Herr, send' Hirn!

Glaubt man dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", war es der Ausspruch "Ich rufe von dieser Stelle aus alle Mitbürgerinnen und Mitbürger auf, in dieser Stunde zu unseren Soldaten zu stehen", mit dem Bundeskanzler Schröder den Wandel vom Party-Kanzler zum ernsthaften Staatsmann vollzog. Dass dieses staatsmännische Gebaren beim nach Führung und Autorität gierenden Wahlvolk besser ankommt als das Tingeln von einer Samstagsabendshow zur nächsten - brachte ihm eh nur Headlines wie "Wie wär's mal mit regieren, Herr Kanzler?" ein - hat Schröder mittlerweile begriffen. So gut, dass er sich nur zu gern beim Besuch der ehemaligen KZ-Außenstelle Mittelbau Dora II - der ehemaligen Produktionsstätte von Hitlers V2-Raketen - für die Tagesschau filmen lässt. Besonders Image-fördernd dabei die Szene "nachdenklicher Kanzler hält den ihn begleitenden überlebenden KZ-Häftling stützend am Arm". Gut möglich, dass Schröder sich dabei ein klein wenig wie der vor 30 Jahren in Warschau kniefallende Willy Brandt gefühlt hat, ohne den nicht unbedeutenden Unterschied zwischen einen emigrierten Antifaschisten und einem "Auto-Kanzler" zu bemerken.

Die Zeiten ändern sich - vor eineinhalb Jahren noch hätte Schröder wahrscheinlich mit polnischen Jugendlichen jene Diskothek in Oswiecim eingeweiht. In dieser ehemaligen Gerberei des Konzentrationslagers Auschwitz, in der Häftlinge u.a. die Haare ihrer ermordeten Mitgefangenen sortieren mussten, wird nun - wie deutsche Youngsters es ausdrücken würden - Party gemacht. "Tanz den Adolf Hitler",der peinliche Hit der so genannten "Neuen Deutschen Welle" Anfang der 80er scheint hier seine Umsetzung gefunden zu haben.

Wichtig machen kann man sich z.Z. als Politiker auch auf weit harmloserem Terrain als dem der falsch verstandenen Vergangenheitsbewältigung: Der in Sachen Populismus und Publicity nicht unerfahrene Chef der FDP-Landtagsfraktion Kubicki etwa lanciert haarsträubende Geschichten von seinem Labradorrüden "Bogart" in die für solche Räuberpistolen immer guten "Kieler Nachrichten". Mit den Worten "Wenn Ihr Hund noch einmal meine Tochter anfällt, schneide ich ihm die Kehle durch", soll ein in Schilksee urlaubender Polizist mit einem Takelmesser auf den Landtagsbeau zugerast sein. Dieser, offenbar mal nicht mit zweifelhaften Rechtsgutachten über Mülldeponien beschäftigt, will ein wackeres "Wenn Du nicht Dein Messer wegsteckst, ramm ich dich unangespitzt in den Boden" entgegnet haben. Außer dem habe der Takelmesser-Polizist noch einen längeren Vortrag Kubickis über die richtige Interpretation der Gefahrhunde-Verordnung über sich ergehen lassen müssen.

Drei Fragen drängen sich einem da auf: Warum druckt die KN solche Besinnungsaufsätze à la "Mein gefährlichstes Ferienerlebnis" ab? Seit wann treten Liberale für etwas anderes ein als die Freiheit am Privateigentum? Und warum sitzen urlaubenden Polizisten die Takelmesser nicht so locker wie manchem ihrer Kollegen die Dienstpistole? Man stelle sich vor: Kubicki von Hunde hassendem Polizisten niedergestochen. Zu wünschen wäre ihm das natürlich nicht, hätte Kubicki allerdings den Ärger mit den Nachwuchsyuppies in seiner Partei erspart. Diese gefielen sich nämlich in der Rolle des Verkehrskaspers und warnten Jugendliche vor der gefährlichen Kombination von Trunkenheit und Autofahren. Pädagogisches Mittel: eine Homepage namens: www.bekifft-ficken.de. Grund für die FDP sich aufzuregen und für uns, einmal mehr festzustellen, dass das Brechen sexueller Tabus und der Genuss von Drogen absolut nichts Subversives mehr darstellt.

(cs)