Seattle haben gezeigt, dass es verschiedene Betrachtungsweisen gibt, insbesondere was die sozialen und umweltpolitischen Normen angeht (3). Es geht darum, in dieser Hinsicht weiterzukommen, indem man ein Kräfteverhältnis aufbaut und neue Rechte durchsetzt. Die verschiedenen internationalen Kampagnen führten auch zu Debatten und Diskussionen, besonders über die Verschuldung (über den Begriff der ärmsten Länder oder über die Möglichkeit, die Benutzung der Gelder zu kontrollieren, die durch einen Schuldenerlass freigesetzt würden) oder über die internationalen Finanzinstitutionen (Reform oder Abschaffung derselben).

Diese verschiedenen Betrachtungsweisen sind kein Hinderungsgrund für gemeinsame Aktionen. Die gemeinsame Ablehnung der neoliberalen Globalisierung, die generelle Übereinkunft innerhalb der Bewegung über eine Entwicklung, in deren Mittelpunkt der Mensch stehen, diese Gemeinsamkeiten bilden eine Quelle der Inspiration, reich an Mannigfaltigkeit, und sorgen daher dafür, dass die Zusammenarbeit aus festen Grundlagen steht. Diese Dynamik erlaubt es, eventuelle Meinungsverschiedenheiten zu überwinden, unter anderem über die verschiedenen Strategien der menschlichen Entwicklung. Sie erlaubt es auch, alternative Vorschläge zu formulieren.

 

5. Solidarität im Handeln

Verschiedene Initiativen, Aktionen, Kampagnen, Mobilisierungen existieren heute auf Weltebene, und sie zeugen davon, dass eine andere Welt möglich ist, ab sofort. Mehrere artikulieren sich um ganz konkrete Ziele. Nennen wir einige:

Verschuldung:

Wir rufen alle sozialen Bewegungen, des Nordens wie des Südens auf, zu kämpfen für:

Wir rufen zu einer weltweiten massiven Mobilisierung anlässlich des G8-Gipfels in Okinawa (21.-23. Juli) und anlässlich des UN-Milleniumsgipfel in New York am 6 September auf, damit der Schuldenerlass auf die Tagesordnung dieses Gipfels gesetzt wird.

Der Internationale Währungsfond und die Weltbank:

Der alternative Gipfel ruft nach radikalen Änderungen in der Weltbank und im IWF. Deshalb fordern wir:

1. Den totalen Erlass der multilateralen Schulden, (die u.a. durch Weltbank und IWF bedingt sind) ohne Strukturanpassungsprogramme oder sonstige Bedingungen, auch nicht über die Art der Verwendung der so losgeeisten Gelder.

2. Stop der Strukturanpassungsprogramme und jedweder anderer wirtschaftlicher Reformprogramme, denn diese Programme, die vom IWF konzipiert und aufgezwungen wurden, sind nicht demokratisch und sind vom wirtschaftlichen und sozialen Standpunkt aus für die lokalen Bevölkerungen ein Desaster.

3. Die Transparenz und die Demokratisierung der Weltbank und des IWF, ihre Unterordnung unter die Völker, die ihrer Politik und ihrer Projekte noch unterliegen. Die zukünftige Existenz, die Struktur und die Politik dieser internationalen Institutionen muss durch einen demokratischen, transparenten Prozess bestimmt werden.

4. Die Einhaltung der fundamentalen Menschenrechte (5) von seiten dieser internationalen Institutionen, so wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Völkerrecht festgelegt wurden; die Anerkennung der Menschenrechte als Bezugsrahmen bei der Planung ihrer Projekte und Politik; die Verpflichtung der Nationalstaaten, die internationalen und regionalen Menschenrechts-Übereinkünfte, zu respektieren.

5. Die Beschränkung der Macht der Weltbank und eine größere Rechenschaftspflicht dieser Institution, wie die internationale Kampagne World Bank Bonds Campaign es vorschlägt.

6. Im Falle, dass diese Institutionen diese Logik der Liberalisierung der Welt weiterführen, wird sich die Bewegung für eine andere Globalisierung nicht scheuen, die Abschaffung von IWF und Weltbank zu fordern.

Am 26. September soll eine weltweite Aktionswoche stattfinden, die mit der Jahrestagung von IWF und Weltbank in Prag zusammenfällt, um die radikale Veränderung der beiden Institutionen und eine neue Architektur des internationalen Finanzsystems zu fordern.

