Herr, send' Hirn!

Rechtschreibreform hin oder her, Kommentatoren der "Kieler Nachrichten", die darob jammerten, ohnehin werde "die deutsche Sprache von Anglizismen unterwandert", her oder hin - Erich Lejeune, Vorstandschef der "ce Consumer Electronic" meinte in einem Interview: "Die zweite Volkssprache ist in Deutschland immer noch Jammern, nicht Englisch." Wer so klar weiß, wo's lang zu gehen hat, wird vom Interviewer befragt, ob er Politiker werden möchte. Lejeune beabsichtigt jedoch nicht, die "Consumer Electronic" an den Nagel zu hängen, und sagt daher auch nicht: "Da beschloss ich, Politiker zu werden." Er sagte vielmehr: "Die Deutschen brauchen einen Motivationsminister. Die Deutschen sind Weltmeister im Diskutieren, sie müssen aber Weltmeister im Entscheiden werden." Wir hingegen meinen, verehrter Herr Lejeune: Entscheidend ist doch eher, dass die Deutschen im gerade vergangenen Jahrhundert Weltmeister im Kriege Anzetteln waren. Und außerdem, was wollen Sie denn noch? Im freien Kräftespiel des Turbokapitalismus werden doch sowieso schon längst keine Gefangenen mehr gemacht.

Bevor man darin untergeht, so empfiehlt die Bundeswehr, sollte man bei diesem Spiel (keine Gefangenen mehr machen und: Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Peacekeeper) doch lieber mitmachen. Beim Schleswig-Holstein-Tag in Kiel waren Info-Mobile mit verräterischen Y-Autonummern zu bewundern. "Berufs-Info" war unschuldig an dem auf dem Rathausplatz zu lesen, "Arbeitsplatz Marine - Nutz' deine Chance!" eindeutiger auf dem am Ostseekai. Mal ganz abgesehen davon, dass leider niemand auf die Idee kam, mit einem beherzt davor gesprühten "Mörder-" die Sache zur Kenntlichkeit zu entstellen - dass die bundeseigene Bande potenzieller Mörder auf einem Fest shanghait, das u.a. der Förderung des Ehrenamtes dient, ist schon "ein starkes Stück Deutschland" (wie sich die BW in einem Info-Blatt nennt). Wie war das? "Süß und ehrenvoll ist's, für's Vaterland zu sterben." Aber ob das nun ein Ehrenamt ist?

Zu Zeiten der good ol' Systemkonkurrenz, als vom Verkleinern der Bundeswehr zu einer schlagkräftigen flexiblen Kriseninterventionseinheit noch keine Rede war, gestalteten "Mörders" ihre Rekrutierung von neuem Menschenmaterial noch etwas rustikaler. "Eintopf verbindet" prangte da als Slogan auf den Postern, die die Informationsoffiziere flächendeckend in die Klassenzimmern der alten Bundesrepublik pinnten. Aber da Kriege - jedenfalls vom Deutschen Boden ausgehende - ja neuerdings für Menschenrechte und als Lehre aus Ausschwitz geführt werden, kann man jungen Männern von heute nicht mehr mit Lagerfeuerromantik kommen.

Junge Männer von heute - ein Thema für sich. Die unangenehmsten Exemplare dieser Gattung scheinen alle ihre Brötchen als Moderatoren für diverse Musik-Fernsehkanäle zu verdienen. Zynismus um jeden Preis, Häme und Menschenverachtung scheinen dabei die Schlüsselqualifikationen für diesen Job zu sein. Und als hätte die Regierung einen Wettbewerb für Minderheitenbashing und Entsolidarisierung ausgeschrieben - "Jugend quält", steigt das TV-Publikum begeistert darauf ein: MTV Moderator Christian Ulmen etwa fordert seine Zuschauer auf, ihm Videos von besonders "ulmigen Aktionen" zu senden. Dabei kommt dann raus, dass sich zwei junge Burschen mit Gangsta-Rap-Attitüde rühmen, "die nervige alte Oma, die immer vor der Berliner Gedächtnis-Kirche demonstriert, mal richtig angerotzt" zu haben. Zur Erklärung: Beim Opfer handelt es sich um die durch Rosa von Praunheim-Filme bekannte über 70jährige Helga Goetze, die seit bald 20 Jahren täglich ihre ganz private Mahnwache unter dem nun wirklich nicht unsympathischen Motto "Ficken für den Frieden" abhält. So viel zum Humor in einer Gesellschaft, in der "Frauenversteher" ein beliebtes Schimpfwort geworden ist und in "late-night-shows" der Polenwitz wieder gesellschaftsfähig gemacht wird.

(cs, jm)