Kommentar

Klimawandel im vollen Gange

Erinnerung an einen surrealen Roman Edgar Allen Poes werden wach: Wasser am Nordpol! Doch während Poe über die terra incognita australensis fantasierte, hatten wir bisher eigentlich ganz genau gewusst, was dort oben sein sollte: Eis.

Doch diesen Sommer sah es etwas anders aus: US-amerikanische Wissenschaftler brachten von einer Fahrt zum Nordpol Nachrichten mit, nach denen dort eine mehrere Kilometer große Fläche offenen Wassers zu finden war. Die Öffentlichkeit war aufgeschreckt, wenn auch nur kurzzeitig.

Nun ist es eigentlich nichts Ungewöhnliches, dass im Sommer offenes Wasser im arktischen Eis zu finden ist. Alarmierend ist allerdings der Zusammenhang: Eis so dünn, dass die Sonne durchscheint und Algen drunter wachsen können, Möwen in einer Region, in der sie noch vor Jahren auf viele hundert Kilometer keine Nahrung gefunden haben. Das zusammen mit den Berichten, nach denen das Eis bereits seit Jahrzehnten abnimmt, sollte auch dem letzten klar machen, dass die globale Erwärmung da ist. Das empfindliche Gleichgewicht von winterlichem Eiswachstum und sommerlicher Schmelze ist nachhaltig gestört und ein eisfreier arktischer Ozean aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch eine Frage weniger Jahrzehnte.

Die Folgen werden verheerend sein: Es geht um wesentlich mehr, als ein paar Ökosysteme und die Lebensgrundlagen der Inuits. Die Ernährungssicherheit von Milliarden Menschen ist durch den Klimawandel bedroht. Klimazonen werden sich dramatisch verschieben und ein Auftauen des arktischen Permafrostboden wird große Mengen des Treibhausgases Methan freisetzen und damit den Prozess weiter verstärken. West- und Südeuropa und andere Regionen könnten schon bald von katastrophalen Dürren bedroht sein, mit den entsprechenden Folgen für die Landwirtschaft.

Doch der Norden mauert weiter und will von seiner Dinosaurier-Technologie nicht lassen. Unmäßiger Energieverbrauch nicht zuletzt durch den Individualverkehr und durch unzureichende Wärmedämmung sorgen dafür, dass Deutschland rund sechsmal mehr vom wichtigsten Treibhausgas Kohlendioxid in die Luft bläst, als das Klimasystem verkraften würde. Die Zeche zahlen die Anderen: Die Orkan-Opfer in Orissa oder Nicaragua, in Venezuela oder Bangladesh. Europa und die USA ziehen derweil die Zäune ein wenig höher, um die Elendsflüchtlinge draußen zu halten. Der reiche Norden wird sich allemal auf dem Weltagrarmarkt bedienen können.

(wop)