Die Welthandelsorganisation

Die Welt ist keine Ware und die Menschheit keine Einnahmequelle: der Zeitpunkt ist gekommen, zuzugeben, dass der internationale Handel, und seine Hauptorganisation, die WTO, die aus dem Vertrag von Marrakesh hervorgegangen ist, in die Krise geraten sind. Es wird Zeit, dieses baufällige System, das äußerst ungerecht und unterdrückend ist, durch einen fairen und nachhaltigen Handelsrahmen zu ersetzen.

Wir werden uns weiterhin gegen jede neue Verhandlungsrunde wehren und wir fordern ein Moratorium für alle neuen Verhandlungen, die sich zum Ziel setzen den Handlungsspielraum der WTO zu vergrößern bzw. die WTO aus der Gerichtsbarkeit heraus zu nehmen, wenn es um Themen wie Landwirtschaft, soziale Dienste und intellektuelle Besitzrechte geht. Wir fordern die Einführung der Kontrolle von und Steuern auf Kapital.

Der Zugang zur Grundversorgung muss gewährleistet sein: Sektoren wie Gesundheit, Bildung, Kultur, Wohnen, Umwelt, Wasserversorgung und alle anderen Grundbedürfnisse sind Grundrechte. Diese Sektoren dürfen nicht den Regeln des Welthandels unterworfen werden und müssen aus dem Allgemeinen Vertrag über den Handel und die Dienstleistungen (6) ausgenommen werden. Gleichfalls dürfen politische Entscheidungen, die die Nahrungsmittelsicherheit und -souveränität schützen und begünstigen sowie die Landwirtschaft in keinem Fall den multilateralen Handelsregeln unterworfen werden.

Das Schlichtungsorgan (7) arbeitet im Geheimen und eignet sich die gesetzgeberischen und Verordnungsfunktionen der souveränen Staaten und der territorialen Gemeinschaften widerrechtlich an.

Die internationalen Handelsregeln müssen dem Völkerrecht untergeordnet werden, wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dem internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der Konvention zur Abschaffung aller Formen von Diskriminierung der Frauen, dem internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und in den verschiedenen internationalen Instrumenten (Konventionen, Pakte, Protokolle), die in erster Linie die fundamentalen Menschenrechte und die Souveränität der Völker garantieren, festgelegt wurde.

Das Abkommen über die Handelsbezogen Aspekte des Schutzes Geistigen Eigentums (TRIPS), fördert die Schaffung von Monopolen zugunsten der transnationalen Konzerne. Es verweigert der Mehrheit das Recht auf medizinische Behandlung und Medikamente. Es führt zur Privatisierung des Wissens und des Lebens, greift die biologische Vielfalt an und hindert die armen Länder daran, ihr wirtschaftliches und soziales Lebensniveau zu steigern und ihre technischen Fähigkeiten zu entwickeln. Dieses Abkommen muss aus der WTO ausgegliedert werden.

Wir verurteilen die Politik der WTO, der WB, des IWF und der OECD. Wir denunzieren die Unterwerfung der nationalen und regionalen Mächte (so der EU) unter die Interessensvertretungen multinationaler Unternehmen, wie das World Economic Forum, die internationale Handelskammer, der European Round Table, Services 2000, Organisationen, die meinen, Einwanderung allein im Sinne der Deckung ihres Bedarfs an billiger und williger Arbeitskraft regeln zu können.

Wir, die unterzeichnenden Bewegungen und Organisationen, setzen uns ein für die Schaffung eines internationalen Tauschsystems, das gerecht ist und unter demokratischer Kontrolle steht. Wir werden die Kämpfe auf allen Ebenen und in allen Ländern durch internationale Solidaritätskampagnen unterstützen.

Kontrolle der Finanztransaktionen und der Steuerparadiese

Die Tobin-Steuer

Die Tobin-Steuer ist eine Steuer, die sich auf die Transaktionen von Devisen begrenzt. Sie ist nicht die alleinige Lösung für die vielen Probleme und die Forderungen, die sich aus der finanziellen Globalisierung ergeben. Sie ist eine der bewusstseinsbildenden Möglichkeiten weltweite Finanzbewegungen zu kontrollieren.

