Bildungspolitik

"Jedem Schüler seinen eigenen Laptop?"

Eine Polemik

Berlin (fs/ddp) - Als "Profilierungs-Fingerübung" kritisiert der Deutsche Lehrerverband (DL) die Forderung von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD), bis zum Jahr 2006 solle jeder Schüler seinen eigenen Laptop bekommen. Die Ministerin rede mit dieser "technizistischen Bildungsperspektive einer milliardenschweren Fehlinvestition das Wort", anstatt Vorschläge zur Sicherung der Personalversorgung der Schulen zu machen, betonte DL-Präsident Josef Kraus.

Nach Ansicht von Kraus wird die Bedeutung des Computers für die Schulen überschätzt. "Auch in Zukunft wird es keinen 'Nürnberger Trichter' geben, der den Schülern das Wissen eintrichtert, auch keinen elektronischen", fügte der DL Präsident hinzu. Schule werde immer zum Großteil über die Kommunikation Lehrer-Schüler und über Printmedien stattfinden. Es sei schwer nachvollziehbar, worin der Vorzug einer vernetzten Schule liegen solle, "wenn man das meiste, was das Internet dem Schüler einer allgemeinbildenden Schule an Sinnvollem bietet, in einem Buch nachschlagen kann".

Zu dieser Meldung äußerte sich CHIP-ONLINE, die Online-Redaktion des Computermagazins "Chip" (http://www.chip.de/newsausgabe?id=2683) folgendermaßen: "Schon erstaunlich, mit welcher Ignoranz sich der Lehrerverband gegen bessere technische Ausstattung der Schulen zu wehren versucht."

Wir meinen: Schon erstaunlich, mit welcher Ignoranz sich die CHIP über Themen auslässt, in die sie offenbar wenig Einblick hat. In der Tat ist es so, dass die Lehrer-Schüler-Kommunikation aber auch durch gar nichts zu ersetzen ist, wenn Lernergebnisse für alle Schüler sichtbar sein sollen. Unterricht ist nach wie vor Individualbetreuung, auch wenn 24 Schülerchen vorne sitzen und die kann z.Z. auf Dauer kein noch so tolles Computerprogramm leisten. Zudem ist es erstaunlich, aus einer Forderung nach mehr Personal eine Technikfeindlichkeit abzulesen. CHIP: "Dass wegen der Anschaffung von PCs oder Internet-Zugängen Lehrerstellen eingespart werden sollen, davon ist keine Rede."

Wir meinen: Eben! Die Rede ist beim Lehrerverband davon, dass von Frau Bulmahn endlich einmal Vorschläge zur Sicherung der Personalversorgung gemacht werden sollen. Dass der Plan Bulmahns eine milliardenschwere Fehlinvestition sein würde, ist zwar durchaus wahrscheinlich (wer einmal eine fünfte bis zehnte Klasse unterrichtet hat, der weiß, wie ein Klassensatz angeschaffter "eigener" Taschenrechner nach einem halben Jahr aussieht, an "eigene" Laptops sollte man nicht zu denken wagen), steht aber auf einem anderen Blatt.

Oder etwa doch nicht? Wer soll denn sonst die Rechner bezahlen? Die Industrie? Die Industrie? Und selbst wenn, bedeutete es doch nur, dass sich die Bundesbildungsministerin einen weiteren Schritt aus ihrer finanziellen Verantwortung für den Schulbetrieb stiehlt. Und kaum, dass etwa Herr Nestlé (womit "Herrn Nestlé" hier nichts unterstellt werden soll, er ist aber ein schönes Beispiel) 20.000 Rechner finanziert hat, möchte er dann gleich Schiller aus dem Lehrplan kippen, was?

CHIP: "Vielleicht sollte sich Lehrerpräsident Kraus mal mit einem Personalchef unterhalten, was sie von einem Bewerber erwarten: Medienkompetenz und wenigstens Grundkenntnisse von Computern und Internet sind wesentliche Elemente."

Wir meinen: Vielleicht sollte sich CHIP-Online mal mit einigen erfahrenen Lehrern und mehreren Personalchefs aus verschiedenen Branchen unterhalten und nicht nur mit dem Personalchef, der im Büro nebenan sitzt. Die erwarten nämlich beide zunächst einmal Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Flexibilität, geistige Beweglichkeit und soziale Kompetenzen. Wer alles das mitbringt, der erwirbt "Medienkompetenz" im Schlaf. Und obige Kernkompetenzen erwirbt man sicher nicht dadurch, dass man einen Laptop hat, sondern durch Arbeit in der Gemeinschaft mit anderen, durch Lehrer, die sich der Kinder und Jugendlichen annehmen und Zeit dazu haben.

CHIP: "Damit unsere Schüler auf dem weltweiten Arbeitsmarkt bestehen können, brauchen wir drei Komponenten: Computer, Internet - und Lehrer, die nicht in alten Strukturen verhaftet denken."

Da lachen wir uns nur noch tot: "Na, junger Mann, wie steht's denn um ihre Umgangsformen, Fremdsprachen und Flexibilität, damit wir sie mal allein und eigenverantwortlich auch auf unsere Kunden, Auftraggeber, Partner ... loslassen können?" "Mir doch scheißegal, Alter! Haben Sie denn keinen Doppelpentiumpro und eine 100Megabit-Standleitung? Dann zeige ich Ihnen mal, was ich alles kann!" Schönen Dank! Ade, weltweiter Arbeitsmarkt.

Ja, auch die von CHIP-Online geforderten Kompetenzen werden immer wichtiger. Es gilt indes für Frau Bulmahn, nicht den zehnten Schritt vor dem ersten zu tun. Zunächst einmal brauchen wir wirklich Geld, um die Schulen mitsamt ihrer miserablen Ausstattungen auf Vordermann zu bringen und dann richten wir erst einmal einen richtig schönen Rechnerraum in jeder Schule ein. Die Technikgläubigkeit, die sich hier zeigt, ist eindeutig der verkehrte Weg, da soziale Defekte, die Schulart-übergreifend zunehmend messbar sind, durch sie nicht nur nicht abgebaut werden; sie werden eher noch verschärft, wenn schon die Sextaner auch noch in der Schule beziehungslos und vereinzelt vor "ihrem eigenen Laptop" sitzen. Sprachen, Geisteswissenschaften und Mathematik lernt man nicht vorm Rechner.

(tsch)