Herr, send' Hirn!

Eines der wichtigsten Wesensmerkmale des bürgerlichen Systems ist der für ausnahmslos jeden und jede geltende Zwang sich ihm bedingungslos zu unterwerfen. Dem Pluralismusgerede zum Trotz sind die Wahlmöglichkeiten dabei äußerst begrenzt. Der Einkauf im Ökoladen ist - auch wenn viele das anders sehen - eben nicht die frei wählbare Alternative zu Aldi . Ebenso kommt man, um auch "drin" - vulgo: online - zu sein, an einer Anmeldung bei einem kommerziellen Internet-Provider nicht drumrum. Bedauerlich - denn mit dem nicht vermeidbaren Klick ins Portal des Providers handelt man sich ungebeten manche Zumutung ein. Bei mobilcoms freenet.de heißt diese "justbeman". Dieser online-Playboy-für-Arme, der den Endsieg des Waschbrettbauchs über die Gehirnzelle manifestiert, zeigt fast schon Lehrbuch-artig, wie die Kombi aus Hyperanpassung, Leistungsethik, Sexismus, Karrieregeilheit, Fun!Fun!Fun!-Denke und einer ordentlichen Portion Stumpfsinn das Schmiermittel für die Neue Mitte darstellt. Besonders krank das Hypen dieses neuerlichen Yuppie-Trends "After-Work-Club". O-Ton justbeman:

"Donnerstag, 18 Uhr in Berlin, Düsseldorf, Hamburg und Köln. Für Tausende Trendsetter heißt die Devise: Raus aus dem Büro, rein in die Partyszene! (...) Weil die busy Boys und Girls am nächsten Tag wieder topfit am Schreibtisch sitzen müssen, wird das Warm-Up fürs Wochenende um einige Stunden vorgezogen. In Szenestädten wie New York ist das "AWC"-System schon lange en vogue: Um ein Uhr ist Schluss, vorher wird zu Soul, Jazz, Hip Hop, Drum'n'Bass und House gefeiert. Selbst die steifsten Bürohengste lockern schnell ihren Schlips und spüren den Beat. Kontoauszüge und Aktienkurse spielen keine Rolle mehr - die Mädels, die in Kleidchen und Stilettos (die darauf hindeuten, dass die Trägerin zwischendurch einen Abstecher nach Hause gemacht hat) durch die Location schweben, sind wichtiger. Nach ein bis fünf Frozen Margarithas wagt sich dann auch der lässige Turnschuhträger an die Kostümbraut ran. Die Erfolgschancen stehen gut, der Single-Anteil ist immens. Wo die Karriere ruft, bleibt für die Partysanen wenig Zeit fürs Zwischenmenschliche. Doch hier, am Puls des Trends, kommt man sich oft näher als erwartet. Und wer hip ist, ist mittendrin."

Das Irre an diesem Superdeutschland ist, dass sich nicht nur Yuppies wie Proleten gebärden dürfen, sondern auch Proleten Yuppiegehälter erreichen können (das gute alte Tellerwäscher-Axiom). Manche jedenfalls. "Bist mein großer Bruder, du bist immer da", lobten der so genannte Zlatko und der so genannte Jürgen jenes Unternehmen, das im März nicht nur für die Wiederentdeckung der Moral in der Medienkritik sowie Menschenrechtstümeleien zahlreicher Gutmenschen nützlich war, sondern auch für ihren Erfolg. Aus den netten Jungs von Nebenan wurden besserverdienende (aber nichts Besseres verdienende) Stars. Andere Bewohner der Big-Brother-WG hatten es schwerer. So ist die so genannte Manu in einer vormittäglichen Gewinn-Show auf RTL II endgelagert, hält ihr mittlerweile etwas verhärtetes aber sonst immer noch sehr hübsches Gesicht in die Kamera und redet - man muss es leider genau so sagen, selbst wenn die so genannte Manu genau dafür bezahlt wird - Unsinn. Währenddessen startet am 16.9. (Erscheinungstag dieser LinX) die 2. Staffel der Erfolgs-Serie, die an dieser Stelle sicher noch das eine oder andere Mal von LinX-Autor jm - auch so einer am Puls des Trends - besungen werden wird.

Nach den "lässigen Turnschuhträgern, die als Partysanen keine Zeit fürs Zwischenmenschliche haben" noch mal zu einem Ex- Turnschuhträger der jüngst eine Überproduktionskrise von Schwachsinn verursachte. Schwachsinn allerdings, der nicht mehr schlau ist, weil er den Klartext nicht mehr verschleiert - in diesem Sinne also geradezu antikapitalistisch. Anlässlich des UN-Gipfels hielt Außenminister Fischer sein von der Macht ergrautes Gesicht in die Kamera und sagte: Dass das so genannte Deutschland einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat "ohne Eile" beanspruche, liege daran, dass "Deutschland inzwischen Interessen in aller Welt" habe. Wieso inzwischen? Wir hätten es bitte noch ein ganz klein bisschen deutlicher, Herr Fischer. Es muss heißen: "Und morgen die ganze Welt!"

(cs, jm)