Durch ihre Einfachheit, ihre Mechanismen, ihre Konsequenzen erlaubt sie, gleichzeitig verschiedene und komplementäre Ziele zu erreichen. Als pädagogisches Instrument und dynamischer Vorschlag erlaubt sie es, den Bürgern klarzumachen, was soziale, wirtschaftliche und politische "Betriebsstörungen" sind, die sich aus der neoliberalen Globalisierung ergeben. Sie ist ein Instrument, das, wenn hoch genug angesetzt, hilft, spekulative Phänomene einzudämmen, die die Ökonomien destabilisieren und jedes nationale Projekt, das auf Aufbau und Fortschritt zielt, behindern. Als Instrument der internationalen Politik erlaubt sie, durch die Schaffung von substantiellen Einnahmen, eine andere internationale Architektur zu schaffen, die sich auf die Neuverteilung des Reichtums auf Weltebene stützt.

Die Tobin-Steuer ist eine konkrete und realisierbare Forderung. In der Tat erlauben es die in den Banken benutzten elektronischen Systeme, sie einfach einzusetzen. Es handelt sich hier in erster Linie um eine Frage des politischen Willens.

Die Diskussion über die Verwendung der Steuer ist offen. Einer der Vorschläge besteht darin, eine neue, internationale demokratische Institution einzurichten, die für die sozialen und umweltpolitischen Aspekte zuständig ist und die Mittel aus dieser Besteuerung verwalten soll.

Generell gesehen reiht sich dieser Kampf ein in den Kampf gegen Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung. Die Deregulierung der Arbeitsmärkte geht einher mit einer Arbeitsmarktpolitik, die im Namen des Kampfes gegen Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeit verstärkt und niedrige Löhne verteidigt. Sie geht einher mit dem Abbau des Sozialstaates. Das beste Mittel die Regierungen zu einer Änderung ihrer Politik zu bringen ist die Mobilisierung der Bürger und Bürgerinnen. Diese könnten zunächst auf europäischer Ebene ihren Ausdruck finden. Wir sollten daher auf eine gemeinsame Mobilisierung gegen Arbeitslosigkeit und Prekarisierung anlässlich der Versammlung der EU in Nizza im Dezember orientieren. Dies wird auch die Gelegenheit sein, für die sozialen Rechte und die Tobin-Steuer zu mobilisieren.

Die Steuerparadiese

Besteuerung ist aufs engste mit den Steuerparadiesen verbunden als Orte, an dem die Früchte finanzieller Kriminalität gewaschen werden. Ihre Abschaffung ist unabdingbar. Die Steuerparadiese sind eine Schlinge um den Hals des Planeten. Dort vereinigen sich drei Partner: die multinationalen Konzerne (Steuerhinterziehung, enorme Kommissionen auf den Weltmärkten; Öl, Waffen, Transportwesen), die Organisationen, die Geld aus Verbrechen "weiß" waschen und die Staaten (für die Finanzierung der politischen Parteien und der Politiker). Die Verantwortlichen sind also sehr wohl die Regierungen und die Staaten. Sie sind in Wirklichkeit gar nicht gewillt die Steuerparadiese abzubauen, auch wenn es innerhalb dieser Länder Leute gibt, die dafür eintreten. Die großen Paradiese sind nicht "off shore", sie sind in London, in Genf, in Liechtenstein, in Monaco usw.

Unser Ziel ist es, die Steuerparadiese zur Hölle zu schicken durch gezielte Informations- und Druckaktionen. Diese Aktionen könnten die Form eines Marsches auf eines der Steuerparadiese oder zu einem multinationalen Konzern annehmen, oder auch gleichzeitig zu mehreren dieser Ziele. Es wird auch vorgeschlagen, Studien über die Auswirkung der Steuerparadiese auf diese Kleinstaaten zu erstellen und dass wirtschaftliche Alternativen von den Ländern der G7 finanziert werden sollten, wenn die Steuerparadiese abgeschafft werden.

Der Kampf gegen die Freihandelsabkommen

Diese Abkommen, die als notwendig dargestellt werden, fördern die transnationalen Konzerne und lokale Eliten, ohne aber die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung zu befriedigen. Im Gegenteil, sie verschärfen die Armut und die Ausgrenzung. Die bilateralen, regionalen und internationalen Abkommen schließen die sozialen und umweltpolitischen Aspekte aus und verneinen die Asymmetrie die unter den Ländern besteht: Sie begünstigen nur das transnationale Kapital und die lokalen Eliten, und verhindern damit die Ausübung der Demokratie.

Uns auf diese negative Erfahrungen stützend lehnen wir das Vorhaben der Errichtung einer Freihandelszone in Amerika ab, die von der Regierungen der USA und anderen Staaten aus der Region vorgeschlagen wird. Des weiteren lehnen wir ähnliche Abkommen die in Afrika oder Asien oder anderswo bestehen, ebenfalls ab.

Wir fordern Handelsabkommen, die gerecht und in eine nachhaltige Entwicklungslogik eingebunden sind, die unter Beteiligung und mit dem Einverständnis der Bevölkerung ausgehandelt werden und als Ziel die soziale Entwicklung der Völker haben.

Der internationale Marsch der Frauen 2000

Mit mehr als 4500 Gruppen in mehr als 155 Ländern stellt der Frauenmarsch eine nie dagewesene Mobilisierungskraft der Frauen dar im Kampf gegen Armut und für das Teilen des Reichtums, gegen jede Art von Gewalt, die Frauen erleiden, und für die Gleichstellung von Frauen und Männern. Der Marsch ist Teil der Gesamtheit der sozialen Bewegungen, der Gewerkschaften, Gruppen und Vereinigungen, NROs, usw. die gegen die aktuelle neoliberale Globalisierung kämpfen, die Alternativen vorschlagen und die auf Weltebene Solidaritätsnetze weben.

Für den Frauenmarsch ist die jetzige Globalisierung nicht nur kapitalistisch und neoliberal, sondern auch sexistisch. Die Lage, in der die Frauen sich befinden, kann nur durch das Zusammenspiel zweier weltweiter Phänomene erklärt werden: dem neoliberalen Kapitalismus und dem Patriarchat, die sich gegenseitig nähren und sich gegenseitig stärken, um die Mehrheit der Frauen in einem Zustand von kultureller Unterordnung zu belassen, in einer wirtschaftlichen Marginalisierung, einer "Unsichtbarkeit" ihrer Existenz und ihrer Arbeit, eine Vermarktung ihres Körpers, alles Situationen, die von einer wirklichen Apartheid sprechen lassen.

Die UN-Frauenkonferenz Peking plus 5 hat leider gezeigt, dass noch ein sehr weiter Weg zurückzulegen ist, um die Umsetzung der Rechte der Frauen zu erreichen. Der Marsch schlägt vor, eine Welt zu schaffen, in der Männer und Frauen gleich sind und wo die Frauen von jeder Art von Gewalt befreit sind, von Ausbeutung inklusive häuslicher Gewalt, von Vergewaltigung, Prostitution, von Frauenhandel, sexueller Belästigung, von sozialer und staatlicher Gewalt. Der Marsch schlägt vor, die strukturellen Ursachen der Armut und der Gewalt anzugreifen und ist der Träger von Forderungen, die auch die anderer sozialer Bewegungen sind, unter Einbeziehung einer geschlechtlichen Perspektive.

Der Marsch fordert die sofortige Anwendung des Prinzips der Gleichheit zwischen Männern und Frauen in allen Strukturen und Koordinierungsgremien, die die Bewegung für eine andere Globalisierung sich geben wird, und fordert, besonders den Vertretern und Vertreterinnen der Länder aus dem Süden einen großen Platz einzuräumen.

Der Marsch fordert die Gesamtheit der Bewegungen auf, sich den kommenden Aktionen des Marsches anzuschließen: in Europa am 14. Oktober in Brüssel, in Washington am 15. Oktober, um gegen die Weltbank und den IWF zu demonstrieren und am 17. Oktober in New York vor der UNO, wo eine internationale Delegation des Marsches UN-Generalsekretär Kofi Annan treffen wird, um ihm die Forderungen der Frauen zu überreichen und ihm unsere Entschlossenheit mitzuteilen, diese auch durchzusetzen.

 

6. Die Aktionen und die Bewegungen auf internationalem Plan koordinieren

Die Kraft der internationalen Kampagnen und der Kundgebungen von Seattle und Washington ist größtenteils aus ihrer Funktionsweise entstanden: vernetzte Strukturen, flexibel und nicht dirigistisch, zusammen gekommen aufgrund von Übereinstimmung über Kampagnen und konkrete Themen. All dies hat es erlaubt, dass sich Bewegungen sehr verschiedener Herkunft in gemeinsamer Aktion zusammenfanden.

Zugleich müsste es möglich sein, Erfahrungen zusammen zu bringen, Orte für Debatten zu schaffen, um diese verschiedenen Bewegungen mit der angehäuften Bewegung in unserem gemeinsamen Kampf gegen die neoliberale Globalisierung zu bereichern. Um diesem Bedürfnis zu entsprechen, wäre es wichtig, einen Schritt hin zu einer internationalen Allianz zu machen, die sehr flexibel sein sollte und sich in Kampagnen zu konkreten Themen der verschiedenen Bewegungen äußert.

Dieser Prozess hat schon begonnen. Er beruht auf dem Willen, einen gemeinsamen Terminkalender aufzustellen, eine gegenseitige Kenntnis, ein gegenseitiges Verständnis der Zielsetzungen der jeweiligen Aktionen, ein praktischer Wille Informationen unter Regionen auszutauschen, unter Kampagnen und Bewegungen damit ihre Sichtbarkeit und ihre Wirksamkeit erhöht wird.

Die Schaffung einer internationalen Koordination wird ein komplexer Prozess sein: Die Vorgehensweise muss die Bewegung vertiefen und ausweiten, indem sie (bewusst) die Gewerkschaften, die Organisationen der Arbeiter und Arbeiterinnen, die Frauen, die Bauern und Bäuerinnen, die kulturellen Organisationen etc. einbezieht. Diese Koordination muss auch in den sozialen Interessen und in den Kämpfen der Völker und Bevölkerungen verankert sein.

Es gibt verschiedene Mittel, um diesen Prozess voranzutreiben, wie z.B.: die Vernetzung zwischen den thematischen und regionalen Kampagnen, gemeinsame Mobilisierungstage, Völkerversammlungen, wirksamere Nutzung der Technik, Koordinierungssekretariate usw.

Unter den kommenden Ereignissen werden die Begegnung Dakar 2000 im Dezember im Senegal und das Weltsozialforum in Porto Alegre in Brasilien im Januar 2001 zwei wichtige Gelegenheiten darstellen, diesen Diskussionsprozess weiterzuführen im Hinblick auf die Schaffung eines internationalen Netzes der Mobilisierung.

Übersetzung: Thérèse Gorza & Christian Alix, Bearbeitung und Fußnoten: wop


Anmerkungen

(1) Der angesprochene Artikel des TRIPS-Vertrages (Trade Related Apects of Intellectual Property Rights), der Bestandteil des Vertrag-Paketes ist, das das GATT (General agreement on Trade an Tarifs, Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen) zur WTO weiterentwickelt hat, macht die Patentierung von lebenden Organismen möglich und stellt diese Eigentumsansprüche, wenn der Artikel tatsächlich zukünftig angewendet wird, unter völkerrechtlichen Schutz.
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(2) Multilaterales Abkommen über Investitionsschutz. Wurde längere Zeit quasi im geheimen innerhalb der OECD (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Club der Industrieestaaten) verhandelt. Die Entwürfe sahen weitgehende Rechte für Investoren, auch ausländische, vor und hätten unabhängige staatliche Wirtschaftspolitik fast unmöglich gemacht. Das Abkommen scheiterte im Herbst 98 vor allem am öffentlichen Widerstand in Frankreich und Kanada.
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(3) Gemeint sind die Sozial- und Umweltklauseln, für deren Aufnahme in die WTO-Verträge sich u.a. der Internationale Bund Freier Gewerkschaften, zu dem auch der DGB gehört, stark machen. Auch einige Umweltorganisationen aus dem Norden befürworten sie, während im Süden Ablehnung vorherrscht.
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(4) Gemeint ist nicht der enge Begriff, der heutzutage in Regierungs- und Weltbankdokumenten zu finden ist und nur den kleinen Kreis bezahlter NRO-Funktionäre meint, sondern Zivilgesellschaft im Sinne Gramscis als all jene, die sich für ihre sozialen und kulturellen Interessen organisieren.
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(5) Während die Regierungen der westlichen Staaten wenn sie von Menschenrechten reden, immer nur die Meinungsfreiheit und verwandte Rechte meinen - und das natürlich immer nur bei den anderen -, gehören zu den Menschenrechten, niedergelegt in verschiedenen internationalen Abkommen, auch soziale Rechte, wie das Recht auf Arbeit und Nahrung, die durch die Wirtschaftspolitik des Nordens massiv verletzt werden.
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(6) Einer der WTO-Verträge.
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(7) Gemeint ist das WTO-Schiedsgericht.
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